Beste Route in Echtzeit
Künstliche Intelligenz (KI) und Telematik sind zwei Technologien, die zunehmend miteinander verschmelzen. Sie spielen daher eine immer wichtigere Rolle im Transportwesen und haben erhebliche Auswirkungen auf das Verkehrs- und Flottenmanagement von Logistikunternehmen. Denn die Logistikbranche steht vor großen Herausforderungenwie steigenden Betriebskosten, zunehmendem Wettbewerbsdruck und der Notwendigkeit, Umweltbelastungen zu reduzieren.
Bei der Planung der Routen gilt es, Verkehrslage, Wetterbedingungen, Fahrzeugverfügbarkeit oder Lieferzeitfenster, Geschwindigkeit, Brems- oder Beschleunigungsverhalten, Anzahl und Länge von Strecken sowie Lade- und Entladezyklen zu berücksichtigen. KI-basierte Systeme sind in der Lage, die beste Route in Echtzeit zu berechnen und so Verzögerungen zu minimieren. Das ist insbesondere bei unvorhergesehenen Ereignissen wie Unfällen, Straßensperrungen oder Wetteränderungen hilfreich.
„In der Nahverkehrsdisposition nutzen wir einen Tourenplanungsalgorithmus, der eigenständig und basierend auf verschiedenen Vorgaben und Restriktionen optimale und effiziente Touren plant“, sagt Thomas Schmalz, Head of Production Management bei Dachser. In der Fernverkehrsdisposition der Linienfahrzeuge verwendet der Logistikdienstleister bisher noch keine KI. „Langfristig wollen wir auch hier KI einsetzen und die Hauptläufe optimieren. Entsprechende Forschungsprojekte laufen bereits“, fügt er hinzu.
Die Effekte können beträchtlich sein. Die Kraftstoffkosten sinken, denn kürzere und effizientere Wege bedeuten weniger Fahrzeit und damit weniger Verbrauch. Gleichzeitig werden die CO₂-Emissionen gesenkt. Das bestätigt Schmalz von Dachser: „Durch Telematik können Touren nachträglich bewertet und Optimierungspotenziale gehoben werden, was die Treibhausgasemissionen reduziert.“
KI-gestütztes Vorschlagswesen
Beispielhaft nennt er eine optimierte Streckenführung oder die intelligente Kombination von Verkehren verschiedener Niederlassungen. „Im Nahverkehr plant ein KI-gestütztes Vorschlagswesen die Fahrzeuge ein, die aufgrund ihrer aktuellen Position die kürzeste Anfahrt zu unseren Kunden haben. Das spart ebenfalls Emissionen und steigert die Kosteneffizienz“, erläutert er.
Die Duvenbeck Unternehmensgruppe nutzt KI bei der Berechnung des voraussichtlichen Zustellzeitpunkts (ETA) im Bereich der Just-in-time-Transporte (JIT). „Vorteil: Abweichungen vom geplanten Zeitfenster werden frühzeitig erkannt, und die Disposition kann rechtzeitig geeignete Maßnahmen für verspätete JIT-Transporte sowie Anschlusstouren ergreifen“, erläutert Simon Schmitz, Leiter Prozessmanagement DE bei der Duvenbeck Unternehmensgruppe.
So verschafft die KI einen Zeitvorteil, um auf Abweichungen von der Transportstrecke oder bei den geplanten Aktionen wie Be- oder Entladen rechtzeitig und angemessen reagieren zu können. „Zusätzlich kann Duvenbeck über den Kundenservice frühzeitig Meldungen senden, die den Kunden mehr Reaktionszeit für die Sicherung der Produktion verschafft“, sagt er. Das wirkt sich auch positiv auf den Kraftstoffverbrauch und damit auf die CO₂-Emissionen aus, da in der Regel kein zusätzliches Transportmittel eingekauft werden muss, um die Anschlusstour zu sichern. Würde man externe Transportmittel einkaufen, müsste für den ausgefallenen Lkw eine Ersatzfahrt organisiert werden, bei der in der Regel auch Leerkilometer anfallen.
Bei Gebrüder Weiss gehört der Einsatz telematischer Systeme seit langem zur Grundausrüstung im Flottenmanagement. „Mit Echtzeit-Tracking von Fahrzeugen und Sendungen können wir die Tourenplanung optimieren und so den Kraftstoffverbrauch senken. Insofern bietet uns die Telematik auch Möglichkeiten, unseren CO₂-Fußabdruck zu verkleinern“, sagt Wolfgang Brunner, Head of Corporate IT bei Gebrüder Weiss.
KI unterstützt unter anderem die Arbeit im firmeneigenen Kundenportal myGW von Gebrüder Weiss: Haben Kunden Fragen zu ihrer Sendung und treten über das Portal mit dem Team in Kontakt, kategorisiert die KI die Anfragen – sie liest die Kategorie aus dem Text heraus. „Ein simpler, aber sehr hilfreicher Schritt.“ Die Mitarbeitenden erhalten auch automatisch Vorschläge für Rückmeldungen, oder es werden konkrete Prozesse angestoßen, wie der Abruf des gewünschten Ablieferbelegs direkt aus dem System. Dass die KI nicht unautorisiert antworten darf, begründet Wolfgang Brunner vor allem mit der Servicequalität, die sich Gebrüder Weiss auf die Fahnen geschrieben hat: „Da spielt der Faktor Mensch eine wichtige Rolle.“
Ampelsystem bei Gebrüder Weiss
Generell arbeitet das Unternehmen mit einem Ampelsystem: Steht ein Prozess auf Grün, ist kein Eingreifen notwendig. Schaltet das System auf Gelb, dann ist womöglich etwas Unvorhergesehenes passiert, das ein Eingreifen eines Mitarbeiters erfordern könnte. „Das muss aber nicht immer sein – zeigt das System beispielsweise eine Verzögerung an, der Mitarbeiter aber sieht, dass noch genügend Zeitpuffer da ist, muss er nichts tun.“ Oft gehe es dabei um Kundenservice. Brunner schildert ein Beispiel: „Angenommen, ein Kunde erwartet um 10 Uhr eine Sendung, die für seine Produktion wichtig ist –, aber es gibt einen Stau, und wir erkennen, dass etwas nicht passt. Dann informieren wir den Kunden proaktiv, damit er möglicherweise seine Produktionsprozesse anders planen kann.“ Steht die Ampel auf Rot, muss in jedem Fall ein Mitarbeiter eingreifen.
Gerade wenn Güter mit mehreren Transportmitteln – etwa zunächst per Schiff, dann weiter mit der Bahn – von A nach B gebracht werden, kann die Überwachung und Koordination komplex werden. Aber auch dafür gibt es Lösungen: „Die Kunst besteht darin, diese Daten nicht nur einzeln pro Verkehrsträger abzubilden, sondern im Gesamtüberblick. Mit unserer digitalen Lösung ist der Transportstatus vom Start bis zum Ziel durchgängig verfügbar – inklusive der für unsere Kunden besonders wichtigen aktuellen Informationen zur ETA.“
Der KEP-Konzern UPS etwa setzt die unternehmenseigene KI-Plattform On-Road Integrated Optimization and Navigation (Orion) ein, die fortschrittliche Algorithmen, künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen nutzt, um täglich Millionen von Paketen zu verwalten und zu steuern. Seit dem Start von Orion hat UPS nach eigenen Angaben 161 Millionen Kilometer und knapp 38 Millionen Liter Kraftstoff pro Jahr eingespart. Die jüngsten Systemaktualisierungen sollen diese Ergebnisse weiter verbessern.
Trotz der Vorteile, die KI den Speditionsbetrieben bei der Routenplanung bieten kann, sind viele noch zurückhaltend. Gründe dafür sind unter anderem hohe Implementierungskosten, technologische Herausforderungen, mangelndes Verständnis und Fachwissen sowie Bedenken hinsichtlich Datensicherheit und Datenschutz. (jh/cs)