BLG-Arbeitsdirektorin Riedel: „Es gibt nicht die eine Antwort auf den Fachkräftemangel“
DVZ: Frau Riedel, wie sehr belastet die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften schon jetzt die Logistikbranche?
Ulrike Riedel: Das Thema beschäftigt, glaube ich, alle Branchen und zieht sich auch in der Logistik durch die unterschiedlichen Bereiche. Die Ursachen dafür sind vielfältig; ein wesentlicher Faktor ist der demografische Wandel. Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, Antworten zu finden. Es gibt unterschiedliche Instrumente, die zur Verfügung stehen: zum Beispiel die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt oder Fachkräftegewinnung aus dem Ausland. Das sind aber Dinge, die letztlich viele Unternehmen tun; deswegen ist das Thema Differenzierung als Arbeitgeber wichtig, um Beschäftigung auch langfristig zu erhalten. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, mit Beschäftigungsschwankungen anders umzugehen als bisher. Das ist eine Herausforderung für die Branche, aber auch für unsere Rolle in der Wirtschaft.
Welche Lösungen halten Sie für besonders vielversprechend?
Aus meiner Sicht ist es wichtig, möglichst viele Wege gleichzeitig zu gehen. Es gibt nicht „die eine Antwort“ auf den Fachkräftemangel. Wir versuchen zum Beispiel, im Bereich Ausbildung stärker aktiv zu sein. Wir haben unser Augenmerk aber auch auf das Thema interne Weiterqualifizierung gelegt und versuchen darüber hinaus, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Wir haben da noch keine etablierten Prozesse, versuchen jedoch, neue Wege zu gehen.
Im vergangenen Jahr hat die BLG 96 neue Ausbildungsplätze besetzt und 127 Azubis beschäftigt. Wie zufrieden sind Sie mit der Nachwuchsgewinnung?
Auf unsere Azubizahlen bin ich sehr stolz. Unser Team im Ausbildungszentrum macht einen sehr guten Job und entwickelt immer wieder kreative Ideen. Wir fangen zum Beispiel schon früh an, in Schulen für Jobs in der Logistik zu begeistern.
In welchen Bereichen ist es schwieriger, Personal zu finden?
Zum Beispiel in der IT. Die Digitalisierung ist für alle Unternehmen und Branchen wichtig, entsprechend greifen wir alle auf den gleichen Pool von Fachleuten zurück. Wir versuchen, über Joint Ventures mit Softwarefirmen neue Wege zu gehen und Möglichkeiten zu finden, Ressourcen zu sichern. Eine weitere Herausforderung ist der Bereich Kraftfahrer. Auch dort testen wir mit einer Kooperation in Marokko Möglichkeiten, um Menschen für unser Unternehmen und den deutschen Arbeitsmarkt zu begeistern.
Wie sieht die Kooperation in Marokko konkret aus?
Die Kooperation besteht jetzt seit ungefähr einem Jahr. Es handelt sich um eine Schule, in der Erwachsene Deutsch lernen. Viele der Schüler dort haben bereits eine Berufsausbildung oder Berufserfahrungen, die größten Barrieren sind die Sprache und das Kulturelle. Die Sprache wird an der Schule unterrichtet und wir stehen in Kontakt mit der Schule und eröffnen verschiedene Wege, bei uns tätig zu werden oder eine Ausbildung zu machen. Das Problem ist allerdings die Bürokratie, es dauert sehr lange, bis eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis ausgestellt wird, auch die Anerkennung von Qualifikationen ist sehr mühsam. Mittlerweile haben wir 15 Kolleginnen und Kollegen bei uns im Unternehmen, die aus Marokko kommen. Natürlich ist diese Lösung nur ein Baustein mit Blick auf den Fachkräftemangel, der mit anderen kombiniert werden muss.
Wo sehen Sie für die Kooperation die größten Hürden, bei denen die Politik ansetzen und unterstützen sollte?
Auf jeden Fall in der Dauer des Bearbeitungsverfahrens. Wir haben einen Kollegen aus Marokko, der neun Monate warten musste, bis er alle Papiere bei der deutschen Botschaft vorlegen konnte und die Einreise möglich war. Aber auch die Anerkennung von vorhandenen Qualifikationen ist ein großes Problem. Selbst Menschen, die zehn Jahre in Europa Lkw gefahren sind, müssen in Deutschland nochmal eine vollumfängliche Prüfung machen – und das auf Deutsch. Es gibt bisher keine Möglichkeit, die Prüfung in einer anderen Sprache zu absolvieren und einen separaten Deutschtest zu machen, um sprachliche Grundkenntnisse nachzuweisen.
Welche Maßnahmen sind seitens der Unternehmen notwendig, um ausländische Fachkräfte in den deutschen Arbeitsmarkt und ein neues kulturelles Umfeld zu integrieren?
Wir unterstützen bei der Wohnungssuche und den Behördengängen. Außerdem versuchen wir, vor allem Menschen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen – zum Beispiel Geflüchteten aus der Ukraine –, gruppenweise einen Paten zur Verfügung zu stellen, der bei verschiedenen Dingen unterstützen kann. Glücklicherweise haben wir einige Kolleginnen und Kollegen, die sich dazu bereiterklärt haben, diese Aufgabe zu übernehmen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Nachwuchsgewinnung für die Branche. Welche Faktoren halten Sie für besonders relevant, um junge Menschen für Logistik zu begeistern?
Das ist auch wieder ein ganzer Strauß an Dingen, die man beachten muss. Zum einen ist sicherlich das Image der Logistik als Zukunftsbranche ein wichtiger Baustein – gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels. Da haben es zum Beispiel Energieunternehmen, die von sich aus schon sehr stark für Transformation stehen, vielleicht etwas einfacher. Auf der anderen Seite sind wir als Unternehmen stark gefordert, mögliche Karrierewege und Tätigkeiten in der Logistik aufzuzeigen und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Mitgestaltung zu schaffen.
Am Standort Hamburg gestaltet sich die Gewinnung von Azubis aufgrund der fehlenden Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr allerdings schwierig. Wie schwerwiegend sind solche vermeintlich kleinen Aspekte im Fachkräftemangel?
Das ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Gerade in der Kontraktlogistik oder der Automobildistribution sind die Standorte in der Regel nicht im Stadtzentrum, sondern außerhalb. Da stellt sich immer die Frage, wie erschlossen die Gebiete sind und wie die Menschen zur Arbeit kommen können. Wir versuchen zwar, Alternativen zu schaffen, aber nicht jeder möchte per Fahrradleasing zur Arbeit fahren. Von daher ist das Thema Anbindung an vielen Standorten ganz wichtig – weil es eben auch ein Aspekt ist, der gegen uns als Branche sprechen kann. Da sollte die Politik unterstützen.
Immer wieder wird diskutiert, dass der Frauenanteil in der Branche gerade in Zeiten des Fachkräftemangels erhöht werden muss. Sehen Sie darin auch eine zentrale Maßnahme mit Blick auf den Fachkräftemangel?
Absolut. Aber auch dort stellt sich die Frage, welche generellen Rahmenbedingungen unsere Gesellschaft bietet, um beispielsweise Job und Familie unter einen Hut zu bekommen oder welche Betreuungsangebote es gibt. Die andere Frage ist natürlich, was man als Unternehmen tun kann, da ist der Frauenanteil mit Sicherheit noch ausbaufähig. Wir haben beispielsweise mal eine Initiative für Teilzeitausbildungen gestartet, dann kam leider Corona dazwischen. Auch Aspekte wie Exoskelette zur körperlichen Unterstützung oder Programme, um Frauen in Führung zu fördern, werden von uns verfolgt.
Der Branche wird oft nachgesagt, dass die Arbeitsbedingungen zu schlecht sind, zum Beispiel, was das Gehalt oder die Arbeitszeiten betrifft. Wie können Unternehmen dazu beitragen, dass die Bedingungen verbessert werden?
Die Vergütung ist in vielen Bereichen ein zentrales Thema und es ist kein Geheimnis, dass es Branchen gibt, die besser bezahlen. Aber wir sind überwiegend tarifgebunden. Mit Blick auf das Thema Vergütung stellt sich immer auch die Frage, wie es mit der Wertschätzung für die Dienstleistung, die wir erbringen, aussieht und inwieweit die Bereitschaft kundenseitig und bei den Endverbrauchern vorhanden ist, diese Leistungen entsprechend zu bezahlen. Es ist wichtig, mit diesen Themen ehrlich umzugehen – auch wenn es um Schichtarbeit und andere Aspekte geht.
Natürlich reicht es nicht, Arbeitskräfte „nur“ zu gewinnen – sie müssen auch langfristig im Unternehmen bleiben wollen. Auf welche Maßnahmen setzen Sie in der BLG Gruppe?
Das Allerwichtigste ist, dass sich die Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz wohlfühlen. Wir legen beispielsweise viel Wert auf das Thema Unternehmenskultur und, wie wir uns in dem Bereich weiterentwickeln können. Natürlich gibt es immer wieder Situationen, die wir nicht beeinflussen können. Das Wichtigste ist dann, Verlässlichkeit zu zeigen und Kolleginnen und Kollegen zu begleiten, transparent und ansprechbar zu sein.