KI-Revolution im Lager

Die Automatisierung der Lager ist schon länger in vollem Gange. Zunehmend wird nun Robotik mit künstlicher Intelligenz (KI) kombiniert. Es geht nicht nur um Effizienz, sondern auch um die Attraktivität der Logistikjobs.

Automatisierung im Lager mit Entladeroboter Stretch (hinten) und Inspektionsroboter Spot (vorn). (Foto: Otto Group)

Covariant, Boston Dynamics, Dexterity, Nomagic – das sind Unternehmen, von denen man in Sachen Intralogistik zuletzt öfter gehört hat und wahrscheinlich noch viel hören wird. Denn Robotik in Kombination mit künstlicher Intelligenz (KI) nimmt mächtig Fahrt auf. „Wir stehen ganz am Anfang einer exponentiellen Entwicklung“, ist auch Kay Schiebur überzeugt, der für Logistik zuständige Konzernvorstand der Hamburger Otto Group. Bei dem E-Commerce-Konzern ist man nicht an einer Lösung für einen Anwendungsfall interessiert, sondern an einer mittelfristigen Perspektive. Dazu gehören auch die Erforschung und Entwicklung neuer KI-Anwendungen für die Logistik. Dafür ist das Unternehmen strategische Partnerschaften mit Boston Dynamics und Covariant eingegangen.

Während das für seine Laufroboter bekannte Unternehmen Boston Dynamics bereits 1992 gegründet wurde, gibt es Covariant, Dexterity und Nomagic erst seit 2017. Einzig Nomagic stammt nicht aus den USA, sondern aus Polen. Sie alle stehen beispielhaft für die inzwischen zahlreicheren Anbieter robotergestützter Automatisierung auf Basis von KI.

Wir stehen am Anfang einer exponentiellen Entwicklung. Kay Schiebur, Konzernvorstand Services, Otto Group

Zu den Dienstleistern, die den Einsatz in ihren Logistikzentren vorantreiben wollen, gehört zum Beispiel Arvato. Die Bertelsmann-Tochter kooperiert jetzt mit Boston Dynamics und Nomagic. Am Standort Dortmund betreibt Arvato ein Verteilzentrum für Fashion-Firmen. Dort wird zunächst der Justpick genannte Roboter von Nomagic für die Kommissionierung von Einzelartikel-Bestellungen aus dem vollautomatischen Autostore- Lager eingesetzt. Aktuell betreibt Arvato bereits zehn Autostore-Systeme weltweit. Das Potenzial für eine Skalierung ist daher groß. Weitere Anwendungen an Shuttle-Lager-Arbeitsplätzen und bei der Taschensorter-Beladung seien geplant. „Das autonome Roboter-System versetzt uns bei entsprechender Skalierung in die Lage, durch das kontinuierliche Abarbeiten von Kundenaufträgen – vor allem während Spät- und Nachtschichten – flexibler und mit kürzeren Durchlaufzeiten auf die Anforderungen unserer Kunden zu reagieren“, sagt Axel Mayer, President Lifestyle Fashion & Sports bei Arvato.

Der Logistiker Fiege hat an seinem Standort in Greven-Reckenfeld zwei Roboterarme von Nomagic installiert. So kommissioniert Justpick Werkzeuge und Verbrauchsmaterialien an einem Port eines Autostores. In einem anderen Hallenbereich ist die Lösung Justinduct an einen Taschensorter angeschlossen und befüllt die Taschen der Anlage mit Textilwaren. Damit will Fiege den Durchsatz erhöhen und gleichzeitig die Mitarbeitenden von repetitiven Tätigkeiten entlasten

Die Behälterkommissionierung gelte als eine der großen Herausforderungen in der Robotik, sagt Pano Papamanoglou, Chief Operations Officer bei Nomagic. Die Robotergreifarme verfügen über eine Saugnapftechnik, mit der sie beliebige Artikel kommissionieren können. Nach Angaben des Anbieters weisen sie eine minimale Fehlerquote auf. Die Greifer können bei Bedarf schnell gewechselt werden, wodurch die Roboterarme universell einsetzbar sind.

Der hundeähnliche Roboter Spot von Boston Dynamics hat Sitz gemacht, hier auf der Bühne beim Deutschen Logistik-Kongress im Oktober 2023. Das Modell ist bereits in Logistikzentren von Hermes Fulfilment im Einsatz. (Foto: BVL Bublitz)
Covariant-Pilotstation bei der Otto-Tochter Hermes Fulfilment in Haldensleben. (Foto: Otto Group)
Pick-Roboter von Nomagic, den Fiege am Standort in Greven-Reckenfeld einsetzt. (Foto: Fiege)
GXO testet in einem Lager in Bloomington (Kalifornien) ebenfalls KI-gestützte Roboter und arbeitet dafür mit dem Anbieter Dexterity zusammen. (Foto: GXO)
Arvato schafft zehn Entladeroboter namens Stretch von Boston Dynamics an. Die ersten beiden setzt die Bertelsmann-Tochter an ihrem US-Logistikstandort in Louisville ein. (Foto: Boston Dynamics)

Neue Funktion bei GXO

Der US-Kontraktlogistiker GXO hat 2023 sogar die Position des Chief Automation Officer (CAO) geschaffen. In der Logistikwelt dürfte der CAO noch ein Novum sein. Dabei ergibt sie durchaus Sinn. Die Nachfrage nach Lösungen, die die Effizienz und Produktivität steigern, ist riesig. „Die Lagerautomatisierung steht an einem Wendepunkt“, sagt CAO Adrian Stoch. Der Einsatz von KI werde beschleunigt und ausgeweitet.

Stoch verkündete erst kürzlich eine Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Anbieter Dexterity. Auch in diesem Pilotprojekt wird Robotik mit KI und maschinellem Lernen kombiniert. Ziel ist es, die Abläufe für einen Kunden aus der Kosmetikbranche am Lagerstandort Bloomington (Kalifornien) effizienter und produktiver zu gestalten. Mit den KI-gesteuerten Robotern und ihren menschenähnlichen Fähigkeiten lassen sich Pakete depalettieren, etikettieren und wieder palettieren. Die Implementierung dauert laut Stoch nur ein paar Tage. Die Roboter trainieren sich selbst bei der Arbeit und verbessern ihre Leistung mit jeder Entnahme.

Entladung von Containern

Schnell einsatzfähig ist auch das Modell Stretch von Boston Dynamics. Arvato hat mit dem Anbieter aus Massachusetts zunächst die Anschaffung von zehn solcher Entladeroboter vereinbart. Die ersten beiden werden in Louisville (Kentucky/USA) eingesetzt. Geplant sei, Stretch auch in Europa einzuführen, beginnend mit den Standorten in den Niederlanden. Bernhard Lembeck, Leiter der Abteilung Future Warehouse bei Arvato, sieht mittelfristig großes Potenzial. „Wir sehen Stretch nicht als alleinstehendes System, sondern als weiteren Baustein unserer Warehouse Automation Toolbox, die neben der robotergestützten Eingangspalettierung und dem Palettentransport durch fahrerlose Transportsysteme und autonome mobile Roboter die Prozesskette hin zu einem vollautomatischen Wareneingangsprozess vervollständigt.“

Stretch kann laut Arvato Kartons mit einem Gewicht von bis zu 23 Kilogramm handhaben und bis zu 16 Stunden lang ununterbrochen arbeiten. Der Roboter entlädt bodenbeladene Lkw und Container schneller und erspart Mitarbeitenden körperlich anstrengende Arbeit. „Die Automatisierung ist gleichzeitig ein wichtiger Schritt, um das generelle Problem der Personalverfügbarkeit anzugehen“, sagt Arvato-Projektleiter Alex Rees. Stretch ist mit einem Roboterarm ausgestattet, der auf einer mobilen Plattform montiert ist. Mit einem Bildverarbeitungssystem und einem Vakuumgreifer mit pneumatischer Steuerung und Sensorik erkennt und greift er verschiedene Kartontypen und -größen. Der Roboter trifft seine Entscheidungen in Echtzeit, eine Vorprogrammierung von Kartoninformationen ist nicht nötig.

  • 47 Prozent der Lagereibetriebe in Deutschland verzeichnen einen Fachkräftemangel.

  • 7,5 Prozent waren es Anfang 2009 bei Beginn der Erhebung des Münchner Ifo Instituts.

  • 62,4 Prozent meldeten einen Fachkräftemangel im Herbst 2022 – der bisherige Rekord.

Große Ambitionen bei Otto Group

Stretch ist auch Teil der Kooperation zwischen Boston Dynamics und der Hamburger Otto Group. Das Modell werde voraussichtlich im Spätsommer 2024 am Hermes-Fulfilment-Standort in Haldensleben (Sachsen-Anhalt) zum Einsatz kommen, teilte der Versandhändler auf Anfrage mit. Er wird laut Otto damit der erste in Europa installierte Stretch-Roboter sein. Die Vision sei es, ihn künftig in jedem Fulfilment-Zentrum einzusetzen.

Zudem wird die Otto Group den hundeähnlichen Roboter namens Spot von Boston Dynamics integrieren. Dieser wird derzeit in den Logistikzentren in Haldensleben und Ansbach (Mittelfranken) eingesetzt. Er erledigt Tunnelinspektionen und leistet präventive Wartungsarbeiten. Zeitnah werde Spot seine Arbeit auch in Löhne (Nordrhein-Westfalen) aufnehmen, der Einsatz an weiteren Standorten sei noch 2024 geplant.

In Haldensleben gibt es zudem schon eine Pilotstation des KI-gesteuerten Roboters des kalifornischen Anbieters Covariant. 2025 sollen die Roboterarme ihren regulären Betrieb auch an weiteren Standorten aufnehmen. Künftig könnten insgesamt mehr als 100 solcher Stationen in den Versandzentren stehen. Der Roboterarm übernimmt dabei Aufgaben, die bislang eine menschliche Hand-Auge-Koordination verlangten. Er lernt die unterschiedlichen haptischen Eigenschaften der verschiedenen Produkte und speichert sie in seinem elektronischen Gedächtnis ab – für das nächste Mal, für alle weiteren Roboter der Flotte und das standortübergreifend. Die Investition bewegen sich hier nach Angaben der Otto Group im zweistelligen Millionenbereich.

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