Volle Läger in der Kaffee-Hauptstadt

Rohkaffeeumschlag in Bremen – das ist weit mehr als nur Umschlag und Lagerung. Bemustern, Reinigen, Mischen und Absacken gehören ebenso dazu. Hier findet quasi die erste Stufe der Verarbeitung statt.

Mehr als eine halbe Million
Tonnen Rohkaffee landen jährlich
in Bremen rund um den Holz- und
Fabrikhafen an. (Foto: Michael Hollmann)

Das Cuttermesser zischt durch die weiße Schutzfolie in der Tür des Containers und heraus prasseln die grünen Bohnen mit voller Wucht. Gut eine Viertelstunde, dann sind 21 Tonnen durch ein Gitter im Boden im hochhausgroßen Silo von J. Müller Weser verschwunden. Auf ihrem Weg durch Trichter, Rohrleitungen und Absauganlagen, vorbei an Magneten, von allem Schmutz und Fremdkörpern befreit. Rohkaffeeumschlag in Bremen – das ist weit mehr als nur Umschlag und Lagerung. Bemustern, Reinigen, Mischen und Absacken gehören ebenso dazu. Hier findet quasi die erste Stufe der Verarbeitung statt, bevor es zu Röstereien im In- und im Ausland geht.

Weit mehr als eine halbe Million Tonnen landen pro Jahr in Bremen-Stadt an, in den Betrieben rund um den Holz- und Fabrikenhafen, zumeist per Container über Bremerhaven oder Hamburg. Alle Silos und Läger sind derzeit prall gefüllt. Auf 120.000 Tonnen schätzt Axel Boedtger, Bereichsleiter Kaffee & Kakao bei J. Müller Weser, den Gesamtlagerbestand an Rohkaffee in ganz Bremen. Große Mengen sind für die Logistiker nicht unbedingt das Problem. Was ihnen zu schaffen macht, sind die verstärkten Schwankungen. „Die letzten zwei Jahre gab es massive Wellen. Zeitweise kam nichts an, dann auf einmal mehr denn je“, erzählt Boedtger. Seit der letzten Corona-Welle und mit Beginn der Russland-Krise gehe es in einer Tour aufwärts. „Das ist eine Riesenwelle. Die Spitzen, die wir im Sommer immer erleben, werden noch höher. Wir sind jetzt schon auf einem Level wie sonst erst später im Jahr.“

In den nächsten Wochen müssten die Lagerhalter erfinderisch sein und irgendwie zusätzliche Lager- und Silokapazität zum Beispiel aus dem Getreidebereich abzwacken. Schlimmstenfalls müsse man Bulk-Kaffee aus dem Container in Big Bags umfüllen und ins Lager stellen. „Das bedeutet zusätzlichen Aufwand und mehr Kosten. Wir hoffen, dass es nicht so weit kommt“, so Boedtger.

Röstereien laufen unter Volllast

Dass der Druck nachlässt, kann sich der Experte nicht vorstellen. Denn die Röstereien würden nach den Engpässen der letzten Zeit jetzt alles daransetzen, sich „maximal zu bevorraten“. Hinzu kommt eine drohende Rationierung von Erdgas. Solange es geht, würden die Röstöfen deshalb unter Volllast fahren und so viel Ware wie möglich abrufen.

Von der damit einhergehenden „Peak-Belastung“ kann auch Christian Vollers, geschäftsführender Gesellschafter der Vollers Group – dem anderen großen Player für Rohkaffeelogistik in Bremen – ein Lied singen. Er spricht von „Peitscheneffekten“ – mal heftig viel, mal ganz wenig Liefervolumen – die dadurch verstärkt werden, dass alle Röstereien und Händler „überordern“, um die Versorgung sicherzustellen. „Das tut uns allen sehr weh.“

J. Müller Weser
baut seine
Silokapazität um
20 Prozent
aus. Damit soll
Neugeschäft
generiert werden,
das es in Bremen
bisher nicht gibt. (Foto: Michael Hollmann)

8.000

Tonnen Rohkaffe sind als Losgrößen in der Schifffahrt schon möglich.

9.000

Tonnen fassen die neuen Silos von J. Müller Weser.

120.000

Tonnen Rohkaffee lagern im gesamten Stadtgebiet von Bremen.

Mehr Zwischenlagerkapazität

Um die Mengenschwankungen abzupuffern, hat Vollers die Zwischenlagerkapazität für einkommende Seecontainer und eigene Lagermodule (Vollers Container Units, VOCU) an der Pier erhöht. Das geht schneller und ist günstiger als ein Zubau von Silokapazität. „Das Chaos im Inbound-Verkehr wird dadurch beherrschbarer“, sagt Vollers. Ziel ist es, den Rohkaffee schnellstmöglich aus dem Seecontainer in den eigenen Lagercontainer umzufüllen, wenn im Silo kein Platz mehr ist. „So können Sie den Seecontainer rasch zurückliefern und Detention-Kosten für den Kunden verringern. Anschließend haben Sie Zeit dafür, den Zweitprozess zu organisieren, also das Einlagern im Silo oder das Mischen.“

Nach dem gleichen Schema verfährt auch der Wettbewerber J. Müller Weser. Die Kosten für Röstereien und Händler aufgrund von Demurrage- (Standgeld im Hafen) und Detention-Gebühren (Extra-Miete für Nutzung über vereinbarte Frei-Zeit hinaus) der Reedereien seien dramatisch gestiegen. Nicht weil die Kaffeelogistiker zu langsam sind, sondern weil die Container zu lange in den Hafenterminals feststecken. Drei Tage freie Standzeit im Terminal kriegen die meisten Importeure von den Reedereien. „Die geballten Mengen lassen sich in diesem Zeitraum aber gar nicht mehr abarbeiten. Die Hafensysteme stehen vor einer Zerreißprobe.“

Erhöhtes Transhipment

Die Probleme der letzten zwölf Monate seien das Ergebnis von zwei Effekten. Zum einen die Kapazitäts- und Lieferkettenengpässe, die dazu führten, dass mal Ware verschifft werden könne und mal eben gar nicht. „Ware, die im Oktober gekauft wurde, war im März noch nicht hier“, sagt Vollers. Der andere Effekt, der mit hineinspielt und alles verstärkt, sei das rapide Größenwachstum der Containerschiffe mit dem damit verbundenen erhöhten Transhipment. „Die Ladung akkumuliert sich in den Transhipment-Häfen, dadurch kommen immer größere Partien Kaffee zur gleichen Zeit an.“

Vollers sieht in der aktuellen Misere den Beweis dafür, dass die Linien mit ihren 20.000-TEU-Schiffen übers Ziel hinausgeschossen seien. „Die Schiffsgrößen müssen wieder zurückgeschraubt werden, so wie es bei den Supertankern in den 70er Jahren oder dem A380 in der Luftfahrt auch der Fall war.“ Nur deutet aktuell nichts darauf hin, dass dies tatsächlich geschieht. Stattdessen wird der Kapazitätsbedarf für Lagerung und Verarbeitung von Rohkaffee durch neue Trends in Produktion und Handel weiter auf die Spitze getrieben.

Vollers kann sich vorstellen, dass der Platzbedarf allein dadurch ansteigt, dass Röster und Händler langfristig größere Sicherheitspuffer in ihre Lagerbestände einbauen. „Just-in-time ist tot. Alle werden in Zukunft mehr ordern, weil sie nicht wissen, wie viel Ware durch die Supply Chain kommt.“ Außerdem nehme der Aufwand für das Separieren und Mischen von Kaffees laufend zu, die Produktvielfalt werde durch Specialty-Sorten, Zertifizierungen und neue gesetzliche Pflichten immer größer. „Das geht für uns einher mit einer größeren Kundenvielfalt, sei es durch ganz neue Händler für Specialty oder neue Abteilungen bei etablierten Händlern. Und jeder von ihnen verfolgt seine eigene Supply-Chain-Philosophie.“

Aus den unterschiedlichen Kundenanforderungen ergibt sich eine entsprechende Streuung der Dienstleistungen. Die Kombinationen aus Leistungen, die Vollers anbietet, könnten sich durchaus mit einem Car-Configurator von Audi oder Mercedes messen. Um die Prozesse trotz der explodierenden Vielfalt zu beschleunigen, setzt das Unternehmen bei Entwicklung und Investitionen für Kaffee vor allem auf weitere Digitalisierung.

Im Mittelpunkt stehe dabei die detailliertere Abbildung der Importprozesse im eigenen Kunden- und Auftragsportal V-Connect. Wo ist das Schiff? Welchen Status hat der Container? Wie sind die Konditionen bei Demurrage und Detention? „Dadurch wissen wir, welche Container stehen gelassen und welche vorgezogen werden müssen, um zusätzliche Kosten zu vermeiden. Das ganze Rein und Raus muss perfekt abgestimmt sein“, unterstreicht Vollers.

Neue Silos für 10 Millionen Euro

Bei J. Müller Weser fahren unterdessen jeden Tag die Betonmischer vor. Das Unternehmen baut seine Silokapazität für Rohkaffee am Standort um 20 Prozent aus. Anfang 2023 soll eine neue Anlage mit 72 Zellen – Gesamtkapazität 9.000 Tonnen – in Betrieb genommen werden. Investitionsaufwand: rund 10 Millionen Euro. „Wir wollen hier Neugeschäft generieren, das es noch gar nicht am Standort Bremen gibt“, stellt Kaffee-Bereichsleiter Boedtger klar. „Da gibt es immer Potenzial für Verlagerungen unter den Nordrange-Häfen. Die Nachfrage nach modernem Silolagerraum ist groß.“

Gut gerüstet sieht Boedtger den eigenen Betrieb auch für mögliche Neuerungen im schiffsseitigen Umschlag in der nicht allzu fernen Zukunft. Mit seiner Lage direkt am Kai des Holz- und Fabrikhafens und eigenen Umschlaganlagen wäre J. Müller Weser in der Lage, Bulkschiffe abzufertigen. „Dazu müsste man Schiffe mit 8.000 Tonnen Rohkaffee homogen befüllen. Solche Losgrößen sind in Brasilien oder Vietnam nicht unmöglich“, sagt Boedtger. Bei Ankunft in Bremen müssten nur die Luken geöffnet, die Kaffeebohnen abgesaugt und direkt in den Silo befördert werden. Das passiere vielleicht nicht morgen, doch hätten die letzten zwölf Monate gezeigt, wie schnell sich Dinge ändern könnten. (jpn)

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