Mobiles Laden am Wegesrand
Für ein älteres Ehepaar auf dem Lande in Baden-Württemberg war es 2016 sicherlich eine große Überraschung, als ein junger Mann klingelte und nach ihrer Haushaltssteckdose fragte. Der nach Strom Suchende war damals 26 Jahre alt und als Entwicklungsingenieur für Bosch im Bereich Batterien und Brennstoffzellen mit einem Elektroauto unterwegs. Ohne Zwischenladen hätte er es nicht mehr zurück zum Unternehmen geschafft. Während der achtstündigen Ladezeit trank er mit dem Ehepaar Kaffee, plauderte und dachte darüber nach, warum das Laden von E-Fahrzeugen ein so großes Problem ist.
Die Lösung baut er heute selbst. Alexander Sohl ist 33 Jahre alt, Mitgründer und Geschäftsführer von Me Energy. Das Start-up vermarktet seit 2021 den mobilen Rapid Charger unter anderem für die Logistikbranche. Nach drei Jahren Entwicklungszeit hat er eine Lösung geschaffen, mit der Unternehmen ihre Fahrzeuge flexibel aufladen können.
„Das Stromnetz ist nicht für das Schnellladen ausgelegt“, sagt Sohl der DVZ bei einem Unternehmensbesuch in Wildau und nennt das Beispiel Oranienburg im Norden Berlins. Dort konnte der Versorger im April keine neuen Netzanschlüsse genehmigen, weil die Kapazität nicht reichte. Das könne überall in Deutschland passieren, sagt Sohl. Eine Haushaltssteckdose habe eine Ladeleistung von 2,2 Kilowatt.
Ein E-Pkw benötige aber 11 Kilowatt. Damit lasse sich ein Transporter über Nacht laden. Für Sohl wird es aber erst mit einer höheren Leistung interessant. Dafür hat er eine Lösung entwickelt, die darüber hinaus unabhängig vom Verteilnetz arbeitet.
2.000 Quadratmeter mit zwei Hallen hat Sohl auf dem Gelände des Zentrums für Luft- und Raumfahrt gemietet. In einer der beiden stehen Schreibtische, ein Konferenztisch aus Holz und viele große Kisten. Dieser Teil dient als Büro und Lager. In der anderen montieren Elektriker und Mechaniker die Rapid Charger. Die Produktionszeit beträgt etwa fünf Monate, Tendenz fallend.
Von außen sehen die Charger aus wie immobile Camper: hellgraues Gehäuse, 1,70 Meter breit, 2,50 Meter hoch und 3,80 Meter lang, 7,5 Tonnen schwer. Mit diesen Maßen passen sie auf einen gewöhnlichen Pkw-Parkplatz. An einer der beiden Schmalseiten befindet sich ein Display, mit dem das Laden gesteuert werden kann. Rechts und links ist je ein Ladestecker zu sehen. Die Ladeleistung beträgt 150 Kilowattstunden. Die Ladezeit ist laut Sohl vom Fahrzeug abhängig und liegt zwischen 30 Minuten für einen Pkw und anderthalb Stunden für einen Lkw oder Bus.
Im Inneren des Rapid Chargers befindet sich ein 1.000-Liter-Tank für Bioethanol. Mit zwei Motoren kann das Gerät Strom für rund 20.000 Pkw-Kilometer oder rund 5.000 Lkw-Kilometer erzeugen und ist damit unabhängig vom öffentlichen Stromnetz. „Logistiker müssen ausfallsicher laden können“, erklärt der Unternehmer. Interessant sei das beispielsweise auch, um eine Kühlkette aufrechtzuerhalten.
Betankt werden die Geräte mit Bioethanol, das aus Biomasse auf Grundlage von biologischen Abfällen in der Nähe des jeweiligen Standortes hergestellt wird. „Mit Ethanol haben wir einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf“, erklärt Sohl. Strom, der aus Biomasse erzeugt wird, gilt laut Gesetz als erneuerbare Energie.
Für die Belieferung der Charger nutzt Me Energy konventionelle Tanklaster, die auch Tankstellen beliefern. Leert sich der Tank, meldet sich das Gerät digital in der Firmenzentrale in Wildau, und ein Logistikdienstleister wird mit dem Wiederauffüllen beauftragt.
Dezentrale Energiespeicherung
Sohl, der in Karlsruhe Verfahrenstechnik und in London Business Administration studiert hat, ist überzeugt, dass dezentrale Energiespeicher nötig sind. „Der Strom wird häufig nicht da erzeugt, wo er genutzt wird“, sagt er. Es gebe zwar gute Batterien, die seien aber teuer und die Speicherkapazität nicht so groß. Das sei vor allem für Logistiker relevant.
Me Energy ist mit fünf Jahren relativ neu auf dem Energiemarkt. Im vergangenen Jahr hatte das Unternehmen prominenten Besuch. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schaute sich die Produktion an. Sohl zeigte ihm die Hallen und auf einer Übersicht die einzelnen Produktionsschritte. Pro Charger verbauen seine Mitarbeiter 1.450 Bauteile. Sie kommen von 120 Lieferanten, vorwiegend aus der EU, aber auch aus den USA, China und Brasilien.
Interessenten in Europa
„In Deutschland sind bereits 70 Rapid Charger von uns im Einsatz“, berichtet Sohl. Das Mieten oder Leasen beginnt bei rund 2.000 Euro pro Monat. Den Kaufpreis verrät er allerdings nicht. Interessenten gibt es auch in Spanien. Frankreich ist das nächste Land, das sich Sohl mit seinem Team erschließen will. Ziel ist es, bald 100 Kunden zu bedienen.
Einer davon ist der Paketdienstleister DPD, zwei weitere große möchte Sohl nicht nennen. Außerdem gehören zwei bis drei kleinere Unternehmen aus der KEP-Branche zum Kundenstamm. Auch die Deutsche Bahn ist für Me Energy interessant. Sie will ihre Baustellen elektrifizieren. Der Rapid Charger kann Strom liefern für Baustellenfahrzeuge oder andere elektrisch betriebene technische Geräte.
Potenzial für 40-Tonner
Nicht nur kleinere Fahrzeuge, sondern auch 40-Tonner lassen sich Sohl zufolge mit dem Rapid Charger laden. Zum Scholz-Besuch im vergangenen Jahr stellte Mercedes-Benz Trucks einen E-Actros auf den Hof von Me Energy, um das Laden eines schweren Lkw zu demonstrieren.
„Der E-Actros wird heute schon eingesetzt, vor allem bei der Belieferung der Mercedes-Benz-Trucks-Werke und bei den entsprechenden Logistikpartnern“, erzählt Sohl. Das Fahrzeug habe eine Batteriekapazität von 300 Kilowattstunden. Voll beladen könne es etwa 200 Kilometer fahren und damit Verteilerverkehre bedienen. Das Laden mit dem Rapid Charger würde dann etwa anderthalb Stunden dauern. Für die Entwicklung der Elektromobilität ist die Verfügbarkeit von Strom und Ladepunkten der größte Hemmschuh, wie Me-Energy-Geschäftsführer Sohl vor acht Jahren am eigenen Leib erfahren hat. Heute ist die Branche schon viel weiter. Der Ausbau der öffentlichen und privaten Ladeinfrastruktur geht voran – wenn auch teilweise schleppend. Me-Energy-Geschäftsführer Sohl ist von der Alternative überzeugt: „Wir bringen Flexibilität zurück in die Logistikkette.“