Geht es auch ohne Luftfracht?

Bei aller berechtigter Sorge um das Klima: Die Luftfracht bleibt wichtiger Teil des Modal Splits.

Die Luftfracht bleibt wichtiger Teil des Modal Splits. (Illustration: DVZ)

Im Zusammenhang von Luftfracht und Nachhaltigkeit gilt der alte Spruch zum Beziehungsstatus: „Es ist kompliziert.“ Häufig wird der Luftfahrt und damit auch der Luftfracht ihre ungünstige CO2-Bilanz im Vergleich zu allen anderen Verkehrsträgern vorgehalten. Die Treibhausgasemissionen der Luftfahrt haben sich global in den letzten 20 Jahren in der Tat um rund 130 Prozent erhöht. Aber man muss hier die Verhältnismäßigkeit sehen: Insgesamt betrug der Anteil des Luftverkehrs am globalen CO2-Ausstoß 2019 gerade mal 2,4 Prozent – und nur 19 Prozent dieser Emissionen entfielen auf die Luftfracht, 81 Prozent dagegen auf den Passagierverkehr.

Gleichzeitig tut die Branche viel, um Emissionen dauerhaft zu senken. Sie hat sich schon früh ehrgeizige Klimaziele gegeben, investiert in neues Fluggerät mit signifikant niedrigerem Verbrauch, unterstützt die Entwicklung vollelektrischer Frachtflugzeuge und treibt die Nutzung und Weiterentwicklung von nachhaltigen Treibstoffen wie Sustainable Aviation Fuels (SAF) voran. Seit 2020 soll der Luftverkehr insofern klimaneutral wachsen, als dass für das zusätzliche Kohlendioxid eine Kompensation durch entsprechende Zertifikate erfolgt. Auch von Seiten der Kunden wird immer mehr dafür getan, die durch den Transport ihrer Produkte verursachten Emissionen zu kompensieren sowie bei Produkten und ihrer Verpackung Gewicht und Volumen zu reduzieren.

Transparenz und Digitalisierung

Trotz aller Bemühungen steigen die Emissionen durch den weiter zunehmenden Flugverkehr stärker als es die Einsparungen wettmachen können. In Zeiten ideologischer Begriffe wie „Flugscham“ könnte man die Frage stellen, ob der Transport in der Luft eigentlich noch zeitgemäß oder in jedem Fall notwendig ist. Die Antwort geben Verbraucher und Hersteller, denn für bestimmte Produkte oder Lieferzeiten ist das Flugzeug alternativlos. Das gilt auch in Zeiten des Corona-Pandemieschutzes: Traditionell wird ein signifikanter Teil der Luftfracht als „Belly-Fracht“ in den Frachträumen der Passagiermaschinen transportiert. Durch die Reisebeschränkungen und den Wegfall vieler Linienverbindungen wurde das zur Verfügung stehende Ladevolumen dramatisch reduziert, mit entsprechenden Auswirkungen auf Lieferzeiten und Frachtraten. Hier zeigte sich die Branche aber erfinderisch und brachte sowohl stillgelegte Frachter als auch Passagiermaschinen als „Prachter“ mit Fracht in der Kabine in die Luft.

Entscheidend für eine nachhaltige Zukunft der Luftfracht sind aber zwei andere Aspekte, die auch insgesamt im Wirtschaftsbereich Logistik ganz oben auf der Agenda stehen: Transparenz und Digitalisierung. Das Tracking von Lieferungen ist längst Standard sogar für Endverbraucher und natürlich auch in der Luftfracht etabliert. Inzwischen können auch online Frachtraten abgefragt und Transporte gebucht werden. Knapp vor dem Durchbruch ist der digitale Frachtbrief, der sich über kurz oder lang auch international etablieren muss. Derartige Dokumente wie auch die Zolldokumentation werden überwiegend noch in Papierform ausgestellt. Hier können noch Zeit, Kosten und im Übrigen auch große Mengen Papier gespart werden. Die BVL hat gerade mit den Partnern GS1 und T-Systems erfolgreich ein Pilotprojekt für den digitalen Lieferschein beendet. Die Dauer von Lieferprozessen lässt sich damit nochmals deutlich verkürzen und bedeutet einen weiteren Schritt in Richtung durchgängig digitaler Geschäftsprozesse in der Transportlogistik.

Anpassung

Biologische Vielfalt erhöht die Chance, dass die Natur sich an Veränderungen wie den Klimawandel anpassen kann. Damit ist der Schutz der Artenvielfalt Zukunftsvorsorge. Und wie ein Rückgang an unterschiedlichen Pflanzenbestäubern zu weniger Pflanzenvielfalt führen kann, kann ein Rückgang an Beförderungsalternativen zu weniger passgenauen Lösungen für die sehr unterschiedlichen Herausforderungen der Logistik führen. Der Erhalt der Luftfracht ist daher sinnvoll – wenn sie sich an die Anforderungen des Klimawandels anpasst.

www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/aktuelles/rueckgang-von-pflanzenbestaeubern-bedroht-artenvielfalt/

www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/kurzmeldungen/de/schutz-der-artenvielfalt-ist-die-beste-zukunftsvorsorge.html;jsessionid=CFC2B2ECABE58810D7378EF5C22FF8DE.live471

 

Potenzial zum Weiterdenken

Das größte Potenzial schlummert aber noch in der intelligenten Verknüpfung von Daten verschiedenster Akteure. Echtzeitdaten beispielsweise zu freien Frachtkapazitäten und aktuellen Preisen von Unternehmen aller Verkehrsträger können dafür sorgen, dass je nach Priorität immer die nachhaltigste, günstigste oder schnellste Transportmöglichkeit für den Kunden gefunden wird. Auch im Seetransport und auf den Schienenwegen tut sich eine Menge: Kapazitäten werden ständig erweitert und auch hier führt die Digitalisierung zu Zeitersparnis, mehr Transparenz und vielfältigeren Optionen. So kann das gleiche Produkt je nach verfügbarem Transportmittel und gewünschtem Lieferzeitpunkt mal auf die eine und mal auf die andere Weise sein Ziel erreichen, so dass im einen oder anderen Fall vielleicht wirklich kein Transport mit dem Flugzeug erfolgen muss.

Umgekehrt gibt es bei klassischen Containerprodukten ab und zu die Situation, dass ein Kunde die Ware doch viel schneller benötigt oder es Probleme in der Lieferkette gibt. Dann kann die Luftfracht die beste Lösung sein. Nachhaltig ist ein Transport vor allem dann, wenn er aufgrund der vorliegenden Parameter und Informationen mit dem jeweils sinnvollsten Verkehrsträger durchgeführt wird. Wenn die nötigen Informationen digital vorliegen, kann mittels künstlicher Intelligenz und erfahrener Mitarbeiter – ich glaube, wir werden immer beides benötigen – die jeweils beste Entscheidung getroffen werden.

Adapt to lead

Die Herausforderung dabei ist allerdings manchmal nicht die Technik, sondern die Haltung mancher Akteure: Müssen sie doch die Hoheit über bestimmte Daten abgeben und Wissen entlang der Lieferkette teilen. Ja, in einer transparenten Welt können einzelne Vorteile eines eigenen Datensilos verloren gehen – das insgesamt bessere Angebot wird die Kunden aber langfristig überzeugen. Von Vorteil kann es sein, wenn ein Anbieter ohnehin schon mehrere Verkehrsträger in seinem Portfolio hat oder aber eine Kooperation mit entsprechenden Spezialisten eingeht.

Auch für die Akteure im Feld der Luftfracht gilt also: „Chancen nutzen – Adapt to lead“. Das war auch das Motto des diesjährigen Deutschen Logistik-Kongresses im Oktober in Berlin. Dort trafen sich endlich wieder alle relevanten Akteure des Wirtschaftsbereichs zum „Weiterdenken“ – sowohl die Vertreterinnen und Vertreter der Luftfracht als auch die Akteure vom Straßengütertransport der Bahn, der Seefracht bis zum Binnenschiff und natürlich die Supply-Chain-Expertinnen und -Experten aus Industrie und Handel. Gute Ideen ergeben sich häufig aus Gesprächen über den eigenen Tellerrand hinaus – hoffentlich bald wieder regelmäßig persönlich. (kl)

Prof. Thomas Wimmer ist Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Bremen.

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