B-Ware geht neue Wege

Was passiert mit den vielen retournierten Waren? Für viele Onlinehändler sind die Prozesse kaum darstellbar. Das Berliner Unternehmen PB Recommerce hat daraus ein Geschäftsmodell entwickelt.

Der wichtigste Arbeitsschritt ist die Qualitätsprüfung, in der Fachsprache Grading genannt. (Foto: PB Recommerce)

Im besten Fall ist die Ware zum Zeitpunkt der Rücksendung nahezu neuwertig. Im schlechtesten Fall ist sie defekt und muss entsorgt werden. PB Recommerce konnte die eigene Entsorgungsquote auf etwa 5 Prozent drücken. Das junge Berliner Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Waren anzukaufen, zu bewerten und für den Online-Verkauf wieder aufzubereiten. Die Firma managt mit ihren 70 Mitarbeitern ein Volumen von etwa 10 Mio. EUR jährlich in den Segmenten Medien, Musik, Spielzeug und Hardware. Gehandelt werden die Produkte europaweit mit einem starken Fokus auf den Markplätzen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien.

Im November 2016 hat der Retourenspezialist seinen neuen Standort in Falkensee (Brandenburg) bezogen. „Seitdem haben wir die Flächen schon zweimal erweitert und nutzen mittlerweile die halbe Etage mit 1.800 m2. Unser Umsatz hat sich innerhalb eines Jahres vervierfacht. Der Retourenmarkt wächst so rasant, dass wir gar nicht alle Anfragen bedienen können“, sagt Unternehmer Patrick Beukert, dessen Initialen die Firma trägt.

Bei Bedarf hat er die Option Flächen gleicher Größenordnung auf derselben Etage anzumieten. Diese Flexibilität ermöglicht ihm E-Com, der Betreiber des Logistikzentrums. Auch die vorhandenen Logistikstrukturen bei der Warenanlieferung, Einlagerung und Warenausgang nutzt PB Recommerce mit.

Große Schwankungen

Den Prozess rund um die Retoure übernimmt das Unternehmen selbst. Durch die Spezialisierung fallen die Bearbeitungskosten deutlich geringer aus als in anderen Firmen. Von befreundeten Unternehmern erfuhr Beukert, dass für Bearbeitungskosten eines Artikels zwischen 6 und 25 EUR veranschlagt werden. Der Aufwand pro Artikel schwankt stark in Abhängigkeit vom Warenwert und der Komplexität des Produkts. Das Umgehen mit Schwankungen gehört zu Beukerts Alltag und beginnt schon beim Wareneingang. „Die Spannbreite liegt zwischen 3 und 100 Paletten am Tag“, verdeutlicht der Unternehmer, der sich vertraglich pauschal zur Annahme von Retourenware in bestimmten Segmenten verpflichtet hat.

Etwa 40.000 bis 50.000 Retouren eines US-amerikanischen Onlinehändlers und circa 120.000 Positionen Lagerware eines Berliner Recommerce-Händlers nehmen die Mitarbeiter durchschnittlich jeden Monat in Empfang. Um sich künftig unabhängiger von Medienartikeln zu machen, deren Absatz aufgrund von Streaming und Software-Lösungen sinkt, laufen aktuell Testphasen in anderen Produktsegmenten. Dazu gehören Möbel und Dekoration, Haustierbedarf und Haushaltsartikel wie Bügelbretter, Leitern, Wäschespinnen.

Der wichtigste Arbeitsschritt ist die Qualitätsprüfung, in der Fachsprache Grading genannt. „Hier wird von Algorithmen entschieden, in welchem Verkaufskanal die Ware später läuft“, erläutert der stellvertretende Geschäftsführer Christoph Jahn. Die Hauptabsatzkanäle seien Ebay, Amazon und in geringerem Maße Ebay Kleinanzeigen sowie im B2B Segment ein großes Netz von Flohmarkthändlern und weiteren Wiederverkäufern.

Wertvolle Gitarren

Am zeitintensivsten ist das Grading im vergleichsweise hochpreisigen Musiksegment. Dort werden im Durchschnitt etwa drei bis vier Artikel pro Stunde kontrolliert. Und wenn eine E-Gitarre mit einem Wiederverkaufswert von 7.000 EUR darunter ist, fährt der Chef diese auch schon mal persönlich zur Reparatur. Im Bereich Hardware und Gaming werden etwa 5 bis 6 Produkte pro Stunde geprüft. Spitzenreiter sind Bücher und DVDs mit 100 Stück die Stunde.

Kein Produkt gleicht dem anderen. Allein bei Spielzeug kann das Sortiment mehrere hunderttausend Artikel in sechs Qualitätsstufen umfassen, wobei jedes Produkt noch unterschiedliche Ausführungen haben kann. Deshalb braucht es einen klar definierten, aber auch individualisierbaren Bewertungsmaßstab. In diesem Bereich orientiert sich das Unternehmen an den bereits definierten Standards von Amazon.

Den Erfolg der Methode belegt Beukert mit der eigenen Retourenquote. Diese liegt seinen Angaben zufolge zwischen 6 und 8 Prozent. Das sei im Recommerce-Geschäft ein guter Wert. Etwas über dem Durchschnitt liege die Retourenquote bei der Hardware, weil Langzeitprüfungen nicht möglich seien.

Eigener Marktplatz als mittelfristiges Ziel

Die wichtigste Plattform für den Absatz ist Ebay aufgrund der vielfältigen Möglichkeiten bei Artikelbeschreibung, dem „Sofort-Kauf“ und der Versteigerungsfunktion. Unter dem Verkäufernamen Topsellz erzielt Beukert dort zwei Drittel seines Umsatzes. 80 Prozent der gesamten Artikel werden innerhalb von 14 bis 20 Tagen verkauft. Mittelfristig strebt Beukert auch einen eigenen Marktplatz an, doch in der jetzigen Wachstumsphase will er keine weitere Baustelle aufmachen.

Ganz oben auf der Prioritätenliste steht für ihn aktuell die Implementierung von Software-Lösungen für einen verbesserten Absatz und eine reibungslose Logistik. Denn die Produkte verlieren in der Regel mit jedem Lagertag an Wert. „Deshalb versuchen wir, die Ware taggleich zu bearbeiten“, sagt Beukert.

Am Montag ist das eine besondere Herausforderung. An diesem Wochentag sind parallel zum Wareneingang durchschnittlich etwa 800 Bestellungen abzuwickeln. Freitags ist mit einem gemittelten Bestellaufkommen von 150 der schwächste Tag der Woche. Gelagert wird die Ware in Regalen, Behältern, Kisten und Kartons und später manuell entnommen. Ein automatisiertes Lager lohnt laut Beukert erst ab etwa 3.000 Bestellungen am Tag. In den Versand geht die Ware über DHL.

Leerlauf gibt es für Beukerts Mannschaft trotz erheblicher Schwankungen nie. Die Mitarbeiter sind jeweils in zwei Bereichen qualifiziert, so dass sie flexibel einsetzbar sind. Auch Beukert hat Handgriffe, die er nahezu blind beherrscht. Dazu gehört das Refurbishment von DVDs und CDs. Diesen verpasst er mit ein paar geschickten Handgriffen neue Hüllen. Denn mit der Aufbereitung von Medienartikeln begann vor etwa 10 Jahren seine Selbstständigkeit – in seinem WG-Zimmer.

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