„Das Ende von Krieg wird nicht Frieden sein“
Wie verändert der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die geopolitischen Rahmenbedingungen? Über die Neuordnung der Welt sprach die Sicherheits- und Verteidigungsexpertin Claudia Major am Montagabend im Rahmen der Reihe Munich Economic Debates, zu der die Forscher des Ifo Instituts regelmäßig Vordenker aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik einladen.
Der Vernichtungskrieg, den Russland gegen die Ukraine führe, habe internationale Tragweite, machte Major deutlich. Russland habe eine Veränderung der Ordnung ausgelöst. Der Krieg bedeute eine Zeitenwende für alle europäischen Staaten, sagte Major, die die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik leitet. Daraus ergebe sich eine langfristige strukturelle Veränderung. Es zeichne sich nun eine Konfliktordnung statt einer kooperativ-integrativen Friedensordnung ab, „in der wir versuchen müssen, uns vor Russland zu schützen“.
Langfristig viel Unsicherheit
„Das Ende von Krieg wird nicht Frieden sein“, ist sie überzeugt. „Wir müssen uns auf einen langanhaltenden Konflikt unterhalb der Schwelle eines Krieges einstellen.“ Es gelte anzuerkennen, dass sich Europa künftig wahrscheinlich in einer permanenten Auseinandersetzung mit Russland und auch mit China befinden werde. Dies werde ein Konflikt sein, „der mal mehr, mal weniger ausbricht und auf alle Lebensbereiche ausgeweitet wird, also auch auf die Wirtschaft“, sagte Major weiter. Das bringe viel Verunsicherung mit sich.
Letztlich stelle Russland mit diesem Krieg die Systemfrage. Die Expertin erwartet, dass die USA und China künftig die beiden Zentren sein werden, denen sich die anderen Länder politisch, wirtschaftlich und militärisch zuordnen.
„Dieser Krieg wird auch die Art und Weise ändern, wie Länder über wirtschaftliche Abhängigkeiten denken werden“, ist Major überzeugt. Die Theorie, dass gegenseitige Abhängigkeit zu Annäherung führt und Konflikte verhindert, habe mit Russland nicht funktioniert.
Neugestaltung von Lieferketten: Friendshoring
Damit sei nun auch eine Anpassung im wirtschaftlichen Bereich erforderlich. Die Europäer müssten lernen, mit den Folgen des Ukraine-Krieges, also zum Beispiel den hohen Energiepreisen, umzugehen. Daraus ergeben sich der Sicherheitsexpertin zufolge zahlreiche Themen wie die Neugestaltung von Lieferketten und Produktionsstandorten. „Früher wurden Lieferketten nach Kriterien wie Effizienz, Nachhaltigkeit und Resilienz ausgerichtet“, sagte Major. Nun aber stelle sich vor allem die Frage, wer überhaupt noch ein verlässlicher Partner ist.
In Amerika laufe dieses Thema bereits unter dem Begriff Friendshoring, merkte Major an. Gemeint ist, Lieferketten in vertrauenswürdige Länder zu verlagern, die bestimmten Prinzipien und Regeln folgen. Dies wäre quasi eine Ergänzung zum Reshoring, bei dem es um das Zurückholen von Produktionskapazitäten geht. Die politische Ausrichtung würde damit zum Argument für den Aufbau von Lieferketten in einer bestimmten Region.
„Wann sich China von Russland abwenden könnte?“, wurde Major in München gefragt. Chinas Position sieht die Expertin durchaus ambivalent. Eine ganz klare Positionierung gebe es nicht. „China und Russland werden nicht immer die gleiche Position vertreten. Sie werden sich aber auch nicht gegenseitig aushebeln“, meint die Expertin.
Ifo-Präsident: China dürfte Putin nicht stoppen
Noch immer hoffen viele, dass China allein aus wirtschaftlichen Gründen Russland irgendwann zurückpfeifen und Wladimir Putin zur Räson bringen könnte. Doch das ist nach Einschätzung des Ifo-Präsidenten Clemens Fuest eher unwahrscheinlich. Denn für China sei der Ukraine-Krieg „nicht so schlecht“, vor allem auf die lange Sicht. Zum einen beschäftige der Krieg den Westen. Und zum anderen werde Russland immer schwächer.
„China wird letztlich energiepolitisch einer der großen Gewinner sein“, sagte der Wirtschaftsforscher bei der anschließenden Diskussion. Russland habe sich als unzuverlässiger Energielieferant erwiesen und werde dafür einen Preis zahlen, indem es sein Gas und Öl an China und auch Indien „verramschen“ werden muss, so die Einschätzung von Fuest.
Dieser Artikel ist erstmals am 20. September 2022 auf DVZ.de erschienen. Wir wiederholen den Beitrag anlässlich des Deutschen Logistik-Kongresses in Berlin.