Social-Media-Star: Sie lebt ihren Traum vom Lkw-Fahren
Kaum hat sich Iwona Blecharczyk vom Jetlag ihrer USA-Reise erholt, geht es an die Auswertung. Während der drei Wochen, die sie mit ihrer Schwester von Las Vegas nach Dallas unterwegs war, sind auf der rund 2.000 Kilometer langen Strecke jede Menge Aufnahmen entstanden, die nun gesichtet werden müssen – für einen zehnminütigen Film, den sie Politikern des Europäischen Parlaments zeigen will.
Darin geht es um ihr größtes Anliegen: bessere Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer. Im ersten Schritt möchte sie hierbei den Blick auf die in Europa völlig unzureichenden Sanitäranlagen lenken. „Unser Standard ist mit dem US-amerikanischen gar nicht zu vergleichen“, findet Blecharczyk. „Das ist wie Himmel und Hölle.“ Deshalb müssten die Politiker aufgerüttelt werden, damit sich endlich etwas ändert. „Der Zeitpunkt ist angesichts des Fahrermangels gut“, glaubt die 35-Jährige. „Jetzt oder nie ist der Raum für Veränderungen da.“
Mehr als 300.000 Instagram-Follower
Die aus dem Südwesten Polens stammende Frau setzt sich als „Trucking Girl“ auf zahlreichen Social-Media-Kanälen in Szene. Sie hat inzwischen 758 Videos auf Youtube eingestellt. Zudem folgen ihr bei Instagram schon mehr als 300.000 Menschen. Sie hat sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Und auch auf der Business-Plattform LinkedIn ist sie vertreten.
In der Branche werden ihre Aktivitäten längst gesehen. Einige der großen Marken wie Volvo, Goldhofer und Tom Tom haben bereits 2021 reagiert und setzen seitdem auf Blecharczyk als Markenbotschafterin. Der Spielzeugkonzern Mattel nahm die Lkw-Fahrerin schon 2019 im Rahmen der Kollektion Shero (She + Hero) als weibliches Rollenvorbild für eine Barbie.
Nur die – auch wirtschaftlich – erfolgreiche Influencerin in Blecharczyk zu sehen, greift allerdings zu kurz. Denn sie ist zugleich eine engagierte Lkw-Fahrerin, die ihren Job liebt und sich mit viel beruflichem Einsatz und äußerst zielstrebig in einem immer noch von Männern dominierten Beruf etablierte. Dabei war ursprünglich ein anderer Weg vorgezeichnet. In dem Lehrerhaushalt auf dem Land in Polen waren ihre Eltern zunächst sehr stolz darauf, dass ihre Tochter nach dem Bachelorabschluss in Englisch an der Universität Rzeszowski im Westen Polens als Lehrerin zu arbeiten begann.
Als Lehrerin war sie unglücklich
Blecharczyk aber war in ihrem Job nicht glücklich: „Ich war jeden Tag erschöpft, und das Unterrichten ist nicht meine Stärke“, erinnert sich die heute 35-Jährige. Und obwohl sie damals erst 22 Jahre alt war, habe sie sich alt gefühlt. „Ich war immer eine gute Fahrerin und habe davon geträumt, mit einem amerikanischen Lkw zu fahren“, erzählt sie. „Dass Frauen als Lkw-Fahrerinnen arbeiten können, wusste ich in meinem kleinen Dorf in Südpolen gar nicht.“
Sie nahm Fahrstunden, arbeitete allerdings weiter als Lehrerin, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. „Als ich mich 2010 um einen Job bewarb, war es eine ganz andere Situation als heute. Einen Fahrermangel gab es nicht, und ich war eine junge Frau ohne Berufserfahrung am Steuer.“ Nur einmal sei sie zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden, aber der Chef war bloß neugierig – den Job erachtete er als zu hart für Frauen.
Nach einem weiteren Jahr als Lehrerin wurde ihr an ihrer Schule ein Vollzeitjob angeboten. „Ich wusste, dass ich nie wieder da rauskommen würde, wenn ich das annehme“, sagt sie. Also bewarb sie sich nun noch engagierter in ganz Polen und wurde irgendwann auch zum Gespräch beim belgisch-polnischen Transportunternehmen H. Essers eingeladen. „Aufgrund meiner Englischkenntnisse waren sie sehr interessiert und haben mir gleich mehrere Jobs angeboten“, berichtet sie, „aber alle im Büro.“
Vier Wochen Probezeit
Als sie darauf bestand, ans Lenkrad zu wollen, gab Essers ihr schließlich die ersehnte Chance: Vier Wochen könnte sie es zusammen mit einem Fahrer ausprobieren und sich dann entscheiden. Denn auch für den Bürojob sei so ein Einblick ja hilfreich. Für Blecharczyk aber war die Sache schnell klar: „Ich war happy.“ Sie fuhr einmal quer durch Europa, lernte die Grundlagen und bekam anschließend ihren eigenen Lkw.
Aber danach sei es in den ersten Monaten allein doch ganz schön anstrengend gewesen: die Nachtschichten und fehlende Übung, am Tag zu schlafen, kaum Praxis beim Einparken und zu wenig Wissen, wie man es schafft, trotz Überfüllung einen sicheren Parkplatz für die Nacht zu finden. Grundsätzlich aber war sie mit ihrer Entscheidung sehr zufrieden und fuhr drei Jahre durch ganz Europa, transportierte alles von Luftfracht bis zu High Value. Auch ihren Traum, in Amerika Lkw zu fahren, verwirklichte sie ein Jahr lang in den USA und in Kanada. Ein besonderes Highlight dabei: die Fahrt auf Eisstraßen im Norden Kanadas zwischen Yellowknife und drei Diamantminen.
„Ich liebe Europa“
Dann wollte sie unbedingt Großraum- und Schwertransporte fahren und wechselte deshalb zu der Firma Tag, einem kleinen familiengeführten polnischen Unternehmen für Spezialtransporte und Projektlogistik. Dort blieb sie sechs Jahre, in denen sie vor allem Rotorblätter im Konvoi transportierte.
Im September 2021 gründete sie ihr Unternehmen Imagination Transport und kaufte einen 460-PS-Lkw. „Ich möchte dadurch unabhängiger werden und mein Privatleben managen. Noch funktioniert das aber nicht, da habe ich noch einen Weg vor mir“, räumt sie ein. So wollte sie eigentlich etwa zwei bis drei Wochen pro Monat selbst fahren und dann einen Fahrer beschäftigen. „Aber ich liebe Europa und bin einfach zu reisehungrig.“ (ben)