Kopf-an-Kopf-Rennen der Innovatoren
Das Interesse an dem „Pitch aus den Think-Tanks der Logistik“ war groß: Rund 150 Zuschauer hatten sich zu der digitalen Sequenz am Vormittag des zweiten Kongresstages zugeschaltet und waren neugierig auf das Speed-Dating mit den acht Protagonisten des Formats. Moderiert von Christian Grotemeier, dem Geschäftsführer der BVL.digital GmbH, stellten diese ihre Gedanken, Ideen sowie neue technische oder digitale Ansätze vor. Die Bedingungen waren herausfordernd: Um sich das Interesse der Zuschauer zu sichern und den ausgelobten Preis zu gewinnen, hatten die Redner lediglich acht Minuten Zeit.
Pitch 1
Erster Teilnehmer des Wettbewerbs war Christian Prasse, Leiter der strategischen Entwicklung des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) – und er hatte mit dem Loadrunner die Weiterentwicklung eines dezentral aufgebauten Flurförderkonzepts im (virtuellen) Gepäck. Kernelement sind kleine Transporteinheiten, die im Lager frei fahren können und die Waren mit einer (theoretischen) Geschwindigkeit von 110 km/h transportieren können. Prasse sprach von einem „Konzept für eine Infrastruktur-reduzierte Intralogistik“.
Die Idee dahinter: Zahlreiche Loadrunner agieren als intelligenter Schwarm und stimmen sich untereinander permanent ab, damit die Packstücke kollisionsfrei befördert werden können. Ergänzt wird das Ganze durch geeignete, platzsparende Aufnahme- und Abwurfstationen. Geht es um den Transport größerer Packstücke, können mehrere Loadrunner zu einer Einheit, deren Einzelelemente synchron zueinander agieren, verbunden werden. Noch gibt es keine konkrete Anwendung, doch laut Prasse befindet sich das Fraunhofer IML bereits in weit fortgeschrittenen Gesprächen mit potenziellen Interessenten.
Pitch 2
Für eine Überraschung sorgte im zweiten Pitch Sascha Feldhorst. Der CEO des Start-ups Motion Miners hatte sich kurzfristig entschlossen, nicht den durchaus spannenden Ansatz seines Unternehmens vorzustellen, sondern darüber zu sprechen, wie Start-ups mit ihren Ideen umgehen sollten – und wie schwierig es ist, sich bei den Logistikunternehmen durchzusetzen. Neben einer guten Idee braucht ein Logistik-Start-up nicht nur ein schlagkräftiges, engagiertes Team, sondern in erster Linie auch eine kluge und vorausschauende Finanzplanung.
„Die Kunst der Kunst wegen anzugehen: Das gibt es hier nicht“, fasste Feldhorst sein Credo zusammen und gab den potenziellen Gründern den Rat mit, realistische Erwartungen an ihre Ideen zu haben. „Die Welt des B2B ist rau und schwierig, wenn es darum geht, eine Idee umzusetzen.“
Auch für die Seite der Logistikunternehmen hatte der Gründer einige Empfehlungen parat: So monierte er, dass die Arbeit der für Innovationen zuständigen Abteilung oftmals als eine Art „Jugend-forscht“-Projekt angesehen wird. Doch das verhindert mitunter manchmal, dass eine Technik, die den Proof of Concept erfolgreich bestanden hat, im Unternehmen auf eine breitere Basis gestellt wird. Zudem würden die Ideen oft ausgebremst, weil die Start-ups zu früh mit Bürokratie und Papierbergen konfrontiert werden. „Die klassischen Vertriebs- und Entscheidungswege sind viel zu langsam“, sagte Feldhorst. „Viele Entscheider in den Unternehmen wollen in erster Linie das große Ziel ausgestalten, aber nicht die einzelnen Schritte dahin.“
Pitch 3
Einen spannenden, ganzheitlichen Ansatz stellte Johannes Erhart, Manager Climate Strategy, Climate Risk and Low-Carbon Transformation bei der Unternehmensberatung Pricewaterhouse Coopers (PwC) vor. Mit der Climate Excellence Methode können Szenario-Analysen für mehr Klimaschutz in der Logistik erstellt werden. Basis dafür seien vier Hebel, über die eine Dekarbonisierung des Transportsektors erreicht werden kann: die Vermeidung von Transporten, die Verlagerung auf umweltschonende Transportmittel, die Verbesserung der Transportmittel durch alternative Antriebe oder Umstellung auf alternative Antriebe sowie die finanzielle Kompensation der CO2-Emissionen. Letzteren Hebel sieht Erhart nur als Ergänzung einer Klimaschutzstrategie an.
Wichtig sei es, so der PwC-Experte, dass sich eine Klimastrategie auch mit den durch den Klimawandel bedingten Risiken auseinandersetze. Diese könnten physischer Natur sein, also durch Dürren, Überschwemmungen oder Stürme verursacht werden, oder transaktionsbezogen auftreten. Mit der Climate Excellence Methode lässt sich aufzeigen, wie sich bestimmte Klimaschutzstrategien in bestimmten Szenarien, beispielweise mit einer angenommenen Erderwärmung um 1,8 Grad oder einem höheren Wert, auf die einzelnen Wirtschaftsbereiche und damit die Unternehmen auswirken. So zeigte sich in seiner Beispielrechnung, das Logistikunternehmen, die in Klimaschutz investieren, mittelfristig ihr Ebit steigern können, während Unternehmen, die untätig bleiben, mit deutlich geringeren Margen rechnen müssen.
Pitch 4
Wie man mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz den Frachteinkauf optimieren kann, war Gegenstand des Vortrags von Prof. Stefan Minner, der an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Logistik und Supply Chain Management bekleidet. In einem entsprechenden Forschungsprojekt ermittelt ein Algorithmus auf Basis von Indices, wie zum Beispiel dem Baltic Dry Index, den optimalen Zeitpunkt, um das bestmögliche Angebot für den Frachteinkauf zu finden. Dabei werden auch Kausalitäten wie Handelsvolumina, Wettereinflüsse oder makroökonomische Entwicklungen von der Maschine berücksichtigt. „Die künstliche Intelligenz gewinnt nicht immer gegen den Spotmarkt, aber sie schlägt ihn ziemlich häufig“, sagte Minner abschließend.
Pitch 5
Welche nachhaltigen Effekte das Teilen von Echtzeitdaten entlang der logistischen Kette bringt, war Thema des Vortrags von Serge Schamschula, der dem European Freight and Logistic Leader' Forum vorsteht. „Das Echtzeitdaten-Management darf nicht an der Unternehmensgrenze enden“, sagte der Brüsseler Experte mit Hinweis darauf, dass die Logistikunternehmen ihre Transporte für eigene Zwecke bereits weitreichend transparent gemacht hätten.
Sind zum Beispiel die Auslastungsdaten aller Fuhrunternehmen für alle Beteiligten zugänglich, so ließe sich der Leerkilometeranteil insgesamt deutlich verringern – vorausgesetzt, dieses Ziel wird einvernehmlich verfolgt. Ähnliche Potenziale birgt laut Schamschula ein dynamisches Zeitfenstermanagement auf Echtzeitbasis. Werden die Positionsdaten der LKW, die an diesem Tag abgefertigt werden sollen, permanent miteinander abgeglichen, so können die Abfertigungsprozesse im Lager entsprechend koordiniert und optimiert werden.
Pitch 6
In eine ähnliche Richtung ging auch die Präsentation von Stephan Sieber, dem CEO des Transportmanagement-Plattformbetreibers Transporeon. Laut seiner Aussage gibt es noch viel zu viele manuelle Prozesse in der Logistik, weshalb die Branche noch bei weitem nicht den optimalen Effizienzgrad erreicht hätte. Sieber beziffert die damit verbundenen monetären Verluste innerhalb der EU mit gut 60 Mrd. EUR. Abhilfe könne hier die Synchronisierung der Transportprozesse in Echtzeit bringen.
Pitch 7
Wie die urbane Logistik moderner und effizienter werden kann, stellte David Korte, Forschungskoordinator am Institut für Fördertechnik und Logistik an der Universität Stuttgart, vor. Angesichts der prekären Verkehrssituation hat das Institut im Rahmen des „Stuttgarter Logistik Modells“ ein mögliches Konzept für die Verlagerung der Güterverkehre auf alternative Wege entwickelt. Dabei könnten zum Beispiel Frachtseilbahnen oder kombinierte Personen/Güter-Straßenbahnen zum Einsatz kommen. Zusätzlich könnten in urbanen Logistik-Hubs statt einfacher Warenumschlagprozesse auch wertschöpfende Tätigkeiten angeboten werden.
Pitch 8
Sehr dicht an der Praxis orientiert sich der Ansatz des Start-ups Wiferion, welches das automatisierte, kontaktlose Laden von Flurförderzeugen anbietet und damit den klassischen Batteriewechsel überflüssig macht. Florian Reiners, der CEO des Unternehmens skizzierte, wie der Solartechnikanbieter SMA seine innerbetrieblichen Transportprozesse am Standort Niestetal auf den neuen Ansatz umgestellt hat.
In einem ersten Schritt wurden die Blei-Säure-Batterien der auf festen Wegen eingesetzten Routenzüge durch Lithium-Ionen-Akkus ersetzt und die Geräte mit induktiver Ladetechnik aufgerüstet. Anschließend wurden an bestimmten Punkten, an denen die Routenzüge Wartezeiten verbringen, Induktionsfelder im Boden eingelassen. In der Folge stellte sich heraus, dass die Batterien nur noch zu 30 Prozent ausgelastet wurden. Der Prozessgewinn sei beträchtlich gewesen: Pro Schicht und Fahrzeug sparte das Unternehmen durch das kabellose Laden jeweils 20 Minuten Zeit ein, da der Batteriewechsel überflüssig wurde.
Das Rennen um die Gunst der Zuschauer war spannend, doch letztlich setzte sich mit Wiferion der Teilnehmer durch, dessen technische Lösung bereits einsatzbereit und mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand umsetzbar ist. CEO Reiners und sein Team dürfen sich über das Gewinnerzertifikat freuen.
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