Beherrscht die Informationsflut!

Innerhalb eines Unternehmens ist die Logistik in erster Linie ein Kostenfaktor. Erst Unternehmen wie Amazon haben gezeigt, dass Logistik tatsächlich zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden kann.

Eine EDI-Schnittstelle sorgt bei Volkswagen für Nachschub, damit in der Kommissionierung das Material nicht ausgeht. <i>(Foto: Volkswagen AG)</i>

Innerhalb eines Unternehmens ist die Logistik in erster Linie ein Kostenfaktor. Erst Unternehmen wie Amazon haben gezeigt, dass Logistik tatsächlich zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor werden kann. Das hat zwar ein gewisses Nachdenken im Management vieler Firmen ausgelöst, auch angetrieben von den neuen Möglichkeiten, die Big Data bietet. Dennoch finden sich in der Praxis noch viele veraltete Methoden und Technologien in den Unternehmen. Und das betrifft auch die großen Konzerne. In ungewohnter Offenheit kritisierten Referenten und Zuhörer die Digitalisierungsprozesse in der Logistik auf dem Forum Automobillogistik (FAL) vor kurzem in Frankfurt am Main.

„Ich kam zur Supply Chain und dachte, mich trifft der Schlag“, beschreibt ein Unternehmensvertreter seinen Wechsel von der vorherigen Abteilung in die Logistik. Gemeint waren damit manuelle Prozesse und ineffiziente Abläufe in der Transportkette. Auch in den vorgestellten Pilotprojekten auf dem FAL bearbeiteten viele Unternehmen die eingehenden Datensätze zum großen Teil manuell, also über Faxe und E-Mails. Zudem verschärfen in den Logistikbetrieben der hohe Altersdurchschnitt der Beschäftigten und geringe Gewinnmargen das Problem. Investitionen in die Digitalisierung werden daher nur zögerlich oder oftmals auch gar nicht umgesetzt.

Zwar analysiert ein großer Teil der Unternehmen bereits die Maschinendaten, doch die Möglichkeiten werden nicht vollständig ausgeschöpft. Nach einer Studie des Softwareproduzenten SAS Deutschland werten drei Viertel der Unternehmen ihre Informationen aus. Damit sollen neben der Analyse der Produktqualität mögliche Rückrufaktionen vermieden werden. Die Hälfte der auswertenden Unternehmen nimmt sich jedoch nur bis zu 60 Prozent der Maschinendaten vor, um damit ihre Prozesse zu gestalten.

Automatisierte Lieferkette

An der Auswertung der Datenflut führt jedoch kein Weg vorbei. Viele Informationen landen im betrieblichen Alltag noch auf Datenfriedhöfen. Dies geschah besonders in den ersten Jahren nach der Einführung eines neuen Systems wie beispielsweise RFID. Das Stiefkind der Logistik kämpft noch immer mit einer mangelnden Akzeptanz. „RFID hat viel gebracht. Dennoch wird es in den Unternehmen bisher nur in geringem Maße eingesetzt“, kritisiert Ulrich Katzer, Direktor Logistik Automotive bei dem Automobilzulieferer Rehau. Nur 30 Prozent der Behälter seien mit dem RFID-Barcode ausgestattet und hätten eine akzeptable Steuerung.

Dabei könne eine verbesserte Datenqualität die zunehmend komplexen Logistikprozesse verschlanken und deutlich verbessern, wie Katzer am Beispiel einer Lieferkette vom Tier 2 zum OEM aufzeigt. Über das externe Transportmanagement geht der Zeitpunkt der Anlieferung ein. Dieses System steuert gleichfalls Kapazitäten und Routen. Wenn die Ware eingetroffen ist, findet eine automatische Buchung statt. Die Bewegungen der Behälter sind jederzeit transparent, Wegstrecken werden automatisch geplant, so dass Transportfehler minimiert werden.

Endstation Schnittstelle

Die Erstellung der Versandpapiere und Ausgangsbuchungen verläuft automatisiert, ebenso die Optimierung von Kapazitäten in der Disposition beziehungsweise im Bestand. Doch ein solch optimierter Logistikprozess scheitert heute noch viel zu oft an den Schnittstellen in der Supply Chain. „Als OEM haben wir die Augen davor verschlossen, was in den Schnittstellen passiert“, räumt Matthias Braun, Leiter Netzwerkplanung und Standortprojekte bei Volkswagen Konzernlogistik, ein. „Das funktioniert nicht mehr. Es geht nicht mehr ohne die anderen“, fügt er hinzu. Mittlerweile gebe es allerdings Anpassungsprozesse im Management.

Dauerthema Stammdaten

Im Volkswagen-Konzern werden jeden Tag 180 Mio. Teile bewegt. „Täglich müssen 40.600 Fahrzeuge mit Material versorgt werden“, sagt Matthias Braun, Leiter Netzwerkplanung und Standortprojekte bei Volkswagen Konzernlogistik. Diese Komplexität im logistischen Netzwerk sei eine immense Herausforderung und setze sich über die Ebenen der Lieferkette fort. „Spätestens seit Fukushima schaue ich die Nachrichten anders an als davor“, schildert Braun. So hat sich die Wahrnehmung von Risiken verändert.

In einem ersten Schritt ist der Konzern in eine gemeinsame Plattform mit Lieferanten eingestiegen. Eine EDI-Schnittstelle hat die Brücke zwischen Lieferant und VW geschaffen. „Im September 2014 avisierte VW noch größtenteils per Fax und E-Mail“, beschreibt Braun die Prozesse vor der Implementierung des Web-Avises über eine Plattform. Entsprechend gering war die Quote der automatisierten Avise mit 15 Prozent. Ein Jahr später, im August 2015, liefen bereits über 80 Prozent der Avise automatisiert. Als Vorteile schildert Braun weniger Eingabefehler und die Auflösung des Medienbruchs.

Doch noch immer werden viele IT-Projekte nicht auf die Straße gebracht. „Es ist keine Frage der Technik. Das Stammdatenthema und die Medienbrüche sind die größten Herausforderungen“, sagt Matthias Lühr, bei Volkswagen Konzernlogistik verantwortlich für Informationsprozesse und Materiallogistik. Fehler in den Stammdaten wie falsche Anliefer- oder Abholadressen würden zu Verwirbelungen in der Transportkette führen. „Die Qualität der Stammdaten entscheidet über die Qualität des Prozesses“, ergänzt Lühr. In einem gemeinsamen Projekt mit Lieferant und Spediteur werden beide viel früher eingebunden. „Über EDI und Avisierung haben wir eine Datendrehscheibe geschaffen, die unterschiedlich angesteuert werden kann“, erläutert Lühr.

In der Pilotanwendung der automatisierten Transportavisierung VDA 4933 von Volkswagen gemeinsam mit Hella und Duvenbeck gelang die datentechnische Einbindung von Zulieferer, Automobilwerk und Gebietsspediteur. Die VDA 4933 ist die Empfehlung des Verbands der Automobilindustrie zum Transportavis per EDI auf Basis des Lieferavis VDA 4987.

Paralleler Start

Um die funktionierenden Prozesse nicht zu gefährden, starteten die drei beteiligten Unternehmen das Projekt im Parallelbetrieb zur herkömmlichen Avisierung.

Markus Exo, Key-Account-Manager bei Duvenbeck, sagt, dass die Einführung einfacher als gedacht gewesen sei. „Ab der dritten Woche konnten wir keine Fehler mehr zwischen manuellem Avis und der VDA 4933 finden.“ Entscheidend für das positive Resümee war die hohe Stammdatenqualität. „Mittlerweile ist das Pilotprojekt in der operativen Anwendung“, erklärt Patric Galetzka, Logistikmanager bei Hella.

Unter dem Strich bilanzieren die Projektpartner, dass sich die operativen Aufwände weitestgehend reduziert haben. Zudem lassen sich auch fehlerhafte Interpretationen bei der Anmeldung immer häufiger vermeiden. Die Reduzierung der Cut-off-Zeit und kürzere Prozesse waren weitere Erfolge des Projekts. Die Erfahrungen, die die Projektpartner gemacht haben, sind zum VDA zurückgespielt worden und in die Anpassungen der VDA 4933 eingeflossen.

Die Qualität der Stammdaten entscheidet über die Qualität des Prozesses.

Matthias Lühr, verantwortlich für Informationsprozesse und Materiallogistik bei Volkswagen Konzernlogistik

Von Doris Hülsbömer, Fachjournalistin,  Frankfurt

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