DVZ vor Ort: Wie die Zeitenwende die Logistik der Bundeswehr verändert
Wer den Blick über das Gelände des Bundeswehr-Materiallagers Zeithain schweifen lässt, der kann sich schon vorstellen, woher all das Gerede von der eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Truppe und der bedingten Verteidigungsfähigkeit Deutschlands kommt. Schließlich unterstreicht der Krieg in der Ukraine, welch große Rolle die Logistik in bewaffneten Konflikten spielt. Und die Anlage bei Riesa an der Elbe wirkt nicht gerade wie ein moderner Vorzeigestandort.
Weit verstreut stehen hier die Lagerhallen und Werkstätten. Sie wirken in die Jahre gekommen, dazwischen einige Straßen und viel Wiese. Mit modernen Warehouses, wie man sie aus der zivilen Logistik kennt, hat das wenig zu tun. Dabei ist es nicht irgendein Materiallager. 140 Menschen bewirtschaften hier 70.000 Quadratmeter überdachte Fläche und damit den größten Logistikstandort der Bundeswehr in Ostdeutschland.
Logistik muss mehr leisten
An diesem tristen Februar-Tag hat sich hoher Besuch angekündigt. Generalmajor Gerald Funke ist vor Ort. Er lässt sich alles zeigen, spricht mit den Soldaten, aber auch den zivilen Kräften. Er ist der oberste Logistiker der Bundeswehr und damit der Mann, der die Fäden zusammenhält und mitverantwortlich dafür ist, dass es mit der Zeitenwende klappt. Denn 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr sind nutzlos, wenn nicht schnell ausreichend Material beschafft, vorgehalten und im Kriegsfall ins Krisengebiet gebracht werden kann. „Wir müssen künftig mehr lagern können und deutlich größere Mengen bewegen“, bringt es Funke gegenüber der DVZ auf einen einfachen Nenner.
An der Straße aufgereiht stehen schwere Geländewagen des Typs Eagle. Sie sind in Wüstenfarben gehalten, waren zuletzt in Mali im Einsatz. Die Nähe zum Flughafen Leipzig/Halle, über den viel Equipment aus Auslandseinsätzen eingeflogen wird, macht sich hier bemerkbar.
Auslandseinsätze und internationales Krisenmanagement, darauf wurde die Bundeswehr nach dem Ende des Kalten Krieges ausgerichtet – mit entsprechenden Folgen für die Bundeswehrlogistik. „In den 2010er Jahren haben wir noch Material- und Munitionsläger geschlossen“, erzählt Funke. Nun würden bundesweit wieder acht in Betrieb genommen. „Wir müssen unsere Bestände massiv aufstocken, um eine glaubwürdige Abschreckung insbesondere gegenüber Russland gewährleisten zu können“, so der Top-Militär.
Dabei ist diese Erkenntnis nicht neu. Schon 2014 nach der Annektion der Krim durch Russland habe sich die NATO auf die Landes- und Bündnisverteidigung rückbesonnen, so Funke. Nur ist eben lange nichts passiert. Die Folge: Nun muss es schnell gehen. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vor zwei Jahren werde die Bündnisverteidigung wieder wirklich ernst genommen. „Die Konsequenz ist, dass wir nicht erst 2031, wie nach 2014 beschlossen, voll kriegstüchtig sein wollen, sondern schon 2025.“
Viel Wartung und Instandhaltung
In einer der Hallen arbeiten zwei Mitarbeiter an einem Fuchs-Transportpanzer. Die Fahrzeuge werden nach einem Einsatz generalüberholt, wozu auch diverse Reparaturen gehören. Neben Fachlageristen, Lagerhelfern und Berufskraftfahrern beschäftigt die Bundeswehr in Zeithain daher auch Mechatroniker und Elektroniker.
Die beiden Kollegen machen Inventur. Zehn Soldatinnen und Soldaten finden an Bord des Fuchs’ Platz. Da kommt einiges an Equipment zusammen: vom Beil über Flaggen, Handbücher, Kanister und diverse Riemen bis hin zum Stromgenerator. Punkt für Punkt haken die beiden Soldaten umfangreiche Listen ab, damit die nächste Besatzung alle notwendigen Gegenstände vorfindet.
Hier wird der große Unterschied zur zivilen Logistik deutlich: Just-in-Time funktioniert im Kriegsfall und in Krisengebieten nicht. „Zur Not müssen wir in der Lage sein, alles selbst machen zu können“, sagt Funke. Im Einsatzgebiet arbeiten entsprechend fast ausschließlich militärische Kräfte. Zivile Logistikdienstleister sind für die Bundeswehr aber trotzdem wichtig. Sie übernehmen Teile der Lagerhaltung und würden unterstützen, wenn es darum ginge, große Truppenverbände und viel Material etwa ins Baltikum zu verlagern. Die NATO übt dies bekanntermaßen gerade beim Großmanöver „Steadfast Defender“.
Sorgen bereitet Funke in diesem Zusammenhang der Zustand der deutschen Verkehrsinfrastruktur. Es fehlten die notwendigen Trassen auf der Schiene, um große Mengen schnell bewegen zu können. Zudem seien viele Brücken wegen ihres schlechten Zustandes ein Nadelöhr. Und auch die Bundeswehr leidet – man glaubt es kaum – unter der deutschen Kleinstaaterei bei den Anmeldungen von Schwerguttransporten.
Umfangreiche Investitionen
In Zeithain bringt die Bundeswehr derweil ihre eigene Infrastruktur auf Vordermann. Die Lagerlogistik werde umfangreich modernisiert, „inklusive Teilautomatisierung“, wie der Standort-Kommandeur gegenüber der DVZ betont. Warum nur Teilautomatisierung, wenn man doch schon einmal dabei ist? „Eine vollständige Automatisierung würde uns wenig bringen“, sagt er. „Dafür ist der Durchsatz nicht hoch genug.“
Das Prunkstück des Standortes ist indes der Containerverladebahnhof samt Containerbrücke und umfangreichem Waggon-Pool. Da die Bundeswehr hier auch zwei leistungsstarke und entsprechend schwere Reachstacker einsetzt, wurde der Belag gerade erst für Schwergüter ertüchtigt und entsprechend erneuert. Erst kürzlich angeschafft wurden zudem 23 leuchtend rote Containertragwagen der Deutschen Bahn. Allerdings würden auch von Zeithain aus die meisten Transporte mit dem Lkw abgewickelt. „Die Schiene ist sehr preissensitiv“, heißt es gegenüber der DVZ. Da ist sie doch – die große Gemeinsamkeit zwischen der Bundeswehr- und der zivilen Logistik.
Die DVZ besucht interessante Orte, Menschen und Unternehmen der Logistikwirtschaft. Weitere Beiträge aus der Reihe „DVZ vor Ort“ sind online zu finden.