Verkehrspolitik: Wenn Ideen auf die Praxis treffen

Wie die Zukunft des Güterverkehrs aussehen könnte, skizziert die neue gleitende Langfristprognose des Bundesverkehrsministeriums. Doch wie realitätsnah sind die Annahmen und die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen? Eine kritische Würdigung von Florian Eck, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums.

Der Anteil der verschiedenen Carrier
am Transportmix von morgen wird
sich spürbar verändern. (Visualisierung: NASA)

Mit der Gleitenden Langfrist-Verkehrsprognose setzt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) auf zwei Neuerungen: Analog zur Gleitenden Mittelfristprognose soll künftig nicht nur dann in die Zukunft geschaut werden, wenn eine Überarbeitung des Bundesverkehrswegeplans ansteht, sondern jedes Jahr. Und es soll kein punktueller Fernblick sein, sondern es werden die Entwicklungen jeweils für 15, 20, 25 und 30 Jahre fortgeschrieben. Das Prognosemodell erlaubt zudem Szenarien im Sinne eines „Was-wäre-wenn-Ansatzes“. Die vorliegende Prognose wird dabei aufgrund der wahrscheinlichsten Rahmenbedingungen „Absehbarer Weg“ genannt, eine Prognose „Alternativer Weg“ mit veränderten Annahmen ist in Arbeit.

Die Transportwelt von morgen

Der Verkehrsprognose liegen Güterströme zugrunde, die aus den gängigen Wirtschafts- und Demografieprognosen abgeleitet und über ein Raummodell gelegt werden. Berücksichtigte Einflussfaktoren sind neben der sektoralen Wirtschaftsentwicklung unter anderem Langfristeffekte der Pandemie, des Ukraine-Kriegs und der daraus folgenden Energiemarktentwicklungen. Aber auch der erwartete Regulierungsrahmen durch die Klimapolitik, der anhaltende Wachstumstrend des Onlinehandels und die Entwicklung der Transportkosten fließen in die Betrachtung mit ein. Wichtige Annahmen zu einigen Kostenpositionen der Logistik wurden aus der Prognose für 2040 übernommen und entsprechend hochgerechnet. Dazu gehören zum Beispiel:

  • ein CO2-Preis von 120 US-Dollar pro Tonne im Jahr 2040

  • ein Strompreisanstieg von 2019 bis 2040 um 16 Prozent

  • ein 25-prozentiger Anstieg der realen Lohnkosten für Lkw-Fahrer

  • sowie ein Anstieg der Kraftstoffpreise um 1,2 Prozent jährlich aufgrund steigender CO2- und Rohstoffkosten.

Weniger Massengut, mehr Stückgut

Auf der Nachfrageseite des Logistikmarktes gehen die Gutachter von einem Güterstruktureffekt aus, bei dem Stückgüter im Außenhandel und im Binnenverkehr die extrem rückläufigen Massengüter ersetzen. Aufgrund der Energiewende fallen beispielsweise fossile Energieträger wie Kohle und Öl nahezu vollständig weg, Importe brechen hier bis 2051 um 232 Millionen Tonnen ein. Ebenso wird ein Rückgang der Transporte im Stahlbereich und bei der chemischen Industrie angenommen. Wachstumssegmente sind hingegen unter anderem die Branchen Pakete, Maschinenbau, Fahrzeuge, Holzwaren und Nahrungsmittel.

Die wirtschaftliche Entwicklung führt bis 2051 zu einem Wachstum der transportierten Gütermenge auf nahezu 5,7 Milliarden Tonnen, das sind 30 Prozent mehr als 2019. Die Güterverkehrsleistung, also die über die Entfernung bewegte Tonnage, steigt jährlich um 1,2 Prozent beziehungsweise liegt 2051 um 46 Prozent über dem Wert von 2019. Dabei wächst der Straßengüterverkehr um 54 Prozent, der Schienengüterverkehr legt um 33 Prozent zu und die Schifffahrt stagniert.

Bezogen auf die Tonnage wird der Lkw seinen Anteil auf 89 Prozent ausbauen, bei der Verkehrsleistung sind es 78 Prozent Marktanteil. Die Gutachter unterstellen dabei, dass das Wachstum im Stückgutbereich vor allem über die Straße abgewickelt wird und wegfallende Massengüter weder beim Schienengüterverkehr (SGV) noch bei der Schifffahrt ausreichend kompensiert werden können. Im Seehafenhinterlandverkehr wird das Wachstum vor allem bei Schiene und Straße gesehen, vom zunehmenden Kombinierten Verkehr profitieren die Wasserstraße und Schiene.

Nicht nur der Landverkehr,
auch die Seeschifffahrt soll
klimaschonender werden. (Visualisierung:
Trade Wings 2500/VPLP/AYRO/Alwenda/Sdari)

Realitätscheck 1: Infrastruktur

Das BMDV hat den Gutachtern wie schon für die Prognose 2040 aufgetragen, von vollständig umgesetzten Bedarfsplänen bei den fest disponierten Projekten und den Projekten des vordringlichen Bedarfs auszugehen, einschließlich der Digitalisierung der Schiene. Ist das realistisch? Mit Blick auf die Kostensteigerungen und damit reale Unterfinanzierung des Bundesverkehrshaushaltes einerseits und die anhaltenden Verzögerungen wichtiger Bauprojekte andererseits ist eher damit zu rechnen, dass die Engpässe im Netz nur unzureichend abgebaut werden können und die Netzkapazität eher stagniert oder sogar abnimmt.

Auch bei der Digitalisierung droht eine deutliche Verzögerung, da nur ein Viertel der jährlich benötigten Mittel zur Verfügung steht. Im Umkehrschluss würde die Rückrechnung des Wirtschaftswachstums aus der mangelnden Leistungsfähigkeit der Verkehrswege zeigen, was droht, wenn der Ausbau und die Sanierung der Verkehrswege nicht voranschreiten wie geplant. Es wäre Aufgabe des BMDV, die Wirksamkeit ihrer Investitionsstrategie an einer solchen Prognose zu messen und sie zu korrigieren.

Realitätscheck 2: Verkehrsträger

Die Prognose des BMDV schreibt den Wachstumstrend des Güterverkehrs nahezu ungebrochen fort. Straße und Schiene wachsen weiter stark in Aufkommen und Leistung. Der politische Plan, zumindest das Verkehrswachstum auf die Schiene und Wasserstraße zu verlagern, scheint gescheitert. Gleichermaßen bescheinigen die Gutachter den beiden Verkehrsträgern Wachstumschancen im Kombinierten Verkehr, und auch ein Potenzial im Seehafenhinterlandverkehr wird angedeutet. Dies sind aber jeweils kleinere Stücke vom Gesamtkuchen des Güterverkehrs.

Das Szenario könnte man auch den „einfachen Weg“ nennen. Vernachlässigt wird dabei, welche Antworten die Verkehrsträger auf die Güterstruktureffekte finden. Nach nüchterner Zahlenanalyse dieser Prognose, die eher ein Szenario ist, könnte die Bundesregierung die gefährliche Entscheidung treffen, dass sich Zukunftsinvestitionen bei diesen Verkehrsträgern nicht lohnen. Sie könnte reflexartig die Haushaltsmittel für die Digitalisierung der Schiene und Wasserstraße, den Einzelwagenverkehr und die Digitale Automatische Kupplung (DAK), neue Umschlagtechnologien und den automatisierten Vor- und Nachlauf streichen. Ein erstes Warnsignal: Die Wasserstraße findet im Modernisierungspaket der Koalition nicht statt.

Dies wäre kurzsichtig: Die Konzepte für die Stärkung von Schiene und Wasserstraße in ihrer Logistikfähigkeit liegen auf dem Tisch. Darin geht es eben genau um Antworten auf die Wachstumstrends des Güterverkehrs und eine bessere Vernetzung zwischen den Verkehrsträgern. Allerdings: Wenn die dort vorgeschlagenen Zukunftsinvestitionen nicht kommen, findet diese Verlagerung nicht statt und die Zukunftsoptionen werden verspielt.

Realitätscheck 3: Transportkosten

Auch in der Zukunft gibt es keinen Transport zum Nulltarif. Sowohl die Energiekosten als auch die für CO2-Äquivalente anzusetzenden Kosten stehen im Einklang mit gängigen Energiemarktprognosen. Der CO2-Preis und der Emissionshandel werden im aktuellen Koalitionspapier als das zentrale Instrument der Klimapolitik angesehen. Vor dem Hintergrund der ehrgeizigen Klimaziele und politischer Beschränkungen der CO2-Zertifikate ist ein Preisanstieg bei Energie und CO2 über das angenommene Niveau hinaus realistisch. Norwegen plant für 2030 einen Preis von 200 Euro je Tonne CO2, die Schweiz setzt seit 2022 rund 120 Euro an.

Bei den Lkw-Fahrern werden reale Lohnsteigerungen von 25 Prozent angenommen, Schiene und Schifffahrt sollen Fachkräfte ohne Kostensteigerungen gewinnen können. Anzunehmen ist auch, dass die Maut in den kommenden Jahren angehoben und ausgeweitet werden wird. Gleichzeitig prognostizieren die Gutachter, dass die Automatisierung sich bis 2051 auf der Straße nicht durchsetzt, bei der Schiene und Wasserstraße aber Potenziale im Betrieb und Umschlag gehoben werden können.

Die vorhersehbaren technischen und kostenseitigen Entwicklungen sind keine wirklichen Kipppunkte zugunsten des Schienengüterverkehrs und der Binnenschifffahrt, schaffen aber zusätzliche Anreize, die stärkere Einbindung in die Logistikketten zu prüfen. Gleichzeitig müssen sich die Carrier besser vernetzen, Kooperationen bilden und fit für das Wachstum am Stückgutmarkt machen. Denn wenn das Anforderungsprofil der Verlader nicht passt, übersteigen die wahrgenommenen Opportunitätskosten die Transportkosten. Schiene und Schiff bleiben außen vor.

(Foto: Nevomo-Cargo-Magrail)

Von der Prognose zur Strategie

Die Verkehrsprognose 2051 ist in mehrfacher Hinsicht als Signal zu verstehen. Einerseits enthält sie mit dem direkten Verweis auf den umzusetzenden Bundesverkehrswegeplan (BVWP) die Selbstverpflichtung des Bundesverkehrsministeriums, diese Projekte zu finanzieren, ohne den Erhalt zu vernachlässigen. Das simulierte Netz, das der Prognose zugrunde liegt, hat keine Baustellen, keine Engpässe oder verzögerten Bauprojekte, alle Schleusen und Brücken sind wie neu, Stromleitungen liegen, der Deutschlandtakt ist realisiert, das 740-Meter-Netz steht, ETCS ist umgesetzt.

Aber wenn das Netz zur volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bremse wird, stehen nicht nur die Klimaziele auf der Kippe. Andererseits zeigt das hochgerechnete Verkehrswachstum, vor welchen Herausforderungen wir und die nächsten Generationen stehen. Wichtige Zukunftsfragen müssen jetzt im Rahmen einer Gesamtstrategie Güterverkehr und Logistik beantwortet und gelöst werden, damit das klassische Nachhaltigkeitsdreieck gehalten wird.

Dabei gilt es, einige Fragen zu beantworten: Wie wird die Antriebswende gestaltet? Der Elektrifizierung des Landverkehrs gehört die Zukunft. Gerade für die Logistik muss der Übergang gestaltet werden, mit Flottenumrüstungen, Ladesäulenprogrammen und dem Hochlauf von E-Fuels. Letztere werden auch benötigt, um die Schifffahrt und die Luftfracht zu dekarbonisieren.

Ein Markt wandelt sich

Der Güterverkehrsmarkt 2051 ist abgeleitet aus den Erwartungen, wie sich unsere Volkswirtschaft und die Gesellschaft in einem dynamischen Umfeld entwickeln. Deutschland fördert mit Milliardenbeträgen eine Umstellung von Stahl- und Chemieunternehmen auf Wasserstoff. Wie sehen diese neuen Wertschöpfungspartnerschaften aus? Welche Rolle haben die Häfen in der Umstellung des Energieimports? Strategien für die Binnenschifffahrt und den Schienengüterverkehr liegen vor. Wann werden sie umgesetzt sein? Wie stellen sich die einzelnen Verkehrsträger am Stückgutmarkt auf? Welchen Beitrag leisten die Kommunen bei Logistikflächen und letzter Meile?

Wie kann die Vernetzung gestärkt werden? Schiene und Wasserstraße sind nach dem Wegbrechen der klassischen Massengüter auf direkte Industrieanbindungen und starke Partner im Straßengüterverkehr angewiesen. Beides muss in Zukunft ausgebaut werden. Die Straße mit ihren Stückgutpartnerschaften kann ein Vorbild sein, wie gemeinsam eine flächenhafte Erschließung erreicht wird, bei gleichzeitiger maximaler Nutzung der Bündelungsvorteile. Die Digitalisierung ist hier ein zentrales Element, für die Steuerung und Automatisierung der Verkehre ebenso wie für die bessere Zusammenführung von Angebot und Nachfrage. Förderprogramme für Citylogistik, den Kombinierten Verkehr und den Gleisanschluss sind weiter nachzuschärfen. Im Außenhandel wird die Luftfracht das wertmäßige Rückgrat bleiben, bei der Tonnage ist es der Seeverkehr. Auch hier muss die Vernetzung am Boden weitergedacht werden.

Über all dem schwebt die Frage nach der Finanzierung und dem regulatorischen Rahmen. Die Logistikunternehmen brauchen für ihre Investitionsentscheidungen Planungssicherheit. Welche Energiesteuern und CO2-Abgaben erwarten sie in den nächsten Jahren, welche Kraftstoffe werden zugelassen sein, wird es ausreichend grünen Ladestrom geben, in welchem Zustand werden die Verkehrswege sein und wo wird der Umschlag zwischen den Carriern möglich sein? Dies muss eine Standortstrategie leisten, in der die vorliegenden Konzepte zusammengeführt werden. Dann ist die Branche beim Szenario „Alternativer Weg“ dabei. (ben)

 

Florian Eck ist Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums

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