Bei Freightly gibt es Durchblick auf Knopfdruck
Das Unternehmen Freightly? „Nie gehört.“ Thomas Gawel? „Kennen wir hier nicht.“ Die Hausnummer? „Komisch. Die stimmt eigentlich.“ Die Männer im Kontor der Kölner Spedition Guckuk wissen nicht so recht, was sich im vermieteten zweiten Stockwerk ihres Gebäudes so tut. Start-up-Unternehmer Thomas Gawel nimmt die nachbarschaftliche Ignoranz mit Humor: „Daran wird sich wohl nichts mehr ändern.“
Vielleicht liegt es daran, dass der Mann so viel auf Achse ist. „Ich besuche jede Woche vier bis fünf Unternehmen“, sagt Gawel. Seine Innovation – ein digitales Supply-Chain-Management-System – hat er stets vorführreif dabei: auf dem Smartphone. „Unser cloudbasiertes Programm ist mit jedem Endgerät zu bedienen: Der Logistikleiter hat sein übersichtliches Dashboard auf dem Schreibtischbildschirm, der Mann an der Laderampe nutzt ein Tablet, der LKW-Fahrer ist per Smartphone angebunden.“ Alle Endgeräte, alle Verkehrsträger – so lautet das griffige Motto von Freightly.
Mit seinen Mitgründern Johannes Schuldt und Alexander da Costa Pinto hilft Gawel Unternehmen, ihre Transportkette digital zu managen. „Mit unserer Lösung kann man sich alle Logistikdaten in Echtzeit per Knopfdruck ziehen“, sagt Gawel. „Vom Ablieferbeleg über Chatverläufe und Livetrackingdaten bis zum Frachtbrief wird auch alles rechtssicher archiviert.“ Freightly hat seinen Sitz direkt an der A1 in Köln-Bocklemünd gegenüber einem Autoverwerter. Draußen lagern Paletten auf Rampen, es wird standesgemäß vor dem bissigen Hund gewarnt.
Freightly-CTO Schuldt führt nebenher ein Softwareunternehmen. Gawel arbeitete bei UPS und bei Dachser, wo er für den Vertrieb NRW zuständig war. Als gelernter Speditionskaufmann kennt der Rheinländer das Geschäft – und die „typischen Schmerzpunkte“, wie er es nennt: Telefon, Aktenordner, Faxgerät, Papierstau und Blindflug. Im Gespräch bringt Gawels erste Frage die meisten Kunden schon ins Schwimmen: „Wie viele Transportkosten haben Sie im vergangenen Jahr gemacht im Bereich Luft- und Seefracht?“ Die typische Reaktion sei ein ratloser Blick: „Es kann nicht wahr sein, dass man seine Jalousien per Smartphone schließt, aber seine Logistikkosten in Millionenhöhe nicht per Knopfdruck ziehen kann“, sagt Gawel.
Genau das bietet Freightly – und vieles mehr. Ein Logistikleiter kann wie ein Broker vor mehreren Bildschirmen die Transportoptionen vergleichen, verbindlich bestellen, Fracht tracken und mit allen Beteiligten unterwegs digital kommunizieren. Entscheidend sind die Schnittstellen zu 30 verschiedenen ERP-Systemen wie SAP. „Alle Auftrags- und Abrechnungsdaten fließen bei Freightly übersichtlich zusammen und sind lange vor dem Rechnungseingang statistisch auszuwerten“, sagt Gawel. Verzollung und Versicherung lassen sich per Klick erledigen. Man sieht anhand der reellen Lieferzeitstatistiken genau, wie pünktlich welcher Dienstleister abliefert. „Die Lösung lohnt sich branchenübergreifend für Unternehmen mit komplexen Lieferbeziehungen ab einem jährlichen Transportumsatz von 1 Mio. EUR. Wir sehen uns als eine Art Trivago-SAP-Mix für die Logistik“, erläutert er mit Blick auf das Hotelbuchungsportal.
Namhafte Kunden aus NRW
Auf der Kundenliste stehen namhafte Unternehmen, die meisten aus NRW und Baden-Württemberg. Der Bahntechnik-Spezialist Vossloh aus Werdohl zählt zu den Pionieranwendern. „Das digitale Logistikgeschäft steckt noch in der Entwicklungsphase. Wir wollen uns als Verlader die Digitalisierung zunutze machen. Die Partnerschaft mit Freightly hilft uns, Dinge neu zu gestalten“, sagt Logistikleiter Florian Zelter. Sein Verantwortungsbereich verwaltet ein Frachtkostenbudget von etwa 6 Mio. EUR jährlich. Ziel sei, auch Lieferanten und Kunden künftig Zugang zur Lösung zu gewähren. Die Verfügbarkeit von Real-Time-Informationen sei mit ausschlaggebend für Freightly gewesen – mit dem Ziel einer schnellen Anbindung der 25 bis 30 Transportpartner, sagt Zelter. So wurde „eine Echtzeit-Vergleichbarkeit geschaffen“.
Freightly hat selbst schon einmal umdisponiert. „Wir wollten anfangs eine digitale Spedition werden“, sagt Gawel. Der 2014 gegründete Vorgänger Mycargorates läuft noch als Vermittlungsportal auf kleiner Flamme. Man merkte aber schnell: „Die Kunden wollten weiterhin bestimmen, welche Spediteure ihres Vertrauens angebunden sein sollen.“ Ab 2017 habe man umfirmiert und radikal umgedacht: „Nicht wir definieren die teilnehmenden Spediteure, sondern die Kunden.“ Auch ein bewährter Ein-Mann-Frachtführer kann ins Freightly-System integriert werden.
Der Kunde übergibt die Stammdaten von Dienstleistern, Lieferanten und Endkunden, die dabei sein sollen. Freightly konfiguriert für jeden Kunden ein individuelles Managementsystem. Was in einer Zettelwirtschaft nur erfahrene Mitarbeiter mit viel Hinterkopf-Wissen leisten konnten, ist nun transparent.
In Nordrhein-Westfalen fühlt sich Freightly perfekt aufgehoben. Unter den zwölf Mitarbeitern seien sieben Entwickler, die überwiegend von der Uni Köln rekrutiert wurden. Sie sitzen an drei Tischgruppen, die wie kleine Programmierinseln zusammengeschoben wurden. Zwar hat Gawel auch den RocketSpace Accelerator in San Francisco besucht. Doch nach den Lehren aus Mycargorates bleibt er geerdet, was Expansionspläne betrifft: Aktuell stehe man „kurz vor Break-Even“, sagt Gawel. Als nächster Schritt steht ein Umzug in einen Neubau in Hürth bevor. „Wir werden die Nachbarn zum Einstand einladen“, sagt er. „Damit man uns auch sicher kennt.“
Wir mieten den Dienst von Freightly. So bleiben wir offen für künftige Entwicklungen.
Florian Zelter, Logistikleiter Vossloh