Aldi Süd testet Lebensmittel-Lieferdienst im Ruhrgebiet
Lange hat der Discount-Erfinder Aldi gezögert, auf dem Heimatmarkt in den riskanten Onlinehandel mit frischen Lebensmitteln einzusteigen. Ebenso wie der Rivale Lidl überließ der Billiganbieter den schnell wachsenden Markt Newcomern wie Picnic oder Flink und etablierten Supermarktketten wie Rewe. Schließlich ist es ein offenes Geheimnis, dass bislang niemand mit solchen Angeboten nachhaltig Geld verdient.
Doch jetzt will sich Aldi Süd nicht länger aufs Zuschauen beschränken. Im Ruhrgebiet startet der Discounter seinen ersten deutschen Testlauf in Sachen Online-Lebensmittelhandel, wie das Unternehmen am Dienstag mitteilte. Kundinnen und Kunden in Mülheim an der Ruhr, Duisburg und Oberhausen können sich ab sofort für den Lieferdienst „meinAldi“ registrieren und sich die online bestellte Ware per Elektro-Lieferwagen nach Hause bringen lassen. Das Angebot reiche „von frischem Obst und Gemüse über Brot, Käse und Milch bis hin zu Drogerieartikeln“, teilte das Unternehmen mit. Zuvor hatte das „Handelsblatt“ darüber berichtet.
Experimente mit Auslandstöchtern
Es ist ein bemerkenswerter Schritt für das Traditionsunternehmen. Bislang hatte der Discounter in seinem deutschen Onlineshop Produkte vom Staubsauger bis zum Messerblock angeboten und einen Bogen um das schwierige Geschäft mit schnell verderblichen Lebensmitteln gemacht. Experimente mit Lebensmittel-Lieferungen gab es allerdings bei Auslandstöchtern in den USA, in Großbritannien und der Schweiz.
Auch das neue Angebot im Ruhrgebiet sei nur ein lokal und zeitlich begrenzter Testlauf, betonte Aldi Süd. „Zum aktuellen Zeitpunkt ist eine flächendeckende Umsetzung nicht geplant.“ Denn der Onlinehandel mit Lebensmitteln in Deutschland sei wegen der hohen Kosten für Personal und Logistik im Moment unrentabel.
Auffällig ist: Der Vorstoß fällt in eine Zeit, in der sich in der Branche die Spreu vom Weizen zu trennen beginnt. Insbesondere bei den Schnelllieferdiensten wie Flink, Gorillas oder Bringmeister findet eine knallharte Auslese statt, bei dem immer mehr Unternehmen durch Verkauf oder Rückzug vom Markt verschwinden.
Rivale Lidl lässt sich angesichts des Aldi-Süd-Vorstoßes nicht in die Karten schauen. Man mache „zur zukünftigen strategischen Ausrichtung grundsätzlich keine Angaben“, hieß es am Firmensitz in Neckarsulm. Auch Aldi Nord äußerte sich zunächst nicht über seine Pläne in diesem Bereich.
Edeka und Rewe sind längst weiter als die Discount-Marktführer. Vor allem Rewe hat sein E-Commerce-Angebot in den vergangenen Jahren kontinuierlich ausgebaut und liefert mittlerweile Kunden in mehr als 90 Städten und deren Umland ihre online bestellten Lebensmittel bis zur Haustür. Außerdem ist der Handelsriese am Schnelllieferdienst Flink beteiligt.
Edeka ist bei dem schnell expandierenden Lieferdienst Picnic eingestiegen. Außerdem gibt es zahlreiche selbstständige Edeka-Händler, die frische Produkte ins Haus liefern.
„Abgewartet und zugeguckt“
Dass Aldi Süd erst jetzt den Markt prüft, hält der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein nicht für einen Fehler. Im Gegenteil. „Es war schlau von Aldi Süd, nicht übereilt in den Onlinehandel mit Lebensmitteln einzusteigen und dabei viel Geld zu verbrennen. Sie haben abgewartet und zugeguckt, welches Liefermodell so gut funktioniert, dass man damit am Ende tatsächlich Geld verdienen kann. Jetzt probieren sie es aus.“
Das Aldi-Süd-Konzept ähnelt dem von Picnic. Das heißt, die Zustellung soll nach dem Milchmann-Prinzip erfolgen, bei dem die Lieferfahrzeuge innerhalb eines Liefergebietes feste Routen abfahren. Für die Kunden schränkt dies die Wahl der Lieferzeit ein, doch senkt die stärkere Bündelung der Touren die Lieferkosten.
„Mit dem Milchmann-Modell ist Aldi Süd auf Anhieb beim Thema Profitabilität eine Riesenstück weiter als die Wettbewerber Flaschenpost, Flink oder Rewe“, sagt Heinemann. Der Discounter habe damit an Standorten mit hoher Bevölkerungsdichte durchaus Chancen, in die schwarzen Zahlen zu kommen. „Aldi wird den Hebel für ein Ausrollen dieses Modells erst umlegen, wenn der Test in diesem Punkt erfolgreich war.“
Auch Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung verfolgt das Aldi-Experiment mit großem Interesse. „Der Test könnte einen Hinweis darauf geben, ob die Kundschaft bereit ist, einen angemessenen Aufpreis für einen Lieferservice im Discountbereich zu zahlen.“ Denn der Mindestbestellwert für die Lieferungen liegt bei 20 Euro. Bis zu einem Einkaufswert von 50 Euro kommt eine Servicegebühr von 4,50 Euro hinzu. Nur bei größeren Bestellungen ist die Lieferung kostenlos.
Solche Liefergebühren sind bei den Kunden zwar alles andere als beliebt, für den Branchenkenner aber eigentlich unvermeidlich. „Wir müssen uns als Konsumentinnen und Konsumenten von der Vorstellung verabschieden, dass Lebensmittelhändler Produkte zum gleichen Preis zu uns nach Hause liefern können, den sie im Laden verlangen.“ Besonders bei Discountern werde das angesichts der ohnehin niedrigen Gewinnmargen und der hohen Logistikkosten nicht funktionieren. (dpa/cs)