„Deutschland-Tempo“ beim Bau von Autobahnbrücken – geht das?
Vom „Deutschland-Tempo“ sprach Bundeskanzler Olaf Scholz Ende vergangenen Jahres anlässlich der Eröffnung eines LNG-Terminals in Wilhelmshaven. Kein Jahr brauchte es für Planung, Genehmigung und Bau. Möglich wurde dies zum einen durch eine Fokussierung der Planungs- und Genehmigungskompetenzen auf dieses Projekt – und vor allem auf die im LNG-Beschleunigungsgesetz geregelte Aussetzung der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP).
Der LNG-Turbo und die Aussagen des Kanzlers haben natürlich Begehrlichkeiten geweckt. Bei der Union beispielsweise, die diese Regelungen auch für Autobahnbrücken angewendet wissen will und damit im Grunde ganz auf der Linie von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) liegt. Für einen Gesetzentwurf der Bundesregierung hat es bislang aber noch nicht gelangt, da Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) vehement widerspricht.
So haben sich gestern die geladenen Sachverständigen im Verkehrsausschuss des Bundestages über einen entsprechenden Gesetzentwurf der Unionsfraktion ausgetauscht. Einig waren sie sich in der Feststellung, dass es bei Planung und Genehmigung schneller gehen muss. Stephan Krenz, Vorsitzender der Geschäftsführung bei der Autobahn GmbH des Bundes, verwies auf zusätzliche Anforderungen und Richtlinien, die die Planungen in Deutschland immer komplexer machten. So sei der Artenschutz ebenso zu berücksichtigen, wie die UVP und landschaftspflegerische Aspekte. Angehört werden müssten zudem die Belange der öffentlichen Träger sowie der privaten Anrainer und Grundstücksbesitzer. Dabei müsse ein Einvernehmen hergestellt werden.
„Dann geht die Klagerei los“
Ist dann der Bauantrag gestellt, „geht es mit der Klagerei los“, sagte Krenz. Seiner Aussage nach dauert es aktuell zehn Jahre, bis eine etwa 250 Meter lange Standardtalbrücke fertiggestellt ist. Der Bau selbst dauert nur drei Jahre. Es brauche also Erleichterungen bei den vorhergehenden Prozessen, schlussfolgerte Krenz und forderte unter anderem klare Stichtagsregelungen für Einwendungen sowie eine Einschränkung der Klagewege bei Brücken und Engpassbeseitigungen.
„Wir haben Bauunternehmen, die ihre Trupps für den Brückenbau nicht voll auslasten können." Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer beim Verband der Deutschen Bauindustrie
Auch aus Sicht von Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer beim Verband der Deutschen Bauindustrie, sind die Genehmigungen das Hauptproblem und nicht die fehlenden baulichen Kapazitäten, wie immer wieder zu hören ist – Stichwort Fachkräftemangel. Im Brückenbereich, so Müller, hätten sich die Ausschreibungen aufgrund von stockenden Genehmigungen 2022 im Vergleich zu 2021 halbiert. „Wir haben Bauunternehmen, die ihre Trupps für den Brückenbau nicht voll auslasten können“, sagte der Verbandsvertreter.
Hilferuf aus der Region Lüdenscheid
Ralf Stoffels, Vizepräsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), steht hinter dem Gesetzentwurf. Das den LNG-Terminals zugestandene überragende öffentliche Interesse müsse auch für Sanierungsmaßnahmen an Bundesfernstraßen gelten, befand er. Als Unternehmer in der Region um Lüdenscheid selbst von der Sperrung der Rahmedetalbrücke betroffen, sandte er einen „Hilferuf aus der Region“ an den Bundestag. Auf der Umleitungsstrecke seien 20.000 zusätzliche Fahrzeuge unterwegs – davon 6.000 Lkw. Katastrophale Verhältnisse seien das. „Wir brauchen dringend eine Planungsbeschleunigung und einen verlässlichen Plan“, sagte Stoffels. Es brauche ein Enddatum, auf das sich die Unternehmen einstellen können. Die Zukunft der stärksten Wirtschaftsregion in Nordrhein-Westfalen sei zutiefst bedroht, warnte er.
Die Umweltjuristin Cornelia Ziehm hält den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion indes für einen Etikettenschwindel. Zwar stehe Sanierung von Autobahnbrücken obendrauf. Tatsächlich, so ihre Einschätzung, werde aber das Ziel eines weiteren, beschleunigten und nicht begrenzten Neu- und Ausbaus von Bundesfernstraßen überhaupt verfolgt.
UVP-Aussetzung nur bei Einzelfallbetrachtung
Die Juristin betonte zugleich die große Bedeutung der Umweltverträglichkeitsprüfung, „die dem Schutz unserer Lebensgrundlage dient“. In der UVP-Richtlinie sei gleichwohl eine Ausnahmemöglichkeit vorgesehen. Dies dürfe aber nicht pauschal auf gesetzlicher Ebene erfolgen, sondern nur im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung durch die Planfeststellungsbehörde. Andernfalls sei die Aussetzung europarechtswidrig. Der Hinweis auf das LNG-Gesetz zog bei ihr nicht. Auch dieses, so Ziehm, begegne erheblichen europarechtlichen Zweifeln. (sr)