Psychische Gesundheit: Wie hoch ist die Belastung für Lkw-Fahrer?
Die Zahl der Arbeitsausfälle infolge psychischer Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Corona hat die Lage noch weiter verschlimmert. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Depressionen und Angststörungen allein im ersten Pandemiejahr weltweit um 25 Prozent zugenommen.
Auch in der Logistikbranche sind die Zahlen besorgniserregend. Daten der DAK-Gesundheit zeigen: Die Berufsgruppe „Verkehr, Lagerei und Kurierdienste“ lag 2021 bereits auf Platz vier der häufigsten Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen. Gerade Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer sehen sich oft mit extremen Arbeitsbedingungen konfrontiert, die „ihren Beruf zu einer Hochrisikotätigkeit für ihre Gesundheit machen“, warnt unter anderem Trucksters, ein spanisches Start-up für Transportdienstleistungen, im Rahmen einer im Januar gestarteten Initiative.
Eine Beobachtung, die sich mit einer 2020 durchgeführten Studie der niederländischen Statistikbehörde CBS und der Wissenschaftsorganisation TNO untermauern lässt. Dort wird die Transport- und Logistikbranche zu den zwölf Berufen mit der höchsten mentalen Ermüdung gezählt. In einer weiteren Studie von CBS und TNO geben 18 Prozent der befragten Lkw-Fahrer an, dass sie oft oder sehr oft ein Ungleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben verspüren. Unter den Befragten aller Berufsgruppen zusammen waren es nur 7,6 Prozent.
Eine Initiative will helfen
Von psychischen Erkrankungen wie Burnout Betroffene sehen sich häufig mit Stigmatisierungen konfrontiert. Trucksters und Cristobal, ein Gesundheitsapp-Anbieter für Lkw-Fahrer, wollen genau das nun ändern. In Zusammenarbeit mit Ärzten erhalten die im Auftrag von Trucksters beschäftigten Fahrer seit Januar Zugang zu psychotherapeutischen Online-Therapiesitzungen, die speziell auf die Bedürfnisse von Fahrern zugeschnitten sein sollen. Das Angebot läuft zunächst als Pilotprojekt und soll nach und nach ausgebaut werden.
„Diese Initiative hat einen tieferen Sinn: Eigentlich ist unser Wunsch, dass die Fahrer diese Art von Therapie nicht brauchen, denn das würde bedeuten, dass sie ihren Lebensstil und ihre Arbeit zum Besseren verändert hätten“, erklärt Luis Bardají, CEO von Trucksters. „Leider braucht der Wandel des Sektors Zeit. In der Zwischenzeit wollen wir zumindest einen Beitrag zur psychischen Gesundheit von Kraftfahrern leisten, denn dies ist ein schwieriger Beruf.“
Schwierige Arbeitsbedingungen
Problematisch seien vor allem die schwierigen Arbeitsbedingungen, denen Lkw-Fahrer ausgesetzt sind. „Gerade die Fahrer im Fernverkehr verbringen viele Tage außerhalb ihres Zuhauses und arbeiten, ruhen und schlafen auf engstem Raum in einem Fahrerhaus. Sie stehen unter dem Druck, strenge Fahrpläne sowie Lenk- und Ruhezeiten einhalten zu müssen“, beschreibt Alberto Agulló, Driver Experience Manager bei Trucksters, die Situation. „Andererseits nächtigen sie an Orten, an denen sie wegen der Gefahr von Überfällen und Diebstählen sowohl von Treibstoff als auch von Waren oft nicht gut schlafen können.“
Auch die oft lange Trennung von der Familie sowie ein Mangel an Freizeit und sozialen Aktivitäten kann zu emotionaler Überlastung und psychischem Stress führen, warnt Gabor Balogh, Mitbegründer von Trucksters. Gerade mit Blick auf den dramatischen Fachkräftemangel steht die Branche unter dem Druck, die Bedingungen anzupassen. „Hier kommen eine sorgfältige Routenplanung, klare Grenzen und Spielregeln sowie Förderprogramme ins Spiel“, meint Balogh.
Oft sind es aber auch die schwierigen Arbeitszeiten, die Lkw-Fahrer daran hindern, sich regelmäßig physiotherapeutisch, psychologisch oder auch ernährungswissenschaftlich behandeln zu lassen, weiß Amelia Cantarero, CEO der Cristobal App. Das birgt auch Risiken für die Verkehrssicherheit. „In den mehr als 20 Jahren, in denen wir Fahrer betreuen, haben wir festgestellt, dass sie nur in Notfällen außerhalb der Arbeitszeiten zum Arzt gehen“, so Cantarero. „Die neuen Technologien helfen uns, besser an die Lkw-Fahrer heranzukommen.“
Die Sitzungen werden jeweils an die Bedürfnisse und Zeitpläne der Fahrer angepasst, die Kosten für die Beratungen und Therapiesitzungen übernimmt Trucksters. Die App ist in 16 Sprachen übersetzt, sie geolokalisiert Ärzte und Notdienste, erleichtert Kontakte zu Alkohol- und Drogenrehabilitationszentren und bietet unter anderem Videos, Audios und Empfehlungen zu wichtigen Bereichen wie körperliche Bewegung, Ernährung, Schlaf, Stress und psychische Gesundheit.
„Eigentlich ist unser Wunsch, dass die Fahrer die Therapie nicht brauchen." Luis Bardají, CEO von Trucksters
Pionierarbeit leisten
Berücksichtigt werden muss jedoch auch die Frage, ob Onlinesitzungen geeignet sind, um persönliche Therapiegespräche adäquat zu ersetzen. Bisher seien die Rückmeldungen positiv, für eine Auswertung des Pilotprojektes ist es so kurz nach dem Start aber noch zu früh.
„Wir wollen das Projekt ausweiten, damit jeder, der dieses Angebot benötigt, es auch in Anspruch nehmen kann. Wir sind uns jedoch bewusst, dass es sich um Pionierarbeit in diesem Sektor handelt und dass manche Fahrer möglicherweise zögern, an Therapiesitzungen teilzunehmen“, sagt Balogh. Fakt ist, dass viele Arbeitnehmer noch immer Nachteile befürchten, wenn sie psychische Belastungen gegenüber ihrem Arbeitgeber offenlegen.
„In vielen Berufszweigen wird das Stigma abgebaut, und wir glauben, dass auch im Verkehrswesen ein Wandel stattfinden muss“, ergänzt Agulló. Hinzu kommt die Sorge, dass die mögliche Einnahme von Psychopharmaka negative Auswirkungen auf die Reaktionsgeschwindigkeit und damit auf die Fahrtauglichkeit haben könnte, zeigen Einträge von Lkw-Fahrern in Onlineforen. Ängste, die durch explizite Angebote vom Arbeitgeber selbst genommen werden könnten.