Sackgasse: „Knäckebrot 4.0“

Der Begriff „4.0“ bleibt schwammig. Unternehmen sollten die neuen Techniken dort einsetzen, wo es betriebswirtschaftlich relevante Gründe dafür gibt.

Wenn starke neue Techniken und mutiges Unternehmertum zusammentreffen, dann können große Dinge entstehen. Das beweisen Amazon, Google, Facebook & Co., die im Zusammenhang mit der „4.0“-Diskussion immer wieder auftreten.

Doch bei all der Euphorie um das Thema „4.0“ sollte jeder nachfragen, was das denn genau ist, das alle so großartig, zukunftssichernd und erfolgversprechend finden. Seitdem das Schlagwort „4.0“ in aller Munde ist, stellt sich die Frage, wie dieses Etwas zu fassen ist.

Ein ganz beträchtlicher Teil dessen, was „4.0“-Experten versprechen, ist nicht sichtbar: Sie sagen, dass „Industrie 4.0“ und „Logistik 4.0“ für mehr Digitalisierung steht. Und: Digitalisierung bringt Erfolg. Sie umgeben sich mit der Aura eines dem Laien in der Praxis nicht zugänglichen neuen, nur ihnen, den Experten, erschlossenen Wissens. Nur wer das hat, so klingt die Botschaft, wird in der Zukunft bestehen. Aber was das heißt, sagen sie nicht. Wie hilft „4.0“ konkret, die Marktattraktivität, Produktivität, Agilität, Profitabilität von Unternehmen zu steigern? Wie geht das für Unternehmen der Logistikwirtschaft?

Die unglaubliche Resonanz des Schlagworts in den Medien und der Politik wirkt schon mal als ein Weckruf an viele Unternehmen. Es ist nötig, sich über die Zukunftsfähigkeit von Geschäftsmodellen des 20. Jahrhunderts Gedanken zu machen.

Auf Zukunft vorbereiten

Ein wichtiger Punkt dabei sind die Wirkungen der neuen Informations- und Kommunikationstechniken auf die Bedürfnisse der Kunden. Denn für jedes Unternehmen ist es gefährlich, nicht auf die Möglichkeit plötzlichen Auftretens technisch überlegener Wettbewerber vorbereitet zu sein. Diese Sensibilisierung ist in vielen Unternehmen überfällig. Allerdings liefert sie keine Antwort auf eine einzige der genannten unternehmerischen Herausforderungen.

Das geschieht erst, wenn man tiefer in die „4.0“-Diskussion einsteigt. Sie liefert ein paar Anhaltspunkte dafür, welche konkretere Art von Veränderung und Innovation – technisch oder anderweitig – geeignet sein kann, die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern: also marktattraktive, vielleicht sogar neuartige Produkte und Services zu schaffen. Auch lassen sich damit Kostensenkungen und eine verbesserte Reaktions- und Anpassungsfähigkeit an Markt und Umfeld realisieren.

Zum einen steht „4.0“ damit für die Selbststeuerung von Objekten und Prozessen. Akteure und Dinge, die in den Wertschöpfungsnetzen zusammenwirken, können heute mit Informationen in Echtzeit und zusätzlicher Intelligenz ausgestattet werden. Damit wird teure, fehleranfällige, träge zentralistische Planung durch dezentrale, reaktionsschnelle, qualitätstreue, kosteneffiziente Selbststeuerung ersetzbar. Das ist „4.0“ auf der Basis von „Smart Objects“ und dem „Internet der Dinge“.

In der Logistik können das der sich dezentral selbststeuernde Stapler, Kommissioniermitarbeiter, Transporter, vielleicht auch die „Palette 4.0“ sein. Sie entscheiden dann autonom über die Annahme und Nicht-Annahme von Aufträgen, deren optimale zeitliche Eintaktung in Prozesse oder günstigste Pfade durch Ressourcennetzwerke.

Vorausschauend planen

Zum anderen verbindet sich „4.0“ mit der Diskussion um „Big Data“. Für jedes industrielle und logistische Netzwerk ist die vorausschauende Anpassung der Produktions- und Servicekapazitäten an wechselnde Nachfragevolumen ein Erfolgsschlüssel.

Große amerikanische Transport-Netzwerkunternehmen stecken beispielsweise viel Intelligenz und datentechnisches Know-how in „Predictive Analytics“. Diese Art der systematischen Vorschau basiert auf Transport-Nachfrage-Wahrscheinlichkeiten für den nächsten und übernächsten Tag. Sie differenziert nach Relationen, Güterarten und auch Kunden-Zahlungsbereitschaft.

Damit wollen die Unternehmen die Bereitstellung von Personal im Verlade-, Umschlags- und Entladebereich, aber auch die Fahrzeugkapazitäten für den nächsten und übernächsten Tag exakter planen als bisher. Zudem ist es damit möglich, einen besseren Frachtpreis zu realisieren.

Logistikunternehmen haben riesige Bestände von Daten in ihren Speditions- und Transportmanagementsystemen abgelegt, die dafür bisher kaum genutzt, und erst recht nicht mit anderen Datenbeständen – wie Verkehrs-, Wetter-, oder Konjunkturprognosen – systematisch vernetzt werden. Die amerikanischen Beispiele zeigen, dass man durch Investitionen in „Predictive Analytics“ mehrere Prozentpunkte an Umsatzrentabilität gutmachen kann.

„4.0“ steht zudem für eine Ad-hoc-Nutzung bisher wenig beachteter, kostengünstiger Ressourcen. Sie sind durch die Verbreitung von Smartphones und Apps erst möglich geworden. Dazu gehört „Crowd Sourcing“ nach dem Beispiel der Uber-Mobilitätsdienste oder die Bereitstellung von hoch individualisierten Dienstleistungen zu günstigen Kosten durch effiziente, industrialisierte modulare Prozesse („Mass-Customization“).

Vorsicht vor Sprechblasen

Bei all den Möglichkeiten zum Fortschritt und der Zukunftssicherheit von Unternehmen, sie werden nicht allein dadurch verbessert, dass man „4.0“ an immer mehr Begriffe anhängt, diese mit zunehmender Häufigkeit wiederholt und durch noch luftigere Schlagworte wie „cyberphysische Systeme“ aufpeppt. Der Schlagworte-Pfad von „Industrie 4.0“ zu „Logistik 4.0“ zu „Palette 4.0“ führt nicht in eine erfolgreiche Zukunft, sondern in Sackgassen der Selbstbefriedigung mit Etiketten-Innovationen bis hin zu „Knäckebrot 4.0“.

Die neuen Techniken sollten daher nicht als Wunderrezept überschätzt werden. Sie wirken nicht erfolgssichernd, sondern kontraproduktiv, wenn sie das Suchfeld der Unternehmen allein auf die informations- und kommunikationstechnischen Innovationen verengen. Unternehmen in Industrie und Logistik sollten sich vielmehr auf eine offene, nüchterne Identifizierung und Umsetzung solcher Möglichkeiten konzentrieren. Dabei ist es egal, ob sie technischen, betriebswirtschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Fortschritts sind. Wichtig ist, dass sie den Unternehmen helfen, Kundenbedürfnisse besser zu erfüllen oder neue zu entdecken.

Von Prof.  Peter Klaus,  Business Administration,  Boston University

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