Woran es beim E-Frachtbrief noch hakt
Jetzt kann es losgehen. Der Bundestag hat den Weg für den elektronischen Frachtbrief in Deutschland Ende September frei gemacht. Die Bundesrepublik ist damit jedoch kein Vorreiter. Ganz im Gegenteil. 29 Länder haben sich dem sogenannten E-CMR-Protokoll über die internationale Güterbeförderung im Straßengüterverkehr zuvor angeschlossen; darunter etwa das gesamte Baltikum, Rumänien und der Iran. Nun kann das digitale Frachtpapier auch hierzulande verwendet werden – zu spät, monieren zahlreiche Branchenvertreter.
Wie Ismael Ertug, Mitglied des Europäischen Parlaments. Für ihn sei dieser Schritt längst überfällig gewesen, weil dadurch der Transport der Ladung weniger betrugsanfällig werde, sagt der Sozialdemokrat. Seine Partei habe das seit langem gefordert, konnte es aber nicht „erzwingen“, da es sich um eine Verordnung der Vereinten Nationen handele, die die EU-Mitgliedsstaaten ratifizieren müssen. „Dass Deutschland dies nun endlich getan hat, ist natürlich erfreulich. Dennoch stellt sich die Frage, warum das überhaupt so lange gedauert hat. Hier hätte man viel schneller und effizienter im BMVI handeln müssen“, meint Ertug.
Tatsächlich hat die Entwicklung eines E-Frachtbriefs im Mai dieses Jahres begonnen, berichtet Michael Schmidt, strategischer Leiter des Projekts Silicon Economy am Fraunhofer IML. Das Projekt wird vom Bundesverkehrsministerium mit 25 Millionen Euro gefördert und stellt die Plattformökonomie in der Logistikbranche in den Mittelpunkt der Forschungsarbeit.
Der digitale Frachtbrief sei in diesem Kontext lediglich ein Baustein, wenn auch ein nicht ganz unwesentlicher. Grundsätzlich gehe es darum, monopolistische Strukturen zu vermeiden und die digitale Souveränität in Deutschland zu behalten und nicht an die großen US-amerikanischen oder chinesischen Tech-Unternehmen zu verlieren.
Wir wollen eine Lösung kreieren, die auf Standards basiert.
Michael Schmidt, strategischer Leiter Silicon Economy am Fraunhofer IML
Um Kräfte zu bündeln, Entwicklungsaufwände zu reduzieren und eine hohe Marktdurchdringung zu erreichen, wird auf ein Open-Source-Modell gesetzt. Deshalb arbeite aktuell ein siebenköpfiges Team an der Entwicklung eines Codes, der dem Markt anschließend kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. „Wir wollen eine Lösung kreieren, die auf Standards basiert und dadurch für Kompatibilität unter allen Branchenteilnehmern sorgt“, sagt Schmidt.
Das Problem sei aktuell nämlich, dass viele Unternehmen ihre eigenen Lösungen entwickeln, die allerdings unterschiedliche Datenstrukturen nutzen; dies wiederum führe zu zusätzlichen Integrationsaufwänden. „Für ein Problem werden 100 verschiedene Lösungen programmiert. Das ist weder zielführend noch effizient.“ Die technische Funktionalität des Fraunhofer-Codes könne so, wie sie ist, genutzt oder von Unternehmen beliebig weiterentwickelt sowie in die bestehende interne digitale Infrastruktur integriert werden.
Mitwirken aller Parteien notwendig
Unterstützung für diese Lösung kommt mit Dachser von einem der Branchenführer. Chief Development Officer Stefan Hohm sagt, dass der Konzern alle Aktivitäten unterstütze, die die Digitalisierung von papierbasierten und manuellen Prozessen vorantreiben. So auch den E-Frachtbrief. „Für eine erfolgreiche Umsetzung ist jedoch das Mitwirken aller Beteiligten in der Supply Chain notwendig. Mit dem Engagement in der aktuell gegründeten Open Logistics Foundation verfolgen wir einen Ansatz, um die Digitalisierung in der Supply Chain über gemeinsame Standards voranzutreiben und zu operationalisieren“, sagt Hohm.
Wenn Kunden nicht mitziehen, hilft der E-CMR nicht viel.
Gerd Röttger, Geschäftsführer von In Time Express Logistics
In dieselbe Kerbe schlägt Gerd Röttger, Geschäftsführer von In Time Express Logistik: „Wenn Kunden oder Partner nicht mitziehen, hilft der E-CMR nicht viel. Die große Herausforderung und gleichzeitig der größte Nutzen liegen also darin, unternehmens- und auch grenzübergreifend eine Plattform zum Austausch von Frachtinformationsdaten, zu denen auch der E-CMR gehört, zu schaffen. Denn ein E-CMR ist nur so gut wie die Menge an Zugängen, die Unternehmen allen Beteiligten zu diesen Daten gewähren – im In- und Ausland.“
Um Mehrwerte zu schaffen und Ineffizienzen zu vermeiden, braucht es jedoch eine gewisse Bereitschaft zur Transparenz. Dazu waren europäische Transport- und Logistikunternehmen bislang kaum bereit. Zu groß waren die Bedenken, durch das Teilen von Informationen Wettbewerbsvorteile zu verlieren. Dabei zeigen andere Märkte, wie beispielsweise die USA, wo Daten seit Jahren anonym mit dem Markt geteilt werden, dass diese Befürchtungen nahezu unbegründet sind. Darüber hinaus hängt dem E-CMR das Narrativ an, nichts in der Hand zu haben, wenn es kein physisches Frachtpapier gibt.
Bei Warenwerten, die schnell in die Millionen gehen können, eine verständliche Befürchtung, oder? Nein, sagt Schmidt. Denn jeder Frachtbrief erhält eine digitale Signatur und einen unverwechselbaren Hashkey, der aus den im Frachtbrief enthaltenen Daten errechnet wird – eine Art Transaktionsnummer, die anschließend zum Beispiel in einer Blockchain gespeichert wird. „Wir können über den Hashkey zeigen, dass die Daten nicht verändert wurden.“ Somit sei das Verfahren sicher und könne als gültiges Beweismittel dienen.
Beim Bundesverband Güterkraftverkehr und Entsorgung (BGL) ist man sich da nicht ganz so sicher. Zwar mache sich der Transport- und Logistikverband bereits seit langem für die Einführung elektronischer Frachtdokumente stark und begrüße daher auch außerordentlich, dass die Bundesregierung dieser Forderung nachgekommen sei, doch dabei dürfe es nicht bleiben, sagt BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt. Bestehende Rechtsunsicherheiten müssten jetzt schnell behoben werden.
Rechtliche Bedenken
Denn sowohl beim praktischen Einsatz im nationalen als auch internationalen Verkehr hat der BGL Bedenken: Im zivilrechtlichen Bereich gebe es etwa Rechtsunsicherheiten bezüglich der Beweiskraft elektronischer Frachtdokumente sowie elektronischer Signaturstandards. Im Bereich des öffentlichen Rechts stelle sich die Problematik der Akzeptanz aufseiten der Steuerbehörden, des Zolls oder auch des Bundesamts für Güterverkehr (BAG) als derjenigen Behörde, die mit Hilfe elektronischer Frachtdokumente die Einhaltung von Sozialvorschriften deutlich besser kontrollieren könnte. „In diesem Zusammenhang ist auch die Synchronisierung von internationalen und nationalen Frachtdokumenten zentral, um beispielsweise bei der Kontrolle von Kabotage sicher feststellen zu können, wie viele nationale Transporte innerhalb des Betrachtungszeitraumes tatsächlich durchgeführt wurden“, führt Guido Belger, Leiter der BGL-Rechtsabteilung, aus.
Zur Lösung dieser rechtlichen Unklarheiten empfiehlt Belger, dass diese im Rahmen eines Runden Tisches erörtert werden. Daran teilnehmen sollten die zuständigen Ministerien – Verkehr, Finanzen, Arbeit und Soziales sowie Justiz – und die jeweiligen nachgeordneten Kontrollbehörden wie der Zoll, Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), BAG und die Polizeibehörden sowie die betroffenen Stakeholder aus der Wirtschaft. „Die Schaffung von Rechtssicherheit und Klarheit ist letztlich für die betroffenen Akteure ein hohes Gut, das gewährleistet werden muss“, betont der Rechtsexperte. Das Bundesverkehrsministerium als hauptverantwortliche Instanz bewertet einen Großteil der Bedenken aus der Branche jedoch als weniger problematisch.
Bei einer umfangreichen Befragung der zuständigen Ressorts, welche Hindernisse der Verwendung elektronischer Frachtdokumente entgegenstehen, habe es weder vonseiten der Steuerbehörden noch vonseiten des Zolls Akzeptanzprobleme gegeben, erklärte eine Sprecherin auf DVZ-Anfrage. In Steuerfragen könne ein Frachtbrief beispielsweise relevant sein, um den Export eines Gutes zu belegen. Nach Auskunft des Bundesfinanzministeriums ist es im Umsatzsteuerbereich – um den es hier geht – möglich, alle Belege auch elektronisch einzureichen. Das Zollverfahren der EU sei darüber hinaus ebenfalls weitgehend digitalisiert.
Wie beweiskräftig ist der E-Frachtbrief?
Bezüglich der Beweiskraft des elektronischen Frachtbriefs stellt die derzeitige Rechtsprechung lediglich die Anforderung auf, dass die Authentizität gewahrt werden muss. Wann dies der Fall ist, hänge vom Stand der Technik ab, erklärt das BMVI. Demnach dürften die Nutzer auf der sicheren Seite sein, die eine qualifizierte elektronische Signatur verwenden.
Im Kontrolldienst werde die digitale Vorlage der Begleitpapiere ebenfalls akzeptiert, wenn keine Verdachtsmomente bestehen, die an der Authentizität des Begleitpapiers zweifeln lassen. Im Zweifelsfall müsse das Dokument dann aber tatsächlich doch in Papierform vorgelegt werden, erklärt das Ministerium. Dabei liege die alleinige Verantwortung, die Daten in geeigneter Form lesbar vorzuzeigen, bei dem ausführenden Transportunternehmen respektive deren Fahrerinnen und Fahrern.
Wenn es um die Kontrollen des BAG geht, bestehe aktuell keine Rechtsgrundlage, die explizit dazu verpflichtet, bei einer erlaubnispflichtigen Güterbeförderung im Inland vertragliche Frachtbeförderungsdokumente im Rahmen von Straßenkontrollen herauszugeben. Es bestehe lediglich die Verpflichtung, ein Begleitpapier während der gesamten Fahrt mitzuführen. Zwar werde in der Kontrollpraxis in der Regel der physische Frachtbrief vorgelegt; eine gesetzliche Pflicht bestehe jedoch nicht.
Das soll sich jetzt ändern. Die rechtliche Grundlage für die staatliche Einsichtnahme in elektronische Frachtpapiere findet sich künftig in der EU-Verordnung 2020/1056. Somit stellt der CMR-Frachtbrief künftig ein notwendiges Begleitpapier für Kontrollen des BAG dar – unabhängig, ob physisch oder digital. Alle gesetzlich geforderten Angaben müssen während der Beförderung nicht mehr nur mitgeführt, sondern Kontrollberechtigten auf Verlangen zur Prüfung vorgezeigt werden. Dies sei auch möglich, indem dem Kontrolleur das Dokument auf einen Bildschirm in lesbarer Form gezeigt wird. Nicht erfüllt sei die Anforderung hingegen, wenn technische Ausrüstung aufseiten der Kontrollbeschäftigten erforderlich wäre, um das Dokument lesen zu können.
BAG digitalisiert Kontrollverfahren
Das BAG arbeitet nach Aussage des BMVI aktuell an der Digitalisierung seiner Kontrollprozesse. Zur Frage, wie weit dieser Prozess fortgeschritten sei, erklärte das BAG, ein digitales Kontrollfahrzeug zur Serienreife gebracht zu haben, welches sukzessive im gesamten Straßenkontrolldienst eingeführt werden soll. Das Fahrzeug ist mit digitaler Sensorik ausgestattet und überprüft Lkw im Vorbeifahren binnen Sekunden auf etwaige Verstöße. Auch die nachgelagerte Bearbeitung beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) sei Bestandteil des digitalisierten Kontrollprozesses. Darüber hinaus erwartet das BAG im Jahr 2025 mit der Einführung und Nutzung von E-FTI (elektronische Frachttransportinformationen) eine flächendeckende Optimierung im Kontrollablauf.
Gemeinsam mit BMVI und den Logistikverbänden setze die Behörde sich aktuell dafür ein, kontrollrelevante Daten hinsichtlich Beförderung und Fracht möglichst umfänglich über Schnittstellen zur Verfügung zu stellen. Hierdurch würde der Kontrollvorgang vereinfacht und beschleunigt, die Kontrolle schließlich zielgenauer, indem bestimmte Daten bereits im fließenden Verkehr geprüft werden können.
„Können morgen schon loslegen“
Sind die rechtlichen Bedenken, die vermeintlich noch vorliegen, erst einmal ausgeräumt, steht einer unmittelbaren sowie flächendeckenden Nutzung des E-Frachtbriefs nicht mehr viel im Weg, meint Bastian Späth, Vorstand des IT- und Softwareentwicklers Eikona AG: „In der Organisation der Abläufe bedeutet der E-CMR keine größere Umstellung. Die Sendungsdaten liegen ohnehin digital vor. Über unsere App zur Toursteuerung hat der Lkw-Fahrer die Transportdaten dann digital zur Hand. Für sämtliche Prüfprozesse ist das signierte PDF-Dokument immer abruf- und vorzeigbar. Einzige Voraussetzung für die Nutzung eines solchen E-CMR ist also ein mobiles Endgerät mit ausreichend aufgeladenem Akku. Damit können wir morgen schon loslegen.“
Ob die Umstellung auf diese durchdigitalisierten Prozesse tatsächlich so barrierefrei abläuft und auf breitflächige Akzeptanz bei den Marktteilnehmern stößt, wird sich allerdings noch zeigen müssen. Der Anfang ist gemacht.
Die Schaffung von Rechtssicherheit muss gewährleistet werden.
Guido Belger, Leiter der Rechtsabteilung beim BGL