Kampf um Kunden: Temu und Shein greifen Amazon an

Viele Kunden halten sich beim Einkaufen weiter zurück – auch im Internet. Shoppingportale wie Temu und Shein können ihre Umsätze dennoch deutlich steigern. Das macht der Branche zu schaffen.

In fast allen Bereichen verschieben sich die Käufe immer weiter von stationären Geschäften ins Internet. (Foto: Bevan Goldswain/iStock)

An seine Boomzeiten mit zweistelligen Wachstumsraten während der Pandemie kann der Onlinehandel nicht mehr anknüpfen. Nach einem schwachen Jahr 2022 mit großem Umsatzrückgang wurde es 2023 nicht viel besser. Prognosen zufolge bringt auch dieses Jahr nicht den erhofften Aufschwung.

Für dieses Jahr wird für die 1.000 umsatzstärksten Onlineshops ein Nettoumsatz von 78,3 Milliarden Euro erwartet. Nominal entspricht das einem Plus von 1 Prozent zum Vorjahr, preisbereinigt jedoch einem Minus von 3,6 Prozent, wie aus der vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI veröffentlichten Studie „E-Commerce-Markt Deutschland 2024“ hervorgeht. 2023 verzeichneten die Händler einen nominalen Rückgang von 0,2 Prozent. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.

„Der Onlinehandel leidet darunter, dass das Geld der Verbraucher woanders hinfließt, zum Beispiel in Reisen und Konzerte“, sagt der E-Commerce-Experte des EHI, Lars Hofacker. „Viele Händler sind in der Vergangenheit aus der großen Nachfrage herausgewachsen und durch die gestiegenen Kosten aktuell sehr gefordert.“ Das heißt nicht, dass es für alle Shops schlecht läuft. Zu den Gewinnern zählten zuletzt die asiatischen Online-Plattformen.

Die größten Shops in Deutschland waren 2023 unverändert Amazon, Otto und Zalando. Neu in die Top 20 aufgestiegen ist in China gegründete Modehändler Shein, der beim Umsatz im Vorjahresvergleich erheblich zugelegt hat (plus 30,6 Prozent) und auf dem 18. Rang liegt.

Auch bei den Marktplätzen mischen die Asiaten vorn mit. AliExpress belegte den vierten Platz. Temu, das erst seit April 2023 in Deutschland aktiv ist, verpasste den Einzug in die Top 10 knapp.

„Bisher hat Amazon kaum Antworten“

Vor allem Temu und Shein legen einen steilen Aufstieg hin. Laut Branchenverband BEVH entfallen inzwischen 5 Prozent der Bestellungen im deutschen Onlinehandel auf die beiden Anbieter. Diese haben ihren Marktanteil binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Temu lag bei den Bestellungen im zweiten Quartal bereits auf dem vierten Platz hinter Amazon, Ebay und Otto.

Die asiatischen Portale setzen die Etablierten unter Druck. Können sie die Dominanz von Marktführer Amazon brechen? „Temu und Shein zwingen Amazon in Deutschland zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren, die Strategien anzupassen“, sagt der E-Commerce-Experte Alexander Graf. Amazon habe den Markt bisher geprägt, auf das radikale Geschäftsmodell von Temu und Shein aber kaum Antworten. Das werde sich mittelfristig im Umsatz bemerkbar machen.

Temu und Shein bieten viele Artikel zu günstigen Preisen an. Durch den starken Preisfokus der Kunden profitierten sie zuletzt von der schlechten Konsumstimmung im Land. Nach Angaben des Handelsverbandes Deutschland (HDE) versenden Temu und Shein zusammen täglich rund 400.000 Pakete in die Bundesrepublik. Shein bestreitet, dass die Zahl so hoch ist.

Umfrage: 60 Prozent sind Shein und Temu zu unsicher

Shein und Temu polarisieren, seit sie die Handelsbühne betreten haben. Sie schnappen gestandenen Playern wie Otto Umsatz weg. Laut einer Schätzung des Handelsverbandes Textil Schuhe Lederwaren (BTE) kauften die Deutschen 2023 rund 1 Milliarde Modeartikel und Schuhe bei asiatischen Anbietern. Shein und Temu konkurrieren mit Amazon & Co. nicht nur um Käufer. Sie haben ihre Online-Marktplätze zuletzt auch für deutsche Händler geöffnet.

Branchenvertreter sind nicht gut auf die neue Konkurrenz zu sprechen. „Hier wird der Markt mit oft fragwürdiger oder minderwertiger Ware überschwemmt, die in der EU zum Teil gar nicht verkauft werden darf“, sagt BTE-Geschäftsführer Axel Augustin. Shein und Temu weisen die Vorwürfe zurück. Augustin und andere fordern mehr Regulierung durch die EU und fairere Wettbewerbsbedingungen.

Stärkere Kontrolle der Anbieter angestrebt

Die Bundesregierung möchte sich gemeinsam mit anderen Staaten in der EU für eine stärkere Kontrolle der Anbieter starkmachen. So sollen konsequent Strafen verhängt werden, falls sich Online-Händler nicht an geltende Regeln halten und beispielsweise nichts unternehmen, wenn Produkte auf ihren Seiten als unsicher eingestuft werden.

Auch bei Kunden gibt es Bedenken. Portale wie Shein und Temu sind gut 60 Prozent der Verbraucher zu unsicher, wie eine Umfrage des Kölner Handelsforschungsinstituts IFH zeigt. Vor allem bei Besserverdienern, Männern und Personen ab 50 sind die Vorbehalte groß. Viele fürchten, dass die bestellten Artikel von minderwertiger Qualität sind.

Werner Reinartz, Professor für Marketing an der Universität zu Köln, sieht in dieser Unsicherheit eine Chance. Andere Händler könnten sich durch Vertrauen von Plattformen wie Temu und Shein differenzieren und profilieren.

Käufe verschieben sich ins Internet

Branchenstudien können dem Onlinehandel zumindest etwas Mut machen. So sind nicht nur die Verunsicherung der Konsumenten und der Fokus auf Preise und Angebote leicht rückläufig. In fast allen Bereichen verschieben sich die Käufe immer weiter von stationären Geschäften ins Internet.

Der Verband BEVH sah zuletzt leicht positive Signale. Zwischen April und Juni gönnten sich Verbraucher wieder mehr. So wurde das erste Marktwachstum im Onlinehandel seit zwei Jahren verbucht. Von Optimismus könne aber noch keine Rede sein, heißt es.

Der Boom während der Pandemie ist für den E-Commerce psychologisch zur Last geworden. Daran wird die Branche nun gemessen. Der Hauptgeschäftsführer des HDE, Stefan Genth, wirbt deshalb um Nachsicht. „Die Coronajahre mit den geschlossenen stationären Geschäften haben der Branche große Umsatzsprünge verschafft. Da ist es ganz normal, dass die weitere Entwicklung dann nicht in diesem Tempo weitergehen kann.“ (dpa/cs)

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