Binnenschifffahrt der Zukunft: Automatisiert und emissionsfrei
Ein klimaneutrales Schiff, das zudem auch noch vollständig automatisiert fahren kann? Daran forschen die Universität Duisburg-Essen und das Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) mit ihrem „Smart & Green Ship“, einem 15 Meter langen Forschungsschiff. Weltweit gibt es aktuell nur wenige Projekte mit diesem Schwerpunkt. Dazu zählen Projekte in Norwegen, die sich mit emissionsfreien und automatisierten Schiffen befassen, teilt Prof. Bettar el Moctar, Projektleiter von „Smart & Green Ship“ und Leiter des Instituts für Schiffstechnik, Meerestechnik und Transportsysteme (ISMT) mit. Deutschland sei „mit an der Spitze auf dem Gebiet.“ Die Bundesministerien BMWK und BMDV sowie Landesministerien wie das Verkehrsministerium NRW fördern die Entwicklungen.
Konzipiert wird das Schiff als Katamaran. Aus dem einfachen Grund, eine größere Fläche zu haben, nämlich etwa 100 Quadratmeter Deckfläche zur Unterbringung. Laut Prof. Bettar el Moctar sei ein solches Schiff besonders stabil und biete beispielsweise hohe Sicherheit vorm Kentern in Wellen.
Das Team
An dem vom Landesverkehrsministerium NRW geförderten Projekt sind das ISMT und der Lehrstuhl für Mechatronik der Universität Duisburg-Essen sowie das DST beteiligt.
Die Projektpartner widmen sich den technischen und mechatronischen Themen, wie etwa dem Linienentwurf, dem Antriebs- und Propulsionskonzept und der Automatisierung. Teile der dort angewendeten KI-Algorithmen werden ans Schiff angepasst.
Für das Projekt gibt es eine Fördersumme von etwa 1,1 Millionen Euro. Die übrige Summe (10 Prozent) wird von den Projektpartnern aus Eigenmitteln getragen.
Ferngesteuert und emissionsfrei
In der Schifffahrt allgemein, aber insbesondere in der Binnenschifffahrt herrscht akuter Fahrermangel. Laut BAG schlossen im Jahr 2020 nur 120 Personen Ausbildungsverträge zu Binnenschiffern ab, so wenig wie zuletzt im Jahr 2015. Menschen wollen nicht mehr ihr Leben auf dem Schiff verbringen, weiß der Leiter des ISMT. Die Hauptziele des Forschungsteams sind die Behebung dieses Problems und die Reduktion von Emissionen. Durch die Automatisierung des Betriebs wird weniger und langfristig gar kein Personal mehr an Bord benötigt. So ließe sich die Besatzung graduell reduzieren.
Auch die Fernsteuerung von Schiffen ist Teil des Forschungsprojekts. So sollen später mehrere Schiffe gleichzeitig von derselben Person gesteuert werden. Ergebnis der Automatisierung ist ein attraktiveres Arbeitsumfeld mit mehr Freiraum für das Privatleben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projekts ist die Nachhaltigkeit. Auf dem Wasser sollen unterschiedliche emissionsfreie Antriebe erprobt werden, wie beispielsweise der batterie-elektrische Antrieb und die Brennstoffzelle. Beide Technologien können einzeln und miteinander kombiniert eingesetzt werden. Der Maschinenraum wird modular gestaltet, sodass unterschiedliche Antriebssysteme eingesetzt werden können. „Wenn später ein Motor mit synthetischen Kraftstoffen genutzt werden soll, ermöglicht dies die modulare Bauweise“, erklärt Prof. Bettar el Moctar.
Fahrdynamik eines großen Schiffes
Berechtigt ist wohl der Einwurf, dass für die Schifffahrt normalerweise größere Schiffe eingesetzt werden. Auch daran wurde gedacht: „Die Konzeption der Manövrier- und Propulsionsorgane sorgt dafür, dass die Fahrdynamik eines großen Schiffes abgebildet werden kann“, sagt Prof. Bettar el Moctar. In drei Schritten gelangt man zum fertigen Forschungsschiff:
Vorentwurf: Entwicklung des Rumpfes (Form, Hauptabmessungen, Antriebs- und Propulsionskonzept, Ausstattung für die Automatisierung)
Ausschreibung für eine Werft, die das Schiff dann baut. Änderungsvorschläge seitens der Werft möglich. Darauf folgt der tatsächliche Bau.
Forschungsarbeit: Zunächst wird es mit der bestehenden Technologie emissionsfrei fahren. Entwicklung der Automatisierung. Die Hardware ist schon online, dann geht es darum, die Algorithmen zu implementieren. Bis ein Schiff vollautomatisch ist, kann es mehrere Jahre dauern.
Aktuell befindet sich das Team auf der Suche nach einer passenden Werft. Erfahrungen im Bereich der elektrischen Antriebe und Automatisierung sind wichtig. Der Stapellauf ist für 2023 geplant, in zehn Jahren soll ein vollautomatisiertes Binnenschiff in den Betrieb gehen.
Sichere Probefahrten haben Priorität
Nach dem Bau des Schiffes soll die Technik auf dem Dortmund-Ems-Kanal erprobt werden. Vorgesehen ist ein 20 Kilometer langer Abschnitt, wo das Schiff aufgrund der geringen Verkehrsdichte vollautomatisiert fahren kann. „Zu jeder Zeit wird aber auch ein Schiffsführer an Bord sein, der oder die im Notfall eingreifen kann. Die Verantwortung hat immer noch der Mensch“, so der Leiter des Instituts. (fw)