Der stationäre Handel ist im Umbruch
Chinesische Plattformanbieter und ein verändertes Konsumverhalten der jungen Generation sorgen im Onlinehandel für Wirbel. Künstliche Intelligenz und gut trainierte Algorithmen verändern den Markt, gleichzeitig trüben Umsatzeinbrüche das ungebremste Wachstum der vergangenen Jahre. Diese und weitere Entwicklungen diskutierten die Teilnehmenden der Future Commerce Conference vergangene Woche in der Kühne Logistics University in Hamburg.
Hohe Standards im E-Commerce
„Problematisch ist definitiv, dass Kunden aller Generationen auf niedrige Preise fokussiert sind, gleichzeitig aber das Thema Nachhaltigkeit pushen wollen“, beobachtet Christoph Tripp, Professor für Distributions- und Handelslogistik an der Technischen Hochschule Nürnberg. „Wir haben also eine nachhaltige Haltung, aber kein nachhaltiges Handeln und sind nicht bereit, dafür in irgendeiner Form einen Aufpreis zu bezahlen.“ Gleichzeitig sei es für den Handel deutlich schwieriger geworden, Kunden an sich zu binden und die hohen Erwartungen an Serviceleistungen, Convenience sowie individualisierte Ansprache und Bestellabwicklung zu erfüllen.
„Der Handel ist im Umbruch. Wir haben einen hohen Transformationsbedarf“, sagt Knud Hansen, geschäftsführender Gesellschafter von Intersport Knudsen. Zwar sei Online mittlerweile der dominierende Kanal, aber auch der stationäre Handel habe seine Berechtigung. „Das Kundenverhalten pendelt extrem zwischen Preis und Erlebnisqualität“, beobachtet Hansen und ist überzeugt: „Für mich gibt es keinen stationären Handel mehr, es gibt nur noch Omnichannel.“ Intersport Knudsen verfügt über 1.400 Filialen in Deutschland und hat sich auf den Omnichannel-Vertrieb fokussiert. Bis 2026 sollen weitere 100 Flächen in Deutschland eröffnet werden.
Social Media ist lukrativ
Danilo Georg, Senior Manager Consumer & Fashion bei der BLG Handelslogistik, sieht in der unsicheren Marktentwicklung eine Chance für Unternehmen, die anpassungsfähig und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Ein Paradebeispiel für den erfolgreichen Einsatz von Social Media ist die Deichmann-Tochter Snipes. Der Multichannel-Händler hat sich auf den Bereich Hip-Hop und Lifestyle fokussiert und setzt unter anderem auf Kollaborationen und den Einsatz von Testimonials wie dem amerikanischen DJ Khaled.
„Unsere Umsatzerwartungen haben sich durch seine ständige Anwesenheit in unserem Store in Miami vervierfacht“, erzählt Peter Buse, COO von Snipes. In Berlin startete der Sneaker- und Streetwear-Händler im vergangenen Jahr ein ungewöhnliches Shopkonzept, zu dem auch ein Ton- und ein Tanzstudio gehören.
Automatisierung schafft Abhilfe
Einen Einblick in das Fulfillment im E-Food-Geschäft gab Udo Bunger, Leiter E-Commerce bei Bünting. „Es gibt drei Kernsäulen, die man unter Kontrolle haben muss, um profitablen E-Commerce im Food-Segment zu ermöglichen: Warenbeschaffung, Intralogistik und Zustellung“, ist der Experte überzeugt. Um das E-Food-Geschäft profitabel zu gestalten, hat das Unternehmen seine E-Commerce-Aktivitäten in die bestehende Filiallogistik von Bünting SCM integriert und kann so auf die vorhandene Infrastruktur und Personalressourcen zurückgreifen. Zudem investierte der Handelskonzern in teilautomatisierte Logistikprozesse.
Auch Kühne + Nagel setzt auf automatisierte Fulfillment-Lösungen, um Bestellungen von der Auftragsbestätigung bis zum Endkunden zu begleiten. Das Unternehmen wickelt jährlich mehr als 250 Millionen E-Commerce-Bestellungen ab und setzt dabei auf 175 Fulfillment- und Omnichannel-Standorte, so Martin Klein und Marc Acksteiner aus dem Bereich Business Development.
Impulse für die Distribution lieferten Frank Oelschläger und Marc Ternieden von der Pfenning-Gruppe sowie Christian Brüggemann, Co-Founder und CIO von Graphmasters. Beide Unternehmen setzen auf künstliche Intelligenz, um auf das veränderte Konsumverhalten zu reagieren. Graphmasters hat dafür eine Software entwickelt, die den E-Commerce-Vertrieb von Unternehmen wie dem Lebensmitteleinzelhändler Rewe organisiert und Bestellungen bis zu 14 Tage im Voraus prognostiziert.
Retouren kosten Geld und Zeit
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion über die „dunkle Seite des E-Commerce“, wie Michael Krings, Partner bei Retail Capital Partners, das Thema Retouren scherzhaft bezeichnet. Gerade im Textilbereich seien die Rückgabequoten besonders hoch. „Der reine Retourenprozess ist sehr aufwendig und kostenintensiv. Es geht um viel Geld, das dem Handel als Marge verloren geht“, so Krings. „Hier stellt sich die Frage, wie man intelligente Lösungen schaffen kann.“
Das Hamburger Start-up Toern hat eine Softwarelösung entwickelt, die es ermöglichen soll, Retouren direkt an neue Kaufinteressenten weiterzuleiten. Über eine API-Schnittstelle werden die digital erfassten Retouren, noch während sie beim Kunden zu Hause liegen, wieder in den Warenbestand des Händlers aufgenommen. „Kunden haben so die Möglichkeit, sich proaktiv für diese Artikel zu entscheiden und einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten“, erklärt Alena Schneck, Mitgründerin von Toern.
„Der Kern der Retourenvermeidung liegt aus meiner Sicht darin, Kundendaten wie Körpermaße mit Produktdaten abzugleichen und diese zu matchen. Darin liegt die große Herausforderung“, ist Krings überzeugt. Auch bessere Produktbilder und mehr Aufklärung über die Umweltauswirkungen einer Retoure könnten dem Problem entgegenwirken.