Studie: EU-Seehäfen müssen bis 2034 etwa 80 Milliarden Euro investieren
In den kommenden zehn Jahren müssen die EU-Seehäfen schätzungsweise 80 Milliarden Euro in ihre Infrastruktur investieren. Zu diesem Schluss kommt eine im Auftrag des Seehafenverbandes ESPO erstellte Studie, die voraussichtlich am 29. April veröffentlicht werden soll. Bei der Summe handele es sich nur um die Investitionen, die von den Betreibern der Häfen gestemmt werden müssen, sagte Studienautor Peter de Langen von der Beratungsgesellschaft Ports & Logistics Advisory am Freitag beim ESPO-Jahreskongress in Paris. Dazu kämen noch Investitionen privater Partnerunternehmen, etwa in Offshore-Windanlagen, Elektrolyseure oder neue Containerterminals. Diese könnten sich noch auf „ein Vielfaches“ der 80 Milliarden Euro belaufen.
84 EU-Häfen haben sich an der Studie beteiligt. Klassische Erweiterungsprojekte bleiben für sie wichtig, verlieren laut de Langen aber an Bedeutung. Deutlich gestiegen auf 23 Prozent sei der Anteil der geplanten Projekte, die unmittelbar mit der veränderten neuen Energienutzung im Zusammenhang stehen oder mit Klima- und Umweltschutzpolitik. „Der Wandel erklärt sich damit, dass Häfen ihr Dienstleistungsangebot ändern wollen“, sagte de Langen. Etwa indem sie Anlagen für die Landstromversorgung oder für die Versorgung mit anderen alternativen Energieträgern, Ladesäulen für Lkw, Pipelines für Wasserstoff oder Kohlendioxid bauen oder grünen Strom erzeugen. Sie erhofften sich durch die veränderte Infrastruktur neue Geschäfte in der Zukunft.
Kosten sind deutlich gestiegen
Viele geplante Projekte seien schon ausführungsreif, allerdings stehe häufig die Finanzierung noch nicht. Wenn noch kein Geschäftsmodell existiere, die Projekte aber einen klaren Nutzen für die Gesellschaft hätten, sei öffentliche Förderung angezeigt, sagte de Langen. 40 Prozent der Projekte würden auch aus nationalen und regionalen und 30 Prozent aus europäischen Kassen unterstützt. Allerdings machten die stark gestiegenen Kosten für Baumaterial und Energie sowie hohe Inflationsraten die Investitionen viel teurer, als sie vor Jahren gewesen wären. „Dadurch geraten Geschäftsmodelle unter starken zusätzlichen Druck“, sagte de Langen. Lange und komplizierte Genehmigungsverfahren nannte er als weiteres Problem.
Viele der in Paris versammelten Hafenvertreter bestätigten, dass sie die Energiewende und die Klimaschutzpolitik sowie der damit einhergehende Zwang, neue und ungewohnte Geschäftsmodelle zu entwickeln, vor große Herausforderungen stellen. Das Kerngeschäft mit dem Umschlag von Gütern schrumpfe, sagte etwa Daan Schalck, CEO des belgisch-niederländischen North Sea Port. Die Einkünfte daraus machten bereits nur noch 38 Prozent aus. Um künftig wichtige Kunden zu halten, müssten sich die Häfen für die Schaffung der nötigen Bedingungen einsetzen und zum Beispiel die Rolle von Organisatoren spielen. Setze ein Hafen etwa auf langfristige Geschäfte mit einem Stahlwerk, das künftig klimafreundlich produzieren muss, sollte er sich Gedanken machen, wer dafür Wasserstoff anliefern, verflüssigen oder entsprechende Pipelines bauen kann, sagte Schalck.
Funktionierende Geschäftsmodelle fehlen häufig
Für viele dieser Investitionen gebe es aber derzeit noch kein funktionierendes Geschäftsmodell, unterstrichen zahlreiche Hafenvertreter. Bei der ESPO-Konferenz wurde deutlich, dass viele sich Sorgen um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie machen, auch der maritimen Branche. Ein besonders von südeuropäischen Vertretern mehrfach angesprochenes Problem ist die Furcht, dass EU-Häfen Umschlagvolumen verlieren, weil Schiffe auf internationalen Routen versuchen könnten, Stopps in der EU zu vermeiden und Waren lieber in außereuropäischen Häfen umzuschlagen, um sich den Kauf von EU-Emissionsrechten zu sparen.
EU soll neue Industriepolitik entwickeln
Kein Hafenvertreter stellte die europäische Klimaschutzpolitik offen infrage. Es gab aber Rufe nach einer entschlosseneren EU-Industriepolitik. Jacques Vandermeiren, Chef des Hafens Antwerpen/Brügge, forderte zum Beispiel ein EU-Subventionsinstrument, das ähnlich einfach und berechenbar sei wie der Inflation Reduction Act der USA. Vandermeiren erinnerte an die kürzlich verabschiedete und von vielen Industrieunternehmen unterzeichnete Erklärung von Antwerpen. „Darin heißt es sehr deutlich: Wenn das Element Wettbewerbsfähigkeit nicht in den Green Deal integriert wird, dann werden wir diesen nicht realisieren können.“ Dann werde es bei einem „Green Dream“ bleiben. „Wir müssen als europäischer Kontinent im globalen Wettbewerb überleben können“, unterstrich Vandermeiren.
Herald Ruijters, stellvertretender Generaldirektion für Verkehr in der EU-Kommission, sagte, angesichts des fortschreitenden Klimawandels sei der Green Deal unverzichtbar, und es müsse jetzt rasch investiert werden, weil es später noch viel teurer werde. Er erinnerte daran, dass die Überflutungen im Ahrtal, in Belgien und anderen EU-Staaten in einer Nacht Schäden verursacht hätten, die höher seien als das siebenjährige Budget des EU-Finanzierungsinstruments Connecting Europe Facility (CEF).
Unternehmen stehen vor „Investitionsmauer“
Es müsse aber Unterstützung für den Strukturwandel geben, gerade dort, wo private Investoren keine Geschäftsmodelle sähen. Hier sollten einige „Schlüsselinvestitionen“, auch in den EU-Häfen, identifiziert werden, und dann müsse man mit Hilfe von Fördermitteln versuchen, europäische Märkte mit einer „kritischen Masse“ zu schaffen, so dass dann auch private Geldgeber einsteigen, sagte Ruijters. „Wir müssen die Investitionsmauer durchbrechen“, mahnte er.
Als eine Quelle für mehr öffentliche Fördergelder gelten die Einnahmen aus dem EU-Emissionshandel, die über Instrumente wie den EU-Innovationsfonds verteilt werden können. Ein Konferenzteilnehmer zitierte eine Schätzung, wonach durch den Emissionshandel in zehn Jahren etwa 60 Milliarden Euro in die öffentlichen Kassen fließen könnten. Ruijters wies darauf hin, dass dieses Geld nicht ausschließlich der Verkehrsbranche zur Verfügung steht.
Delli will EU-Haushaltstitel für maritime Wirtschaft
Für den Kommissionsdirektor müssen im nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen (MFR) für die Jahre ab 2028 die Weichen für die Finanzierung des Green Deals gestellt werden. ESPO habe mit der Studie über den Investitionsbedarf schon einmal eine Grundlage, sich in den bald beginnenden Diskussionen über den MFR für die Bedürfnisse der Hafenwirtschaft einzusetzen. Karima Delli (Grüne), scheidende Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, rief die Konferenzteilnehmer auf, sich für einen speziellen EU-Haushaltstitel für die maritime Wirtschaft starkzumachen.