Wo Lernen digital funktioniert

gut ab wie ihre Kollegen aus der Präsenzschulung. (Foto: Damircudic/iStock)
Ein Pilotprojekt ist eine gute Sache: Hier zeigen sich die Erfolgs- und auch die K.-o.-Kriterien für eine neue Idee. So auch beim Pilotprojekt zu „Onlineschulungen im Rahmen der Gefahrgutbeauftragtenschulung“. Gestartet ist es 2020, als in der Pandemie dringend Alternativen zu den gewohnten Schulungen benötigt wurden. Denn Gefahrgutbeauftragte müssen ihr Wissen mit Grund- und Auffrischungsschulung regelmäßig auf den neuesten Stand bringen.
„Impuls kam aus der Wirtschaft“
Onlineschulung ist längst kein Neuland mehr. Solche Angebote gibt es in vielen Unternehmen und bei Ausbildungs-Dienstleistern schon seit längerem, unter anderem im Arbeitsschutz. Im Zusammenhang mit der Gefahrgutlogistik sind die Vorgaben für Inhalt und Ablauf der Schulungen jedoch besonders streng reguliert.
Schulungsanbieter brauchen hier eine Zulassung der Industrie- und Handelskammern (IHK), die auch die Lehrpläne erstellen, den ordnungsgemäßen Ablauf der Schulungen kontrollieren, Prüfungen abnehmen. Insgesamt gibt es in Deutschland 79 Kammern. Bei so einer großen Zahl von Verantwortlichen wundert es nicht, dass die Reaktionen unterschiedlich ausfielen, als Schulungsanbieter nach Zulassungen für Onlineangebote fragten. Besonders aufgeschlossen zeigten sich unter anderem die Handelskammern Bremen und München, in ihren Bereichen startete folgerichtig das Pilotprojekt.
Jörg Albertzard von der Kammer in Bremen musste nicht lange überlegen: „Der Impuls kam schon aus der Wirtschaft.“ Logistikdienstleister Kühne+Nagel, mit Stammhaus in Bremen, brachte bereits Erfahrungen aus internen Onlineschulungen ein. „Wir mussten jedoch unter anderem klären, ob die Angebote tatsächlich technisch stabil laufen und wie die Kammer ihrer Kontrollpflicht nachkommen kann“, erinnert sich Albertzard.
Lernbedingungen anpassen
Die ersten Monate zeigten, dass die Technik funktioniert. Für den IHK-Gefahrgutreferenten gibt es einen Zugang, so dass er sich jederzeit einloggen und prüfen kann, ob die angemeldeten Teilnehmer tatsächlich vor ihrem Bildschirm sitzen. Maximal zehn Personen sind pro Kurs zugelassen. Das erleichtert unter anderem die Kommunikation. Die Möglichkeit, jederzeit Fragen zu stellen, war den Verantwortlichen in den Kammern ein wichtiges Anliegen.
Neben den technischen ergaben sich auch organisatorische Fragen: Es habe sich gezeigt, dass die Teilnehmer sich nicht acht Stunden lang am PC konzentrieren können – obwohl Gefahrgutbeauftragte es durchaus gewohnt sind, sich weiterzubilden, und Erfahrungen mit Videokonferenzen mitbrachten. Also wurde die tägliche Stundenzahl auf sechs reduziert. Damit erstrecken sich die Onlineschulungen nun über fünf Tage – in der Präsenzvariante sind es nur drei. Eine Umfrage unter den Teilnehmern des Pilotprojekts ergab, dass dies gut ankommt. Und die Prüfungsergebnisse zeigten, dass die Gefahrgutbeauftragten am Bildschirm genauso gut lernen wie im Präsenzkurs.
Eine wichtige Erkenntnis aus der Testphase: „Onlinekurse erledigen sich nicht nebenbei, die Teilnehmer brauchen eine lernfördernde Umgebung“, betont Wolfgang Strober. Der Inhaber von Strober & Partner, Mühldorf am Inn, war mit seinem Schulungsunternehmen am Pilotprojekt beteiligt. Unternehmen müssten dafür sorgen, dass die Gefahrgutbeauftragten tatsächlich ungestört die Schulung absolvieren können. Freiräume für digitales Lernen müssen sowohl im wörtlichen Sinn als auch zeitlich eingeplant werden.
Auch die Trainer sind gefordert. Sie brauchen Zeit, sich mit den technischen Möglichkeiten vertraut zu machen, um sie gezielt einzusetzen. Dann lassen sich problemlos Videoclips einspielen, mit der Dokumentenkamera Formulare bearbeiten, in Breakout-Sessions können kleine Lerngruppen gemeinsam Aufgaben bearbeiten. Bei Strober & Partner erhalten die Teilnehmer außerdem vorab einen Ordner mit Unterlagen, wie auch bei Präsenzschulungen üblich.
Jetzt geht es erst einmal für die Gefahrgutbeauftragten weiter: Die Kammern aktualisieren die Schulungsleitlinien, so dass digitale Aus- und Weiterbildung für sie auch künftig eine Option ist.
Auf Zielgruppe eingehen
Trotz der positiven Ergebnisse und jahrelanger Erfahrung mit Onlineschulungen in anderen Bereichen sieht Wolfgang Strober auch die Grenzen des Systems: „Für Gefahrgutbeauftragte, die gewohnt ist, sich Wissen anzueignen, läuft Onlineschulung gut. Für andere Berufsgruppen, wie etwa die Verpacker, brauchen wir einen anderen Zugang.“ Wer ungern die Schulbank drückt, kann nach seiner Erfahrung im Präsenzkurs ganz anders abgeholt und aktiviert werden. Gemeinsame Aktivitäten gehören bei Strober zum Ausbildungsalltag, die Teilnehmer können sich im Raum bewegen, und zum Beispiel mit Verpackungen und Etiketten hantieren.
Unterweisungen für Verpacker gibt es zwar auch online, doch sie müssen anders vorbereitet werden. „Sie brauchen mehr Aufmerksamkeit, da die technischen Fähigkeiten und teilweise auch die Infrastruktur nicht gegeben ist“, ist Strobers Erfahrung. Er ergänzt aber, dass online viel mehr möglich sei, als man denke. „Selbst praktische Übungen sind mit den richtigen Tools gut durchführbar.“ Einschränkungen registriert er eher im sozialen Bereich: „Die Fragen, die abends bei einem Präsenzkurs geklärt werden, und die spontanen Diskussionen fehlen im Onlineraum.“
Angebote, bei denen die Präsenzzeit zum Beispiel auf einen Tag reduziert wird und der Rest online läuft, sehen Anbieter nicht als Ausweg: Online müsse als Stand-alone-Lösung funktionieren. Selbst bei wenigen Stunden Präsenz seien die Vorteile des digitalen Angebots nicht mehr vorhanden. Das ist ein Hindernis bei digitalen Gefahrgutschulungen für Fahrer, die praktische Übungen enthalten. (cs)