Kombinierter Verkehr 2050: Lies die Vergangenheit, um die Zukunft zu verstehen
Das Jahr 2050 scheint weit weg, um eine ernstzunehmende Prognose abzugeben. Im Kombinierten Verkehr (KV) aber erhält man beim Blick 28 Jahre voraus ein klares Ergebnis: wenn man den Trend der letzten 28 Jahre betrachtet und ihn extrapoliert.
Was also hat sich in den vergangenen Jahrzehnten getan im Kombi-Markt? Zunächst: das langsame Sterben des Stückguts. Früher stand Stückgut noch 24 Stunden in den Hallen und war deshalb KV-affin. Das aber kann sich seit 25 Jahren niemand mehr leisten. So verschob sich der Markt auf Ladungsverkehre und mit den – unter Führung der UIRR international abgestimmten – Tarifanpassungen in den späten 80ern und frühen 90er Jahren auf schwere, zumeist flüssige Güter oder Stahl. Profiteure waren Unternehmen wie Rinnen, Hoyer, Bertschi oder Winner. Systemgutanbieter hingegen, die Platzhirsche und Kommanditisten bei Kombiverkehr, konnten immer weniger Volumen über den intermodalen Verkehr abwickeln.
Im Hinterland der deutschen Seehäfen wurden 1994 noch etwa 800.000 TEU befördert. Über 90 Prozent davon fuhr die Deutsche Bahn mit ihrer Tochtergesellschaft Transfracht. 2022 fährt Transfracht noch immer ein ähnlich hohes Volumen auf dem deutschen Markt. Bei einem Marktvolumen von heute rund 4,4 Mio. TEU beträgt der Anteil des Unternehmens aber nur noch 18 Prozent.
Auch im Kontinentalverkehr gab es deutliche Verschiebungen. Während Hupac in den vergangenen 28 Jahren (Annahme: Null-Wachstum 2022 gegenüber 2021) das Aufkommen versiebenfacht hat, ist Kombiverkehr nur begrenzt und auch nur international gewachsen. National werden heute 40 Prozent weniger gefahren als 1994. Viele Kraftwagenspediteure sind abgesprungen und/oder haben ihre eigenen KV-Systeme gegründet.
Extrapoliert man diese Entwicklung mit dem gleichen absoluten Wachstum wie in den vergangenen 28 Jahren, würde sich der Markt wie in der Tabelle oben beschrieben verändern. Was lernen wir daraus? Wer vertikal integriert, auf Ganzzuglinien fokussiert und/oder in Netzwerken denkt, der wächst – der Rest verliert Marktanteile oder scheidet aus.
Markt wird sich massiv verändern
- Um eine bessere Prognose im Einzelnen abzugeben, müssen wir aber die jüngsten Entwicklungen mit einbeziehen. Dazu zählen:
- Netzwerkanbieter konsolidieren kontinentalen und Überseecontainer-Verkehre.
- Reedereien, schon immer stark am Hinterlandverkehr interessiert und nun mit den nötigen Mitteln für aggressives anorganisches Wachstum ausgestattet, verlängern die Werkbank und wollen komplette Systemanbieter im Überseecontainer-Verkehr werden.
- Private KV-Anbieter mit eigenem Volumen (wie Ambrogio oder Lkw-Walter) bauen ihre Linien aus und vermarkten freie Kapazitäten (Slotcharter, Yield Management).
- Im Seehafen-Hinterlandverkehr werden sich noch stärker die Präferenzen von der Nordrange zu den Mittelmeerhäfen verändern. Hohe Energiekosten, Containermangel, Umdenken in der Klimapolitik beschleunigen diesen Prozess.
- Im Landverkehr wird es 2050 wahrscheinlich nur noch kranbare Auflieger geben – beziehungsweise die verbindliche Trennung von Aufbau und Trailer wird Standard sein.
- Erste unabhängige 4PL-Lösungen werden geboren (wie Primerail) und von interessierten reich Gewordenen direkt wieder vom Markt genommen.
- Das Plattform-Businessmodell gewinnt an Bedeutung (Railvis, Railflow, Modility). Der Kampf um die Vorherrschaft könnte die nächsten Jahre prägen – sofern die Modelle reüssieren.
- Neue Mengen werden endlich und zunehmend auch aus den Hochpreissegmenten kommen (Konsumgüter, temperaturgeführte Waren etc.).
- Aber: Der erneute Energieaktionismus Deutschlands wird den intermodalen Verkehr aus den Trassen drängen und 2022 und 2023 potenziell eher zu Verkehrsverlusten denn zu Wachstum führen.
Denkt man das alles konsequent weiter, wird sich der Intermodalmarkt in Europa bis 2050 massiv verändern.
Die meisten nationalen KV-Gesellschaften werden den Veränderungsprozess im Markt nicht überleben. Dieses Schicksal droht auch dem deutschen Marktführer Kombiverkehr. Das Unternehmen arbeitet fragmentiert in der Transportkette, bleibt damit ohne entscheidenden direkten Zugriff auf Terminals und Waggons und ist politisch zwischen Staatskonzern und Mittelstand neutralisiert. Unter ähnlichen Bedingungen ist der österreichische Anbieter Ökombi 2013 aus dem Markt ausgeschieden.
Europas Staatsbahnen werden weiter Marktanteile verlieren. Ralf Jahncke, Transcare
Deutlich besser ist der Schweizer Anbieter Hupac aufgestellt. Das Unternehmen ist konsequent aus der Rolle des wertschöpfungsarmen Provisionsfressers herausgewachsen, hat massiv in Assets (wie Terminals, Waggons, Loks oder IT) investiert und Hubsysteme aufgebaut. So entsteht eine vertikale integrierte Transportkette. Der Fokus liegt auf Ganzzügen und nun auch auf gemischten Ganzzügen (Übersee-Containerverkehre plus kontinentale Verkehre). Das Unternehmen wagt Coopetition im Vertrieb.
Transfracht, vor 28 Jahren noch quasi Monopolist im Seehafen-Hinterlandverkehr der Nordrange, hält heute noch einen Marktanteil von 18 Prozent und wird wohl über kurz oder lang in die Seehafensparte von Schenker integriert.
Wachstum bei Häfen und Reedern
Seehäfen sowie Reedereien werden unter anderem in Kooperation mit Hupac preisaggressiv agieren und das Gros des Wachstums im intermodalen Verkehr generieren.
Damit werden Europas Staatsbahnen weiter Marktanteile verlieren und private Dritte zunehmend sämtliche Facetten des intermodalen Marktes in Europa dominieren.
Ob damit die Liberalisierung des Schienengüterverkehrs gelungen ist? Das ist eine ganz andere Frage. Dennoch wird Günter Malkowsky – langjähriger Geschäftsführer bei Kombiverkehr – recht behalten, der in den 80er Jahren immer sagte: „Kombinierter Verkehr ist heute ein Exot, morgen eine Alternative und langfristig ein anderes Wort für Güterverkehr auf der Schiene.“ (kl)
Ralf Jahncke ist Geschäftsführender Gesellschafter der Transcare GmbH in Wiesbaden.