Mehr Tempo bei der Verkehrswende?

Mit dem Krieg in der Ukraine stellt sich die Frage nach der künftigen Energie- und Treibstoffversorgung in Deutschland dringlicher denn je. Aber welcher ist der richtige Kurs für eine Branche, die nachhaltiger werden, aber auch die Güterversorgung gewährleisten muss? DVZ-Chefredakteur Sebastian Reimann und DVZ-Redakteur Frederic Witt diskutieren darüber.

Mit dem Krieg in der Ukraine stellt sich die Frage nach der künftigen Energie- und Treibstoffversorgung in Deutschland dringlicher denn je. Aber welcher ist der richtige Kurs für eine Branche, die nachhaltiger werden, aber auch die Güterversorgung gewährleisten muss? DVZ-Chefredakteur Sebastian Reimann und DVZ-Redakteur Frederic Witt diskutieren darüber.

Pro: Nachhaltigkeit muss oberste Priorität sein

von Frederic Witt

In der vergangenen Woche bezeichnete UNO-Generalsekretär António Guterres die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen als Schande. „Regierungen und Verantwortliche von Unternehmen sagen das eine und tun das andere. Einfach ausgedrückt: Sie lügen.“ Deutlicher kann man kaum werden. Und auch die Transport- und Logistikbranche muss sich von diesen deutlichen Worten angesprochen fühlen.

Angesichts eines Krieges in Europa und weiteren Störungen im globalen Handel durch Corona wäre es einfach zu sagen, dass die Nachhaltigkeit aktuell auf der Agenda nach hinten rücken müsse. Wieder einmal.

Aber dafür ist schlicht und ergreifend keine Zeit mehr. Der kürzlich vom Weltklimarat IPCC veröffentlichte dritte Teil des neuen Sachstandsberichts offenbart: Das Emissionsbudget für 1,5 Grad ist bereits zu 80 Prozent aufgebraucht. Die Welt ist derzeit auf dem Weg zu einer Erwärmung von 3,2 Grad bis 2100. Um das zu verhindern, muss jedes Land, jedes Unternehmen, jeder Mensch seinen Beitrag leisten.

Beim Blick auf den Logistiksektor ergeben sich nun aufgrund der weltpolitischen Lage durchaus Chancen für eine schnellere nachhaltige Transformation.

Ein Beispiel: Das Russland-Embargo kann auch als Treiber für den Umstieg auf E-Lkw wirken. Zwar sind auch die Strompreise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine massiv in die Höhe gegangen – aber in absoluten Zahlen gerechnet ist der Elektroantrieb wesentlich günstiger als der Dieselmotor. So fallen für 30 Liter Sprit, die ein Lkw im Schnitt auf 100 Kilometern verbraucht, derzeit rund 60 Euro an – und nach Expertenmeinung hält dies auch langfristig an. Für mehr als 400 Kilometer liegen die Spritkosten also jenseits von 200 Euro. Für eine Megawattstunde hingegen, mit der ein vergleichbarer E-Lkw zwischen 400 und 500 Kilometer weit kommen dürfte, fallen dagegen laut dem Portal strom-report.de nach derzeitigem Stand 74 Euro an.

Berücksichtigt man, dass Vater Staat die Differenz zwischen den Anschaffungskosten eines Diesel- und eines vergleichbaren E-Lkw zu 80 Prozent über Fördermittel abpuffert, werden die batterieelektrisch betriebenen Lkw plötzlich sehr attraktiv – zumindest im Nahverkehr. Anders als bei den Dieselfahrzeugen sind die Lieferfristen für E-Lkw aktuell zudem deutlich kürzer. Kurz gesagt: Der Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen macht ökonomisch Sinn.

Klimaschutz muss im Jahr 2022 für jeden Logistiker höchste Priorität haben. Nicht nur, um den Planeten zu retten, sondern auch, um ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell aufzubauen. Wird das nicht verstanden, verlieren am Ende alle.

Kontra: Die Rahmenbedingungen sind nicht so, dass Vollgas in Richtung Nachhaltigkeit gegeben werden kann

von Sebastian Reimann

Von Transport- und Logistikunternehmen in der derzeitigen Situation zu fordern, im Sinne der Nachhaltigkeit den Umstieg auf alternative Antriebe zu forcieren, mag opportun sein und in die Zeit passen. Schließlich würde sich die Branche damit solidarisch zeigen und den Kurs der Bundesregierung stützen, Deutschland unabhängiger von russischem Öl und Gas zu machen. Zur ökonomischen Realität passt die Forderung aber leider nicht.

Viele mittelständische Unternehmen, die noch immer für den Großteil der Branche stehen, haben in den vergangenen Jahren eben nicht wie einige Große prächtig verdient, sondern von der Substanz gelebt. Hinzu kommt eine Kostenbelastung, die derzeit so hoch ist wie seit Jahren nicht – insbesondere wegen der stark gestiegenen Treibstoffkosten sowie anstehender Lohnerhöhungen infolge der Fachkräfte- und vor allem der Fahrerknappheit. In diesem Umfeld stellt sich weniger die Frage, mit welchem alternativen Antrieb der Lkw am besten rollt, sondern ob das Fahrzeug überhaupt noch kostendeckend betrieben werden kann.

Ferner sind die Geschäftsaussichten so schlecht wie lange nicht. Die März-Umfrage des Münchner Ifo Instituts für die Sektoren Straßengüterverkehr sowie Lagerei und Spedition offenbart einen weit verbreiteten Pessimismus – wie im Übrigen in der gesamten Wirtschaft. „Die Unternehmen in Deutschland rechnen mit harten Zeiten“, lautet das Fazit der Konjunkturforscher. All dies ist Gift für die Investitionstätigkeit der Betriebe. Und – daran darf kein Zweifel bestehen – sie müssten kräftig investieren, um die Fuhrparks auf Nachhaltigkeit zu trimmen, da die E-, LNG- oder Wasserstoff-Fahrzeuge in der Anschaffung eben doch noch deutlich teurer sind als herkömmliche Diesel-Lkw.

Hinzu kommt, dass die Rahmenbedingungen längst noch nicht so gesetzt sind, dass die Unternehmen guten Gewissens Vollgas in Richtung Nachhaltigkeit geben können. Förderprogramme setzen zwar einen Anreiz, bieten aber keine Sicherheit, dass man nicht doch auf das falsche Pferd setzt, wie das Beispiel LNG zeigt. Die Hersteller haben es zudem bisher nicht geschafft, eine breite Palette an alternativ betriebenen Fahrzeugen für die vielfältigen Einsatzgebiete bereitzustellen. Und von der Betankungsinfrastruktur soll besser überhaupt nicht die Rede sein.

Ja, Klimaschutz ist im Jahr 2022 für jeden Logistiker wichtig. Priorität hat für viele derzeit aber, halbwegs gesund durch die aktuellen Krisen zu kommen. Und trifft man die falsche unternehmerische Entscheidung, verlieren nicht die anderen, sondern man selbst – nämlich die Geschäftsgrundlage.

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