Open Logistics Foundation: Die Branche bündelt ihre Kräfte
Ein funktionierender Wettbewerb macht Unternehmen stärker. Getreu dem Motto: Konkurrenz belebt das Geschäft. Aber wo greift diese Maxime gerade in Krisenzeiten eigentlich noch, und wo lohnt es sich, Kräfte zu bündeln, um die Lieferketten der Zukunft resilienter zu gestalten?
„Kollaborationen und ein gesunder Wettbewerb können nebeneinander existieren. Wir sind alle Freunde von offenen Märkten. Aber bitte nur da, wo es sinnvoll ist“, sagt Merlin Müller, Geschäftsführer der Hamburger Spedition Sitra. Die vergangenen Jahre waren von unzähligen Krisen und Herausforderungen geprägt. Davon ist auch das Mindset in der Logistikbranche nicht unberührt geblieben.
„Die Unsicherheit ist größer bei den Leuten, deswegen rücken sie näher zusammen. Als Corona losging, hatten alle ein riesiges Fragezeichen im Gesicht“, erinnert sich Müller. Die Branche steht vor der gewaltigen Herausforderung, Prozesse vom Papier ins Digitale zu heben. Der Transformationsdruck ist groß, doch je mehr Plattformen und Datensilos entstehen, desto ineffizienter werde auch die Zusammenarbeit entlang der Lieferkette.
An einen Tisch setzen
„Die Firmen sind nicht richtig miteinander vernetzt und arbeiten daher operativ oft nicht partnerschaftlich miteinander. Das schafft riesige Ineffizienzen und Probleme“, beobachten Frederic Krahforst und Tobias Nendel, die 2020 aus dieser Erkenntnis heraus das Start-up Tradelink gegründet haben. „Verlässliche und reibungslose Lieferketten brauchen kollaborative Lösungen, um gemeinsam Prozesse zwischen Lieferanten, Spediteuren und Empfängern zu optimieren.“
In der Branche stehen sie mit dieser Überzeugung nicht mehr alleine da. Im Zeichen der Krisen und der Unsicherheiten hat ein Umdenken stattgefunden. „Die Firmen realisieren jetzt, dass sie sich an einen Tisch setzen und reden müssen, um einen Prozess zu finden, der für alle optimal ist“, meint Krahforst.
Eine Stiftung entsteht
Eine Entwicklung, die 2021 auch die Entstehung der Open Logistics Foundation geprägt hat. Gegründet wurde die Stiftung von den Unternehmen Dachser, DB Schenker, Duisport und Rhenus sowie dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML. Sie bietet Logistikunternehmen freien Zugang zu digitalen Technologien, Standards und Prozessanbindungen.
Ziel ist es, einen offenen Standard für die Digitalisierung logistischer Prozesse zu etablieren und damit eine gemeinsame Basis für die Kommunikation und den Informationsaustausch herzustellen. „Digitale Innovationen sind der Schlüssel für Effizienz. Und wenn wir die Logistik erfolgreich digitalisieren wollen, müssen wir Silostrukturen überwinden“, meint Dieter Sellner, Head of Digital Transformation bei DB Schenker.
„Eine engere Zusammenarbeit, gemeinsame Standards sowie durchgängige Systeme und Lösungen helfen dabei, auf Herausforderungen besser reagieren zu können“, ergänzt Markus Sandbrink, Chief Information Officer Group IT bei Rhenus. Durch die Bündelung von Ressourcen und Know-how sollen auch die Lieferketten stabiler und flexibler werden.
Das erste Projekt der Open Logistics Foundation war die Entwicklung einer Software zur Verarbeitung elektronischer Landfrachtdokumente (eCMR). Um dies zu ermöglichen, mussten neben den technischen Voraussetzungen aber auch die notwendigen Rahmenbedingungen wie die Verordnung (EU) 2020/1056 über elektronische Frachtbeförderungsinformationen geschaffen werden, erläutert Sellner. Weitere Projekte im Bereich Geolokalisierung in Echtzeit oder Datenmanagement in der Luftfracht sind gerade in der Startphase.
IT-Kräfte dringend gesucht
Müller sieht in Kollaboration aber auch den Schlüssel, um dem schlechten Branchenruf und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „Durch Kollaboration würden wir wieder mehr auf Augenhöhe miteinander reden und viele Dinge gemeinsam lösen. Der Fachkräftemangel kommt nicht von ungefähr, sondern ist am Ende auch das Ergebnis einer toxischen Kultur in der Branche.“
Hinzu kommt, dass es laut Bitkom 2022 rund 137.000 offene Stellen für IT-Fachkräfte in Deutschland gab. Auch Logistikunternehmen fällt es zunehmend schwer, entsprechende Positionen zu besetzen. „Durch Kollaboration wird der Aufwand für Lösungen von generellen Aufgabenstellungen, die sonst jeder alleine bewältigen müsste, reduziert, und Kapazitäten werden frei für echte Innovationen und Differenzierung“, sagt Sandbrink. Wichtig sei es aber, dafür Sorge zu tragen, dass die Daten der Kollaborationspartner in gemeinsamen Plattformen geschützt bleiben.
Mittelstand profitiert
Inbesondere für kleine und mittlere Unternehmen bietet sich durch Open Source die Chance, die frei verfügbaren Lösungen gewinnbringend zu nutzen. So kann die Digitalisierung im eigenen Unternehmen vorangetrieben werden, ohne dafür massiv in Technologie investieren zu müssen, erklärt Sellner.
„Für uns als kleines Unternehmen ist es eine tolle Möglichkeit, Einfluss auf die Softwaregestaltung zu nehmen. In den Arbeitsgruppen spielt die Unternehmensgröße keine Rolle“, bestätigt Müller. Auch einige Start-ups wie beispielsweise Tradelink sind der Foundation bereits beigetreten. Je kleiner ein Unternehmen ist, desto schwieriger sei es aber auch, personelle Kapazitäten für die wöchentliche Mitarbeit in Arbeitsgruppen freizuschaufeln.
Global denken
Doch die Stiftung will langfristig nicht nur den Logistikstandort Deutschland und Europa stärken, sondern denkt über Landesgrenzen hinaus. Mit ersten Mitgliedern aus den Niederlanden sei die Foundation gerade ein wenig internationaler geworden, berichtet Sellner: „Auch Anfragen zu einer Mitgliedschaft aus verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern liegen uns vor.“ Damit scheint sich der Trend zu mehr Zusammenarbeit auch 2023 fortzusetzen.