Pro und Kontra zur richtigen Infrastrukturplanung
Das International Transport Forum (ITF) fordert, Verkehrsinvestitionen an politischen Zielen auszurichten. Eine andere Position vertritt Verkehrsminister Wissing, der sich stärker an Prognosen orientiert. Ist der ITF-Ansatz richtig?
PRO
Russlands Angriff auf die Ukraine hat gezeigt, dass Politik sich permanent neu ausrichten muss. In für deutsche Verhältnisse Windeseile wurde umgesetzt, was viele vorher für unvorstellbar gehalten hatten: die Loslösung von russischem Gas und Öl. Ein Beispiel dafür, dass Politik sehr wohl Einfluss nimmt und Entwicklungen aus der Vergangenheit verändert, ja sogar auf den Kopf stellen kann – wenn sie denn will.
Zugegeben, der Abschied vom russischen Gas und Öl ist ein Extrembeispiel. Eine solche Kehrtwende in so kurzer Zeit lässt sich nicht auf allen Politikfeldern umsetzen und würde die Staatsfinanzen, die Gesellschaft und wahrscheinlich auch die Politik überfordern, wie man an den derzeitigen Debatten um die Heizungen erkennen kann.
Aber bei Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat es den Anschein, dass er genau in das andere Extrem verfällt: Er orientiert sich mit seiner Politik an einer Langfristprognose, die vor allem Entwicklungen aus der Vergangenheit fortschreibt. Ein Gestaltungswille ist nicht erkennbar. Da kommt einem der Satz in den Sinn: „Das haben wir ja immer schon so gemacht.“
Und was ist das für eine Politik, die keine eigenen Vorstellungen von der Zukunft hat – gerade in diesen unsteten Zeiten? Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat Wissing eine politische Vision. Aber zu erkennen ist davon in seinen Aussagen zum zukünftigen Güterverkehr nur wenig. Als Liberaler muss der Minister zudem aufpassen, dass die Wirtschaft ihn nicht überholt. Zumindest die großen Unternehmen aus Industrie und Handel verkünden immer ehrgeizigere Emissionsminderungspläne – und äußern damit auch den Wunsch, die Schiene stärker nutzen zu wollen.
Diese Firmen setzen sich neue Ziele und passen ihre Unternehmenspolitik an. Daran sollte sich der Bundesverkehrsminister ein Beispiel nehmen.
KONTRA
Investitionspolitik im Verkehr ausschließlich an politischen Zielen auszurichten, kann nur schiefgehen. Zum einen sind Investitionen speziell in die Infrastruktur langfristig. Politische Ziele aber können schnell wechseln – gezwungenermaßen, siehe Ukraine-Krieg, oder aus ideologischen Gründen. Zum anderen geht dieser Ansatz an der Praxis vorbei.
Ihre Klimaziele zwingen die Regierung zu handeln. Die Verkehrsverlagerung ist ein politisches Ziel. Da die Schiene derzeit nicht leistungsfähig genug ist, um eine echte Alternative zur Straße zu sein, muss erheblich investiert werden. Das ist unstrittig. Aber der Blick auf die Realität darf nicht verloren gehen.
Und die sieht so aus: Die Straße steigert seit vielen Jahren trotz zusätzlicher Belastungen wie Ökosteuer oder Maut ihren Modal-Split-Anteil und wird über viele Jahre der dominierende Verkehrsträger bleiben. Sie zu vernachlässigen, würde den Standort Deutschland nachhaltig schädigen. Brückensperrungen führen vor Augen, welche Folgen eine jahrelange Vernachlässigung der Straßeninfrastruktur hat – Umwegverkehre, Staus, Mehrkosten, zusätzliche Umweltbelastungen.
Die Antwort auf die Klimaziele der Bundesregierung kann nur sein, in die Schiene und die Straße zu investieren. Die Anstrengungen in Richtung Schiene wirken eher langfristig. Spürbare Verlagerungseffekte wird es erst in vielen Jahren geben, wenn die Qualität der Schiene stimmt und ausreichend Kapazitäten vorhanden sind.
Dagegen ist der Klimahebel im Straßengüterverkehr schon kurzfristig sehr groß, wenn die emissionsarmen Antriebe so massiv gefördert werden, dass sie den Diesel schon möglichst bald ablösen können.Und langfristig führt eine bessere Infrastruktur zur deutlichen Reduzierung von Staus und Umwegverkehren – es dürfte kaum einen größeren Klimaeffekt im Verkehrsbereich geben als diesen.
Also nicht entweder Schiene oder Straße – sondern beide. Nur so können politische (und damit gesellschaftliche) Ziele erreicht werden, ohne die Realität zu vergessen.