Reederpräsidentin Gaby Bornheim: „Übergriffiges Verhalten darf nicht toleriert werden“
Gaby Bornheim und Martin Kröger über die Diskriminierung von weiblichen Seeleuten, die Unzulänglichkeiten der Klimaschutzregulierung – und das gegen die Reederpräsidentin laufende Ermittlungsverfahren.
DVZ: Frau Bornheim, Herr Kröger, der Corona-bedingte Boom der Containerschifffahrt ist vorbei, jetzt scheint eine länger anhaltende Schwächeperiode mit massiven Überkapazitäten und niedrigen Frachtraten zu folgen...
Gaby Bornheim: ...da würde ich gern gleich widersprechen. Ja, die Branche hatte zwei gute Jahre. Doch ich erwarte jetzt auch keine schlechten Jahre. Es gibt offenkundig einen Rückgang der Fracht- und Charterraten; aber all das liegt noch immer in einem auskömmlichen Bereich.
Martin Kröger: Und was die Überkapazitäten angeht: Man darf nicht vergessen, dass die Schifffahrt vor 2020 eine zwölf Jahre währende Krise durchlief, in der der Anteil der bestellten Flotte zum Teil rund 50 Prozent der bestehenden Flotte betrug. Heute liegen wir bei rund 30 Prozent. Das ist noch keine Quote, die mich unruhig macht.
Bornheim: Zudem wird sich im Zuge der seit Beginn des Jahres geltenden Umweltauflagen noch ein gewisser Anteil der Kapazität reduzieren, da Schiffe mit niedrigeren Geschwindigkeiten werden fahren müssen.
Ihre Bewertung fällt überraschend moderat aus. Marktbeobachter sagen der Branche eher eine harte Landung voraus.
Bornheim: Ich sehe das nicht so pessimistisch. Die Lage ist volatil. Die jüngste Konjunkturprognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) etwa gibt wieder mehr Anlass zu vorsichtigem Optimismus als noch vor ein paar Wochen.
Es ist zu beobachten, dass die Linienreedereien ihre Flotten in größerem Ausmaß als früher mit eigenen statt mit gecharterten Schiffen bestücken. Was bedeutet das Geschäftsmodell für die Charterreeder?
Kröger: Wir sehen, dass einige ihre Flotten zunehmend diversifizieren, wie sie es im Zuge der Schifffahrtskrise in den Jahren nach der Finanzkrise schon begonnen haben. Dies könnte sich als eine richtige Strategie herausstellen in dem beschriebenen Marktumfeld.
Welche Lehren aus diesen Krisenjahren lassen sich noch ziehen?
Kröger: Ein sehr wichtiger Punkt, den es zu beherzigen gilt: Die Unternehmen müssen auch während der Krise weiter Nachwuchs ausbilden, damit sie das Know-how im Hause haben, sobald die Märkte wieder anziehen. Generell muss das Bewusstsein dafür ausgeprägt sein, wie wichtig es ist, Fachkräfte von morgen zu entwickeln. Das ist für die Schifffahrt nicht gerade einfach, weil das Image der Branche bei jungen Leuten gerade in den vergangenen Jahren gelitten hat.
Ist das Gehaltsniveau konkurrenzfähig?
Bornheim: Das sehe ich so. Ein Schiffsmechaniker verdient ab dem fünften Berufsjahr mit Abschlagszahlungen und Überstundenvergütung mehr als 4.600 Euro brutto im Monat; ein Matrose kommt nach demselben Zeitraum auf mehr als 3.300 Euro.
Kröger: Mal zum Vergleich: Ein Kfz-Mechatroniker, der Ausbildungsberuf, den junge Männer in Deutschland am häufigsten wählen, verdient nach fünf Berufsjahren durchschnittlich knapp 2.400 Euro brutto, also nur rund halb so viel wie der Schiffsmechaniker.
Bornheim: Für die jungen Leute der Generation Z ist Geld zudem überwiegend nicht das entscheidende Kriterium. Das eigene Tun soll vor allem einen Sinn haben, und die Arbeitszeiten müssen stimmen.
Auf See gibt es keine Work-Life-Balance.
Bornheim: Vordergründig betrachtet, mag das so sein. Doch das lässt sich nicht verallgemeinern. Es kann ja auch ein probates Lebensmodell sein, drei Monate am Stück zu arbeiten und dann erst mal wieder drei Monate freizuhaben.
Kann die Branche weiblicher werden?
Bornheim: Das muss sie.
Wie könnte das gelingen?
Bornheim: Dann müssen vor allem die Männer mehr mitziehen. Wenn zum Beispiel eine Frau mit Kindern eine Tätigkeit auf einem Schiff ergreifen möchte, muss eben auch mal der Vater sagen, gut, dann kümmere ich mich in dieser Zeit um den Nachwuchs. Ich glaube, dass es in unserer angeblich so fortschrittlichen Gesellschaft noch nicht selbstverständlich ist, dass Männer und Frauen als Paar gleichberechtigt die Möglichkeit haben, Karriere mit Familie zu verbinden.
Ist die Schifffahrt bereit für mehr Frauen?
Bornheim: Mit Sicherheit. Es gibt ja auch Kapitäninnen und weibliche Offiziere, allerdings noch nicht genug. Doch das liegt nicht daran, dass Reedereien nicht offen wären für weibliche Seeleute. Es ist einfach sehr schwer, entsprechende Bewerberinnen zu finden.
Kröger: Schifffahrt ist ja nicht nur das Großcontainerschiff, das um die Welt fährt. Schifffahrt ist auch der Fährbetrieb auf der Ostsee und die Schleppschifffahrt im Hafen, wo es vollkommen andere Arbeitszeiten an Bord gibt. Man kann sich in der Schifffahrt also durchaus eine Nische suchen, die zum eigenen Leben passt. Und zudem kommt man sehr schnell in Positionen, in denen Menschen früher als in anderen Karrieren Verantwortung tragen.
Eine Umfrage der Women’s International Shipping & Trading Association (WISTA International) unter mehr als 1.000 weiblichen Seeleuten aus 78 Ländern ergab, dass zwei Drittel der Befragten an Bord von ihren männlichen Kollegen belästigt und eingeschüchtert werden. Ein Viertel der Frauen sagte, dass körperliche und sexuelle Belästigung in der Schifffahrt an der Tagesordnung sind. Wie bewerten Sie die Aussagen?
Bornheim: Ich kenne diese Untersuchung. Die Ergebnisse sind schrecklich. Der Befund ist furchtbar und darf auf keinen Fall relativiert werden. Das ist leider für viele Frauen auch in anderen Berufen trauriger Alltag. Ich weiß, wovon ich rede.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?
Bornheim: Ich werde nicht ins Detail gehen. Was ich sagen kann ist, dass auch ich Diskriminierung erfahren habe in Form von unerwünschten, anzüglichen Kommentaren von Männern. Es hat mich damals wahnsinnig wütend gemacht und mich gezwungen, mir eine Strategie zu überlegen, wie ich mit bestimmten Kommentaren von männlichen Kollegen umzugehen habe und wo ich eine rote Linie ziehe.
An Bord dürften die Umstände für Frauen besonders schwer sein.
Bornheim: Auf hoher See sind sie natürlich an das Schiff gebunden. Keine Frage, das ist ein Problem, wenn es zu Belästigungen kommt. Doch ich finde, das Problem der Diskriminierung von Frauen im Beruf sollte nicht nur anhand der Extreme beschrieben werden. Das würde den Alltag von Frauen verharmlosen, die diskriminierende Erfahrungen in ihren Berufen machen.
Wie würden Sie sich dem Thema nähern?
Bornheim: Indem man es offensiv benennt. Wenn eine Frau in ihrer Abteilung einen männlichen Kollegen hat, dessen Avancen sie nicht erwidert, dann wird es für die Frau oftmals übel. Sie kann sich ihrem Vorgesetzten anvertrauen, in der Regel ein Mann. Dass sie von ihm Hilfe bekommt, ist oftmals nicht gesichert. Sie kann sich auch einen neuen Job suchen; doch warum sollte es eigentlich die Frau sein, die sich gezwungen sieht, darüber auch nur nachzudenken?
Was fordern Sie von Unternehmen?
Bornheim: Übergriffiges Verhalten von Männern muss geahndet und darf nicht toleriert oder verharmlost werden. Es müssen entsprechende Compliance-Regelungen eingeführt werden. Frauen müssen sich vertrauensvoll auch über Whistleblowing-Hotlines an entsprechende Stellen im Unternehmen wenden können, ohne Nachteile befürchten zu müssen.
Gibt es entsprechende Angebote bei Schifffahrtsunternehmen?
Kröger: Die Unternehmen sind in diesem Bereich sehr aktiv. Alle sind sich bewusst, dass diese Zustände beseitigt werden müssen. Es gibt Leitfäden und Rahmenregelungen der internationalen Schifffahrtsverbände, die Unternehmen eine Handreichung geben, wie Compliance-Regelungen eingeführt und umgesetzt werden können.
Speditionen und Verlader beklagen eine immer größer werdende Macht der Linienreedereien und kritisieren die Ausweitung des Geschäftsmodells in die Logistik. Von den Charterreedereien ist weniger zu hören. Dabei dürften auch diese unter der zunehmenden Macht ihrer Kunden leiden, von denen sie finanziell stark abhängen.
Kröger: Das beschreibt die Konstellation, wie sie sich derzeit zeigt.
Bornheim: Andererseits war das Verhältnis zwischen Charter- und Linienreedereien schon immer durch diese Konstellation geprägt. Charterreeder vermieten Stahl. Und damit sind sie abhängig von jemandem, der sagt: Ich miete dein Stück Stahl und nicht das deines Wettbewerbers.
Linienreedereien genießen die Privilegien der Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) und dürfen sich zu Allianzen zusammenschließen, Charterreedereien nicht. Wäre es sinnvoll, das zu ändern?
Bornheim: Es wäre aus Sicht der Charterreedereien sicherlich wünschenswert, wenn sie sich ebenfalls organisieren dürften. In den Zeiten der Schifffahrtskrise etwa war es für die Charterreedereien sicherlich von Nachteil, dass es eine zu große Fragmentierung auf ihrer Seite gab. Man darf allerdings auch nicht übersehen, dass sowohl Charter- als auch Linienreedereien aktuell mit den gegenwärtigen Marktstrukturen ganz gut zurechtkommen.
Im April 2024 entscheidet die EU-Kommission, ob die GVO in ihrer jetzigen Form verlängert werden soll. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass der VDR sich so für die Weiterführung ausspricht.
Kröger: Warum?
Weil der VDR nur einen einzigen von der Regelung profitierenden Linienreeder vertritt, Hapag-Lloyd. Stoßen Sie Ihre Mitglieder aus den Reihen der Charterredereien mit dieser Haltung nicht vor den Kopf?
Kröger: Genau um das nicht zu tun, setzen wir uns für die Weiterführung der GVO in der bestehenden Form ein und bitten darüber hinaus darum, dass eine ähnliche Regelung auch eingeführt wird für Charterreeder für den Vormarkt. Es sollte in diesem Bereich Leitlinien geben, die den Rahmen setzen, wie Zusammenschlüsse erfolgen könnten. Auch Charterreeder könnten ihre Effizienzen bezüglich ihres Schiffsraums steigern, gäbe es entsprechende Regeln. Ob das rechtlich darstellbar ist, müssen andere bewerten.
Viele Schifffahrtsunternehmen streben an, bis spätestens 2050 klimaneutral zu sein. Sie sind damit viel ehrgeiziger als die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO), die bislang nicht von ihrem sehr schwammigen Ziel abgerückt ist, bis 2050 nur mindestens die Hälfte der Emissionen gegenüber 2008 einzusparen. Wie verträgt sich dieses Missverhältnis?
Kröger: Nicht besonders gut. Es ist schon ziemlich kurios, dass die Reedereien beim Klimaschutz weiter sind als die IMO. Mir ist keine Branche bekannt, in der die Regulierer hinter den Unternehmen zurückbleiben.
Was folgt daraus?
Kröger: In diesem Sommer wird die IMO ihre Strategie zur Setzung ihrer Klimaziele überarbeiten, und das ist dringend nötig. Es ist allerdings, das sei zur Verteidigung der IMO gesagt, nicht gerade trivial, die zum Teil sehr unterschiedlichen nationalen Interessen sämtlicher Staaten weltweit zusammenzuführen. Europa schaut ganz anders auf das Thema als etwa Südamerika, wo die Sorge besteht, dass sich die Lieferketten verlängern und es zu nachteiligen Veränderungen der maritimen Außenhandelsverkehre kommen könnte. Wir hoffen dennoch, dass sich die IMO auf den gleichen Weg begibt wie die Unternehmen. Das wäre ungleich wichtiger bei der Erreichung der globalen Klimaziele als etwa die entsprechenden Regulierungen der Europäischen Union...
…die entschieden hat, ab 2024 auch die Emissionen aus dem Seeverkehr in den Emissionshandel einzubeziehen...
Kröger: ...was wir grundsätzlich begrüßen, keine Frage. Doch letztlich bringt das Europäische Emissionshandelssystem (ETS) kaum etwas. Es bepreist zwar CO2, reduziert es aber nicht. Das lässt sich etwa bei der Luftfahrt beobachten, die schon länger unter dem ETS-Regime stehen. Die Fluggesellschaften müssen nun einfach für ihren Ausstoß mehr zahlen als vorher. Ihre Emissionen sind aber trotzdem angestiegen.
Ein anderes Reizthema ist der Umstand, dass Reeder wegen der für sie geltenden Tonnagesteuer de facto keine Abgaben zu zahlen haben. Passt das in die Zeit?
Bornheim: Ich meine, diese Debatte wird oftmals etwas verkürzt geführt. So wird etwa völlig außer Acht gelassen, dass die Unternehmen unter einer Regelbesteuerung in den Krisenjahren gewaltige Verlustvorträge hätten ansammeln können. Diese könnten die Reedereien in den guten Zeiten ebenfalls nutzen, um die Steuerlast stark zu senken.
Kröger: Die Grundlage der Wettbewerbsfähigkeit des Schifffahrtsstandorts in Deutschland basiert auf der Tonnagesteuer. Bei der Diskussion gerät gern aus dem Blickfeld, dass die Reeder in den zwölf Krisenjahren, in denen sie oftmals nicht mal ihre Kapitalkosten erwirtschaften konnten, wegen eben dieser Tonnagesteuer keine Möglichkeit hatten, ihre Verluste steuerlich geltend zu machen.
Frau Bornheim, es läuft ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kiel gegen Sie im Zusammenhang mit dem illegalen Export eines Schrottschiffes nach Indien. Haben Sie erwogen, Ihr Amt ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe geklärt sind?
Ich habe darüber nachgedacht, weil es natürlich meinem Selbstverständnis entspricht, einen möglichen Schaden vom Verband abzuwenden. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich weiß, wo ich stehe und wie ich das einzuschätzen habe. Ich kann mein Amt mit gutem Gewissen ausführen.
Würde sich Ihre Haltung ändern, käme es zur Anklage?
Das müsste ich mir dann tatsächlich überlegen.
Das Gespräch führten Oliver Link und Sebastian Reimann