Zwischen Bremen und Libyen
Birgit Gerrelts muss nicht lange überlegen, was ihr an Bremen gefällt: „Das Miteinander“, sagt die Speditionsleiterin bei Carl Ungewitter, einem alteingesessenen Logistikunternehmen in der Hansestadt. An der Weser fühlt sich die 60-Jährige „zuhause“ – nicht nur, weil sie hier aufgewachsen ist. Beruflich schätzt sie an Bremen, „dass es klein ist, man sich untereinander kennt und mit anderen Speditionen oftmals in Kooperation steht, nicht nur im Wettbewerb“. Sie kann vergleichen, denn Karrierestationen führten sie nach München und Hannover. Doch jetzt arbeitet sie schon über drei Jahrzehnte im Nordwesten bei Carl Ungewitter. Wie gelingt die große Loyalität?
„Das ist eine Generationsfrage“, meint Gerrelts. Firmentreue beobachte sie bei jungen Menschen seltener, aber wer wie sie selbst zu den „Boomern“ gehört, sei eben ganz anders geprägt worden: „Ein guter Arbeitgeber hat Sicherheit gegeben“, so sieht sie das. Ihr steiler Aufstieg von der Sachbearbeiterin mit kaufmännischer Speditionsausbildung bis in die Chefetage wäre heute ohne Studium undenkbar. „Ich habe immer die Möglichkeit gehabt, mich zu entfalten und Ideen zu entwickeln – dank meiner Erfahrung“, sagt sie. Nur deswegen habe sie sich darauf eingelassen, über vier Jahre lang als „rechte Hand“ des Seniorchefs zu arbeiten.
Controlling als Vorbereitung
Einen klassischen Sekretärinnen-Job als Schreibkraft hätte sie abgelehnt, aber als Assistentin der Geschäftsleitung konnte sie ins Controlling hineinwachsen und Zahlen überwachen. „Letztendlich ist das zum Teil die Vorbereitung dessen gewesen, was ich heute mache“, resümiert sie. Als der Inhaber in den Ruhestand wechselte, suchte sich Gerrelts dann gezielt den Bereich Libyen aus – um ihn neu zu strukturieren und zu organisieren: „Das war die Basis dafür, dass ich 2009 die Leitung der Libyen-Abteilung übernommen habe.“ In dem nordafrikanischen Land gründete Carl Ungewitter 2001 als erste deutsche Spedition eine registrierte Niederlassung und 2008 die New Joint Lebda Company in El Khoms. Hauptgeschäft in Afrika sind Öl und Gas.
Seit September 2016 verantwortet Birgit Gerrelts das Speditionsgeschäft von Carl Ungewitter Trinidad Lake Asphalt, so der vollständige Name des seit 1878 bestehenden Bremer Familienunternehmens. Während der separate Vertriebsbereich für Naturasphalt 25 Personen beschäftigt, steht Gerrelts an der Spitze von 35 Mitarbeitenden für Luftfracht, Import und Export Seefracht sowie Export Libyen. In den vergangenen zwei Jahren sei der Umsatz „exorbitant gestiegen“, sagt sie. 2022 wird voraussichtlich ein neuer Rekord von 44 Millionen Euro aufgestellt. „Aber“, schränkt die Zahlenkennerin ein, „wegen der gestiegenen Containerraten haben Sie einen Wahnsinnsumsatz, aber die Marge ist dieselbe.“ Das habe zur Folge, „dass man heute wesentlich mehr Kapital braucht“. Unter dem Strich ist sie zufrieden mit den Zahlen, das Geschäft sei stabil – „trotz der Widrigkeiten zwischendurch“.
Libyens politische Instabilität und schwierige Sicherheitslage haben bislang alle Reisepläne von Gerrelts durchkreuzt. Als sie 2014 nach Tripolis fliegen wollte, brach ein jahrelanger Bürgerkrieg aus. Über spezielles Know-how verfügt sie allerdings auch, ohne jemals im Land gewesen zu sein: „Ich kenne die Gegebenheiten vor Ort und weiß, welche logistischen Prozesse unbedingt beachtet werden müssen.“ So sei Libyen zwar ein sehr bürokratisches Land mit strikter Struktur, aber „wenn man das beachtet, ist es ein leichtes Arbeiten“. Seitdem sie 2012 damit anfing, in Bremen zweiwöchige Logistikseminare für Mitarbeitende von Erdölfirmen zu organisieren, habe sie regelmäßig libysche Geschäftsleute zu Besuch und mittlerweile ein großes Netzwerk mit vielen persönlichen Kontakten. Diese Menschen möchte sie bald „endlich an ihrer Wirkungsstätte besuchen“, vielleicht im Rahmen einer Delegationsreise.
Unerschöpfliche Energiereserven
Wegen der Energiekrise zieht es immer mehr Wirtschaftsvertreter und Staatschefs nach Libyen. Gerrelts weiß, warum: „Libyen hat unerschöpfliche Reserven an qualitativ gutem Öl und Gas.“ Zwar hätten Infrastruktur und Wartung der Ölfelder in den vergangenen Jahren „stark gelitten“, die Produktion sei zwischenzeitlich immer wieder gedrosselt worden. „Aber wir waren die ganzen Jahre aktiv“, unterstreicht sie. Carl Ungewitter arbeitet für Erdölfirmen, die zur staatlichen National Oil Corporation (NOC) in Tripolis gehören. Die Blockade einiger Ölfelder und -häfen im Osten des Landes hat die NOC der Speditionsleiterin zufolge Mitte Juli 2022 wieder aufgehoben: „Die Förderungsmenge liegt aktuell bei 1,2 Millionen Barrel pro Tag.“
Gerrelts meint, dass Libyen künftig als alternativer Energielieferant für Europa wichtig sein könnte. Damit rechnet sie aber erst in drei bis fünf Jahren. „Wir sind in der Poleposition, weil wir als erste zu spüren bekommen, wenn Investitionen getätigt werden“, sagt sie. Noch verhindert ein politischer Machtkampf zwischen dem Osten und Westen des Landes, dass aus Libyen mehr fossile Energie nach Europa fließt.
Unterdessen beschäftigt Gerrelts in Bremen ein weiteres Thema – der Fachkräftemangel. Während Carl Ungewitter früher jedes Jahr vier Speditionskaufleute ausbildete, seien die Bewerbungen zuletzt „stark zurückgegangen“. Das hat die Managerin auf eine Idee gebracht: „Warum fangen wir hier in Bremen nicht mit einem Auszubildenden-Sharing an?“ Bevor Unternehmen leer ausgehen, könnten sie doch versuchen, Nachwuchskräfte in verschiedenen Bereichen auszubilden – etwa Lkw-Unternehmen oder Container-Trucker im Straßengüterverkehr zusammen mit Carl Ungewitter für See- und Luftfracht. Dazu seien erste Workshops mit der BHV Bremische Hafenvertretung angelaufen.
Gegen Fachkräftemangel schlägt Gerrelts zudem vor, dass Logistikunternehmen gemeinsam in Betriebskindergärten investieren, beispielsweise im Güterverkehrszentrum Bremen. Das würde die Branche an der Weser noch mehr zusammenschweißen. (jpn)