LKW-Demo: Transportunternehmer kämpfen für fairen Wettbewerb
Um kurz nach 10 Uhr am Freitagmorgen an der Straße des 17. Juni in Berlin hat die Polizei sich bereits in Stellung gebracht und den Berufsverkehr großräumig umgeleitet. Noch ist kein LKW in Sicht, die Straße wie leer gefegt. Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Eine Anflug von Getöse ist in der Ferne schon wahrzunehmen. Mit jedem Schritt in Richtung Siegessäule wird die Geräuschkulisse dröhnender. Erst einige Minuten später lässt sich ein LKW-Korso am Horizont erspähen, der sich in Schrittgeschwindigkeit seinen Weg in Richtung Siegessäule bahnt - dort, wo sich jene Demonstranten, die ohne Fahrzeug an der LKW-Demo in Berlin teilnehmen, dem Zug anschließen sollen. Allerdings haben sich nur eine Handvoll Unterstützer eingefunden, um die Demo zu Fuß zu begleiten.
Hupen gegen Sozialdumping
Zumindest akustisch wird diese Lücke aber durch die schätzungsweise fast 200 Hörner der teilnehmenden Sattelzüge kompensiert. Im Auge des Demo-Sturms geht einem der ohrenbetäubende Lärm durch Mark und Bein. Neben dem alles durchdringenden Hupgeräusch fällt es zwar schwer, sich auf etwas anderes als einen drohenden Tinnitus zu konzentrieren, die Plakate im Kühlergrill der Zugmaschinen stechen aber dennoch ins Auge: „R.I.P. Klein- und Mittelstand“, „Kabotage ist Sabotage an unseren Unternehmen“ oder „Sie essen nur, solange wir liefern“ steht darauf geschrieben. Es sind markige Sprüche, die inhaltlich die Forderungen der Demo Initiatoren „BLV pro Initiative“ widerspiegeln:
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Mindestpreis pro Kilometer bei Komplettladungen
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Anhebung der Strafen bei Verstößen gegen geltendes EU-Recht
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Kabotage-Stopp gemäß Artikel 10 der VO 1072/2009 für die Dauer von sechs Monaten
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Abschaffung der Frachtvermittlung für Unternehmen ohne gültige Erlaubnis nach §3 abs. 1. GüKG
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Gezielte Großkontrollen in Bezug auf Kabotage-Regelungen insbesondere bei den Hotspots (Automobilwerke, Versandhäuser, Lebensmittelkonzerne)
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Untersagung der Anmietung von Fahrzeugen durch deutsche Niederlassungen im EU-Ausland
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Gleiche Bedingungen zur Vermeidung von Sozialdumping sowie arbeits- und sozialrechtliche Standards für alle Teilnehmer am Güterkraftverkehr der EU
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Freigabe der Mautdaten für Kontrollen des Bundesamts für Güterverkehr (BAG)
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Manipulationssichere digitale Überwachung der Kabotage-Regelung
„Hätten uns mehr Teilnehmer gewünscht"
Hört man sich unter den Teilnehmern etwas um, wird schnell klar, dass nicht alle Demo-Teilnehmer diese Forderungen als dringlich oder realistisch durchsetzbar wahrnehmen wie beispielsweise die Freigabe der Mautdaten. Dafür ist die Forderung nach einer besseren sowie stärkeren Kontrolle der Kabotage-Regelungen nahezu einheitlich. So naiv zu glauben, dass sich die Politik unmittelbar nach dieser LKW- Demo auf die Forderungen zubewegt, ist hier jedoch auch niemand. Dafür sei ist die Teilnehmerzahl in Relation zur Gesamtzahl aller kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Branche auch zu gering.
„Wir hätten uns auf jeden Fall mehr Teilnehmer gewünscht. Wir haben auch Kontakt zu sehr vielen Kollegen auch mit eigenem Fuhrpark, die aber alle erst mal abwarten wollten, wie es heute hier überhaupt vorwärts geht, die teilweise auch ein bisschen ängstlich waren“, sagt Markus Grenzer, Geschäftsführer der Maintaler Express Logistik, der nach eigenen Angaben mit 14 eigenen LKW vor Ort teilnimmt.
BGL gibt nur teilweise Rückendeckung
Auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) habe zwar Verständnis dafür, dass die wirtschaftliche Situation für viele Transportunternehmen durch die Coronakrise noch schwieriger geworden sei und deshalb ein Ventil für den Unmut gesucht werde. Aber da sich der BGL jedoch auf verschiedensten Ebenen mit Politik und Behörden in konstruktiven und erfolgversprechenden Gesprächen über Verbesserungen und Erleichterungen für das deutsche Transportlogistikgewerbe befinde, und die zu erwartenden Erfolge durch eine Teilnahme an Demonstrationen gefährdet sehe, werde sich der BGL auch an dieser Demo nicht beteiligen. „Jetzt ist für uns nicht der Zeitpunkt für öffentliche Protestveranstaltungen“, sagte BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt auf DVZ-Nachfrage.
Die Forderung nach gleichen Bedingungen sowie arbeits- und sozialrechtlichen Standards für alle Teilnehmer am Güterkraftverkehr in der EU werde demnächst aber ohnehin durch Verabschiedung und anschließende Umsetzung des EU-Mobilitätspakets ein Stück weit Realität, ergänzt Engelhardt. Für unrealistisch hält der BGL dagegen die Forderung nach einem staatlich vorgeschriebenen Mindestfrachtpreis: "Das ist im EU-Binnenmarkt des 21. Jahrhunderts nicht vorstellbar."
Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) erklärte zu der dringlichsten Forderungen bezüglich der Einhaltung von Kabotage-Regelungen, dass bereits weitere Schwerpunktkontrollen geplant seien. Die Ergebnisse würden im Anschluss sorgfältig ausgewertet und in die Weiterentwicklung von Kontrollkonzepten einfließen. Darüber hinaus bestehe eine Zuständigkeit für Betriebskontrollen bei den jeweiligen Genehmigungsbehörden der Länder. Das BAG unterstütze zudem mit eigenen Betriebskontrollen.
„Das war nicht das letzte Mal"
Doch auf Veränderung warten und mit den Händen in der Hosentasche untergehen, möchte auf der LKW-Demo niemand. Für die meisten Teilnehmer vor Ort ist die Berliner LKW-Demo eine Initialzündung. Auch für Jann-Hendrick Dirks. Er ist „ganz normaler Bauer“, wie er sagt und am Freitag gemeinsam mit ungefähr 30 weiteren Landwirten ebenfalls zur Demo gekommen, um sich mit den Forderungen der kleinen- und mittelständischen Unternehmen zu solidarisieren. „Wir als Landwirte haben gemerkt, dass sich durch unseren Protest der vergangenen Monate etwas bewegt im politischen Berlin. Da kam mir die Idee, die LKW-Demo in Berlin zu unterstützen und künftig gemeinsam zu protestieren, um unseren systemrelevanten Branchen noch mehr Gehör in Berlin zu verschaffen.“ Dem Vernehmen nach ist der Schulterschluss von Landwirten mit kleinen- und mittelständischen Transportunternehmen auf der LKW-Demo in Berlin endgültig vollzogen worden und soll in künftigen Protestaktionen beibehalten werden.
Auch der Unternehmer Hermann Goudschaal, Inhaber von Goudschaal Transporte, ist sich sicher: „Das war nicht das letzte Mal, dass wir nach Berlin gekommen sind, um uns Gehör zu verschaffen. Ich denke, dass hier so 200 LKW stehen; das nächste Mal stehen hier doppelt so viele oder sogar das Dreifache.“