Modulare Roboter für die Smart City
Mehr Mobilität, weniger Verkehr: Ein elektronisches Leitsystem koordiniert die vielfältigen Aufgaben der flexiblen Fahrzeuge.
Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt in Frankfurt will die bislang weitgehend unkoordinierten Innenstadtverkehre besser miteinander verknüpfen. Campus Free City heißt das Reallabor des House of Logistics and Mobility (Holm), das die Einsatzmöglichkeiten einer vernetzten Flotte modularer Roboterfahrzeuge überprüft.
Hohe Verkehrsdichte, Staus, lokale Emissionen und ein enormer Flächenverbrauch zählen zu den bekannten Merkmalen einer autogerechten Stadt. Der Verkehr fließt bis heute weitgehend unkoordiniert, viele Potenziale bleiben sprichwörtlich auf der Strecke: Bei privaten Fahrzeugen überwiegt die Standzeit, öffentliche Verkehrsmittel sind stark schwankend ausgelastet und zu wenig bedarfsorientiert unterwegs. Liefer- und Wirtschaftsverkehre sowie kommunale Arbeitsaufgaben, wie der Abtransport von Müll oder die Bewässerung von Grünflächen, erfolgen nicht konsequent nur zu verkehrsschwachen Zeiten, sondern auch zu Stoßzeiten und verschärfen die Situation damit zusätzlich.
Eine Smart City bietet dagegen die Chance, diese systemischen Probleme zu lösen – davon sind die acht Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft überzeugt, die sich in dem Projekt Campus Free City zusammengeschlossen haben, um einen umfassenden Lösungsansatz für die Mobilität und Logistik im urbanen Raum zu erforschen.
Die Projektidee geht auf eine Vision des Partners Edag Engineering zurück, der erstmals auf der Messe IAA 2019 ein nachhaltiges Mobilitätskonzept präsentierte. Dieses sieht vor, dass zukünftig Personenbeförderung, Güter- und Warentransport, Grünflächenbewässerung, Mülltransport und zahlreiche weitere kommunale Arbeitsaufgaben im städtischen Bereich durch eine Flotte autonomer Roboterfahrzeuge – die Edag City Bots – realisiert werden.
Viele Anwendungsfälle
Die emissionsfrei angetriebenen Roboterfahrzeuge sind modular aufgebaut und können je nach Bedarf mit unterschiedlichen Nutzmodulen ausgerüstet werden. Sie sind untereinander sowie mit einer extern verbauten Systeminfrastruktur vernetzt. Auf diese Weise werden die City Bots zum Mobilitätsbestandteil in der Smart-City-Infrastruktur. Zusätzlich zur im Fahrzeug integrierten Sensorik nutzen sie die innerstädtischen Sensoren, Kamerasysteme, Aktuatoren, von denen Handlungsimpulse ausgehen, sowie das digitale Abbild der Umgebung. Im Hintergrund optimiert ein umfassendes Leitsystem ihre Routenplanung, das Auftragsmanagement und die Auslastung der City Bots im 24-Stunden-Dauerbetrieb.
Nutzer und Nutzerinnen können ihre Aufträge für die Roboterfahrzeuge bequem in das System einspeisen: zum Beispiel ein Tourist, der sich per App die Fahrt zur nächsten Sehenswürdigkeit bucht, oder eine Ladenbesitzerin, die eine Warenanlieferung für den nächsten Tag plant. Genauso können auch städtische Bedienstete organisieren, dass der Müll nachts aus der Stadt abtransportiert wird. So lässt sich die Anzahl Fahrzeuge in innerstädtischen Bereichen massiv verringern, Parkraum wird für eine anderweitige Nutzung frei, und Staus entstehen gar nicht erst. In einem Verkehrskonzept des sogenannten Shared Space kommt es zum gleichberechtigten und nachhaltigen Miteinander aller Verkehrsteilnehmer; die Lebensqualität in der Smart City verbessert sich.
Reallabor rund ums Stadion
Das theoretisch betrachtete Ökosystem des Campus Free City wird ab November real: bei einem Praxistest auf dem Gelände des Deutsche Bank Parks, dem Fußballstadion von Eintracht Frankfurt. Das Stadionareal bietet dabei mit seiner Infrastruktur aus Wege- und Kommunikationsnetz ein breites Spektrum von Anwendungsfällen: Personenbeförderung, Gütertransport und Grünpflege. Es dient als vereinfachtes Innenstadtmodell in verkleinertem Maßstab. Die Umsetzung des Reallabors ist auf Skalierbarkeit ausgelegt, um weitere Ausbaustufen des Ökosystems und die Übertragbarkeit in den städtischen Kontext zu erleichtern.
Nach einer Auftaktveranstaltung im Mai 2023 setzen die Projektpartner auch den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen des Reallabors fort – er ist fester Bestandteil des Projekts und macht dessen ganzheitlichen Untersuchungsansatz aus. Denn das Konsortium ist überzeugt, dass ein umfassender Wandel des städtischen Verkehrs nur dann gelingen kann, wenn Bürgerinnen und Bürger von Beginn beteiligt sind und ihre Erwartungen, Interessen und Bedenken gegenüber autonomem Fahren in Städten formulieren können.
Akzeptanz fördert das Projekt noch durch zwei weitere Maßnahmen: Zum einen räumt das Konzept von Campus Free City Fußgängerinnen und Fußgängern und Radfahrenden einen konsequenten Vorrang gegenüber motorisierten Fahrzeugen ein. Zum anderen sehen die City Bots mit ihrem humanoiden Äußeren wie vertrauenerweckende Helfer aller Verkehrsteilnehmer aus.
Vom Labor in den echten Betrieb
Bis 2025 sollen die Edag City Bots dann auch an Flughäfen oder im Bereich Distribution/Logistik zum Einsatz kommen. Einen Echtbetrieb in Frankfurt streben die Projektpartner frühestens ab dem Jahr 2030 an.
Das Holm führt für das Partnerkonsortium die Gesamtkoordination des Projekts durch. Neben dem Initiator Edag und dem Holm sind außerdem die Unternehmen Eintracht Tech, T-Systems International, Compredict und Dekra Automobil als Partner beteiligt. Die Hochschule Fulda und die Technische Universität Darmstadt begleiten die Praxistests wissenschaftlich. Assoziierte Partner sind das Frankfurter Entsorgungsunternehmen FES sowie der KEP-Dienstleister DPD, die ihre speziellen Anwendungsfelder Entsorgung und Auslieferungen auf der letzten Meile einbringen.
Das Forschungsprojekt läuft noch bis Mai 2024; das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) unterstützt die Praxistests aus Mitteln des Aktionsplans „Digitalisierung und künstliche Intelligenz in der Mobilität“ mit 11 Millionen Euro. (loe)