Das Prognoseproblem der Wasserstoffwirtschaft
Der Wasserstoffantrieb steht im Lkw-Segment hoch im Kurs. Grund genug, Studien zum Thema Wasserstoffhochlauf genauer unter die Lupe zu nehmen. Und genau das haben die Experten der deutschen Akademie für Technikwissenschaften, Acatech, und der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie, Dechema, getan. Das Ergebnis: Je nach Szenario werden im Jahr 2045 null bis 75 Prozent aller Lkw im inländischen Verkehr von einer Brennstoffzelle angetrieben.
In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass der Verkehrssektor in rund 20 Jahren Wasserstoff in einer energetischen Größenordnung von 25 bis 100 Terawattstunden benötigt. Der Gesamtenergiebedarf des Verkehrsbereichs liegt dann laut der Meta-Analyse bei 300 bis 400 Terawattstunden. Das meiste davon dürfte in Form von Strom für Elektro-Pkw aber auch -Lkw abgerufen werden.
„Unsere Auswertung verschiedener Studien zeigt Einigkeit unter den Modellierern: Beim Großteil der Verkehrsanwendungen kommen künftig batterieelektrische Fahrzeuge zum Einsatz. Nur da, wo es technisch nicht möglich oder ökonomisch nicht sinnvoll ist, werden Wasserstoff und E-Fuels genutzt, die insbesondere auch für den klimaneutralen Betrieb der Bestandsflotten von Bedeutung sein werden“, sagt Kurt Wagemann, Projektleiter Wasserstoff-Kompass bei der Dechema.
Wasserstoff bleibt ein Nischenthema
60 bis 80 Prozent des im Verkehr eingesetzten Wasserstoffs werden dann für den Schwerlastverkehr benötigt. Bis dahin wird die Brennstoffzelle aber wohl ein Nischenprodukt bleiben. Ein Roundtable-Gespräch mit Experten und den Analyse-Autoren ergab, dass die Nachfrage nach Wasserstoff bis 2030 bei großen Lkw eher gering sein wird. Grund sei der bislang fehlende Wasserstoff und der Mangel an passenden Fahrzeugen. Da sei die Automobilbranche beim Thema Elektromobilität schon deutlich weiter.
Ob Lkw in Zukunft mit elektrischem Strom oder Wasserstoff fahren (oder auf andere alternative Antriebsformen zurückgreifen müssen), hänge zudem mit dem Ausbau der Infrastruktur zusammen. Und damit auch kleinere Speditionen den Umstieg bewältigen können, seien Fördermaßnahmen nötig, um das unternehmerische Risiko abzufedern.
E-Fuels spielen wichtige Rolle
In der Binnenschifffahrt und in der Luftfrachtbranche wird der Wasserstoffanteil als eher gering eingeschätzt. Dort könnten stattdessen sogenannte E-Fuels zum Tragen kommen.
Die untersuchten Studien ergeben, dass 2045 zwischen 84 und 145 Terawattstunden an E-Fuels benötigt werden. Und das, obwohl laut den Autoren für die Herstellung das 4,2- bis 6-Fache an Energie im Vergleich zur direkten Nutzung durch batterieelektrische Fahrzeuge benötigt wird. Allerdings sei es einfacher, E-Fuels zu transportieren. Deswegen seien diese trotz der niedrigeren Effizienz für Im- und Exporte interessant.
Übrigens: Wenn ein Szenario eine verstärkte Nutzung von E-Fuels statt batterieelektrischen Fahrzeugen vorsieht, steigt der vorhergesagte Energieverbrauch deutlich. Das gilt auch, wenn vermehrt auf Wasserstoff gesetzt wird, allerdings nicht so stark.
Politische Ziele
Insgesamt vier Studien wurden im Rahmen des Projekts „Wasserstoff-Kompass“ miteinander verglichen. Die meisten Szenarien gehen von einer drastischen Senkung des Endenergieverbrauchs in der Mobilität aus. Grund dafür sind die Elektrifizierung im Verkehrssektor und der damit verbundene erhöhte Wirkungsgrad im Vergleich zum Verbrennermotor.
Das Projekt läuft seit rund einem Jahr und soll noch bis Juni 2023 weitergeführt werden. Ziel ist es, einen Überblick über die Entwicklungspfade für den Markthochlauf sowie die verschiedenen Handlungsoptionen zu schaffen. Die Ergebnisse sollen dann in die Erstellung einer Wasserstoff-Roadmap seitens der Politik fließen. Der „Wasserstoff-Kompass“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.
Beim Großteil der Verkehrsanwendungen kommen künftig batterieelektrische Fahrzeuge zum Einsatz. Kurt Wagemann, Projektleiter Wasserstoff-Kompass, Dechema