Warum Indien noch wichtiger werden könnte

Viele Unternehmen sehen in dem Land einen attraktiven Wachstumsmarkt. Der Wirtschaftsstar will eine größere Rolle in globalen Lieferketten spielen. Aber es gibt auch Probleme. Auf dem Deutschen Logistik-Kongress diskutieren Experten die Rolle Indiens in der Welt und geben ihre Einschätzung zu Chancen und Herausforderungen für das Engagement europäischer Unternehmen.

Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren war mit Robert Habeck (Grüne) im Juli ein Bundeswirtschaftsminister zu Besuch in Indien. Der Hintergrund: Indien wird für Deutschland immer wichtiger. Das gilt vor allem beim Bestreben, in Asien nicht zu abhängig von China zu werden und Lieferwege breiter aufzustellen. Außerdem geht es um Energie- und Klimapolitik. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Welche Bedeutung hat Indien für die deutsche Wirtschaft?

Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern ist es auch die größte Demokratie der Welt und hat wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss – gerade im Indopazifik, also dem Raum rund um den Indischen Ozean sowie Teile des Pazifiks. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien ist zuletzt deutlich gestiegen, im vergangenen Jahr lag es bei rund 30 Milliarden Euro. Indien lag damit auf Rang 24 der wichtigsten deutschen Handelspartner. Zum Vergleich: Größter Handelspartner war China, mit einem Handelsvolumen von rund 299 Milliarden Euro.

Die Reise Habecks war ein Signal in Richtung China – dort war er noch nicht. Die neue China-Strategie der Bundesregierung sieht im Kern vor: „De-Risking“. Einseitige Abhängigkeiten von China etwa bei Rohstoffen sollen verhindert werden, Firmen sollen Lieferwege breiter aufstellen. Hier kommt auch Indien ins Spiel. Auf einer Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur im vergangenen November machte die Formel „China plus X“ die Runde – oder: „China plus 1“.

Wie geht es der indischen Wirtschaft?

Indiens Wirtschaft wächst dieses Jahr nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) um 6,1 Prozent – mehr als andere große Volkswirtschaften. Prognosen etwa von Goldman Sachs zufolge soll das Land bis zum Jahr 2075 die zweitgrößte Volkswirtschaft werden – nach China und vor den USA. Mehr als ein Viertel der indischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Das Land hofft, von Lieferkettenverlagerungen profitieren zu können. Um Neuansiedlungen zu unterstützen, werden großzügige Subventionen gewährt – das Programm „Production Linked Incentives“ ist die indische Antwort auf das milliardenschwere US-Subventionsprogramm Inflation Reduction Act. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. So stieg die Produktion von Elektronikartikeln deutlich. Laut UN-Organisation für geistiges Eigentum (WIPO) zählt Indien außerdem zu den Staaten mit besonders guter Entwicklung bei der Innovationskraft.

Was exportiert Indien nach Deutschland?

Textilien, Tee und Gewürze sind laut Anne Krieckhaus von der Deutsch-Indischen Handelskammer Exportklassiker aus Indien. Aus Indien stammten auch verschiedene Teile, die in deutschen Autos verbaut würden. Außerdem kämen aus dem Land, das als „Apotheke der Welt“ bekannt ist, ein Großteil der Masern-Mumps-Röteln-Impfungen sowie Arzneimittel beziehungsweise Bestandteile davon. Deutsche Unternehmen bezögen zudem laut Geschäftsführer Dirk Matter von der Handelskammer IT-Dienstleistungen aus Indien. Nach Angaben der bundeseigenen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest liefert Indien auch Maschinen und Elektronik.

Warum ist Indien für deutsche Firmen attraktiv?

„Indien bietet für deutsche Unternehmen eine einzigartige Kombination aus Marktgröße, Marktpotenzial und Talentpool“, sagt Kirsten Schoder-Steinmüller, Vizepräsidentin der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Die Produktion deutscher Unternehmen in Indien werde in den nächsten Jahren sowohl für den lokalen Markt als auch für den Export in andere Länder und Regionen an Bedeutung gewinnen. Deutsche Unternehmen seien in Indien vor allem in der Automobil-, Maschinenbau- und Chemiebranche aktiv. Aber auch erneuerbare Energien und „grüner“ Wasserstoff sowie Logistik und Infrastruktur würden zu immer attraktiveren Geschäftsfeldern. Wolfgang Niedermark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Deutschen Industrie, sagte, Indien habe einen hohen Stellenwert bei den Anstrengungen der deutschen Industrie, sich in Lieferketten breiter aufzustellen und weniger abhängig zu machen.

Nach einer Umfrage der Deutsch-Indischen Handelskammer unter deutschen Firmen, die in Indien aktiv sind, wurden als wichtigste Standortfaktoren genannt: politische Stabilität, Verfügbarkeit exzellenter Fachkräfte und relativ niedrige Lohnkosten. Deutschland sei der siebtgrößte ausländische Direktinvestor in Indien. Deutsche Unternehmen investieren beispielsweise im indischen „Silicon Valley“ Bengaluru: Continental eröffnete dort im vergangenen Jahr für mehr als 100 Millionen Euro ein neues technisches Center, SAP und Siemens Healthineers bauen dort derzeit je einen Campus.

Indien im Fokus beim Deutschen Logistik-Kongress

Auf dem Deutschen Logistik-Kongress diskutieren Experten die Rolle Indiens in der Welt und geben ihre Einschätzung zu Chancen und Herausforderungen für das Engagement europäischer Unternehmen.

Donnerstag, 19. Oktober 2023, 10.30 bis 11.15 Uhr sowie 11.45 bis 12.30 Uhr, Hotel Intercontinental Berlin, Raum Charlottenburg

Was sind die größten Probleme für deutsche Firmen in Indien?

Die Regierung von Premierminister Narendra Modi wirbt mit Bürokratieabbau und Investitionsanreizen, um den Produktionsstandort zu stärken. Deutsche Wirtschaftsverbände sehen aber noch viel zu tun: „Strukturelle Probleme wie Korruption, überbordende Bürokratie und Mängel in der Infrastruktur, aber auch politische Themen wie wachsender Nationalismus und das schwache Bekenntnis zu internationalen Normen sind die größten Herausforderungen für deutsche Unternehmen in Indien“, so Niedermark. Zudem erhebe Indien in mehreren Sektoren weiterhin hohe Zölle auf Waren aus Europa. Deswegen wäre ein Freihandelsabkommen mit weitreichendem Zoll-Abbau von großer Bedeutung.

Welche Chancen und Risiken gibt es?

Indien kann aus Sicht des Ökonomen Moritz Schularick für die deutsche Wirtschaft künftig eine wichtige Rolle spielen. In vielen Bereichen, in denen die deutsche Wirtschaft Stärken aufweise, habe Indien Aufholbedarf, sagt der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Prof. Moritz Schularick. Als Beispiele nennt er Infrastruktur und Verkehrssysteme. „Hier ist durchaus viel Potenzial da, auch für einen Boom für die deutsche Exportindustrie, wie wir ihn vielleicht zuletzt im Rahmen des chinesischen Wirtschaftswunders in den Nullerjahren erlebt haben.“ Aber man müsse auch vor übertriebenen Erwartungen warnen. Zum einen sei Indien die größte Demokratie. „Aber es bewegt sich leider auch in Teilen in Richtung einer illiberalen Demokratie – da muss man schauen, wie die Situation sich dort entwickelt.“ Zum anderen berichteten Unternehmer, dass auch angesichts der Infrastruktur Auslagerungsprozesse nach Indien im Hinblick auf ihre Effizienz problematisch sein könnten. So könne es Stunden dauern, um vom Flughafen in die Städte zu kommen.

Der Aufholbedarf sei groß und Indien könne vieles verbessern in den nächsten Jahren. „Aber im Hinblick auf Outsourcing und Produktionsverlagerungen gibt es schon eine Reihe von Hindernissen.“ Hier werde man die Erwartungen etwas zurückschrauben müssen. „Aber als Absatzmarkt für deutsche Unternehmen ist Indien sehr vielversprechend.“ Dies betreffe alle Bereiche, die mit den dort laufenden Modernisierungsprozessen zu tun haben. Dafür würden Maschinen, Verkehrsinfrastruktur oder moderne Gebäudetechnik benötigt. „Es wird dort über Jahrzehnte ein Upgraden und Aufholen stattfinden und in all diesen Bereichen sind ja deutsche Unternehmen und speziell auch der Mittelstand sehr aktiv und stark vertreten.“ Bei der Digitalisierung könne sich Deutschland unglaublich viel von Indien abgucken. „Da ist uns das Land trotz des niedrigen Pro-Kopf-Einkommens um ein Jahrzehnt voraus“, sagt Schularick. (dpa/cs)

Dieser Artikel ist erstmals am 13. September 2023 in der DVZ erschienen. Wir wiederholen den Beitrag online anlässlich des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin. 

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