UK-Verkehr: Bye-bye der Mittelständler
Der Austritt Großbritanniens aus der EU zum 31. Januar 2020 hat eine ganze Reihe von Veränderungen in den Beziehungen mit den verbleibenden Ländern der Staatengemeinschaft nach sich gezogen. Rund um die Zollgrenzen nahm die Bürokratie zu, es gab und gibt Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren Gültigkeit des CE-Zeichens. Dieses gibt einen Hinweis darauf, dass ein Produkt vom Hersteller geprüft wurde und dass es alle EU-weiten Anforderungen an Sicherheit, Gesundheitsschutz und Umweltschutz erfüllt. Aber auch die Mobilität von Personen, einschließlich derer, die im UK arbeiten wollen, und die Erbringung von Dienstleistungen vor Ort ist schwieriger geworden, wie Marc Lehnfeld kürzlich auf einem Webinar zum Thema „Shortsea Markt UK“ des ShortSeaShipping Inland Waterway Promotion Center (SPC) ausführte.
Der Leiter von Germany Trade & Invest (GTAI) in Großbritannien, einer Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing, berichtete, dass es für alle, die sich im UK engagieren wollen, teurer und umständlicher geworden ist und Mittelständler deswegen vor dem Markt zurückschrecken. „Ihre Marktaversion überlässt das Feld den großen Experten.“ In der Folgezeit erlebte der bilaterale Handel eine Delle, so Lehnfeld.
Großbritannien, 2014 noch auf Platz fünf der wichtigsten Handelspartner im Warenverkehr mit Deutschland, fiel zurück und landete 2023 auf Platz zehn. Nach China und den USA sind die Niederlande in Europa der größte Partner vor Frankreich und Polen.
Dennoch sind nach Beobachtung Lehnfelds die konjunkturellen Aussichten im Königreich besser als in Deutschland. Laut IWF liegt das BIP-Wachstum für 2024 bei 0,5 Prozent, während für Deutschland nur 0,2 Prozent vorhergesagt werden. 2025 soll das BIP sogar um 2 Prozent steigen. Gute Marktchancen bescheinigt der Experte Unternehmen, die im Gesundheitswesen, Maschinenbau und der Energiewirtschaft tätig sind. Bei letzterer kommt das Bestreben zum Tragen, die Offshore-Windenergiekapazitäten zu verfünffachen und damit bis 2030 die Grundlage für Wasserstoffwirtschaft zu schaffen.
Und dann wäre da ja noch die Parlamentswahl am 4. Juli. Alle Umfragen deuten auf einen Regierungswechsel hin, so Lehnfeld. Die Labour Party, die dann voraussichtlich die Politik bestimmt, werde dennoch keine Rückkehr in die EU anstreben, obwohl sie EU-freundlicher gesinnt ist. Allerdings rechnet der GTAI-Experte damit, dass es Erleichterungen beim Veterinärabkommen und der Anerkennung von Berufsqualifikationen geben wird.
Fahrerbegleitung nimmt zu
Bei der Reederei DFDS, die von Cuxhaven an der Elbmündung einen RoRo-Dienst nach Immingham in Nordostengland betreibt, war erwartet worden, dass durch den Brexit mehr unbegleitete Trailer auf die Reise nach Großbritannien geschickt würden. „Die Annahme beruhte darauf, dass es zolltechnisch einfacher sein würde, weil nicht auch noch Personenkontrollen für Fahrer dazukämen“, sagt Karsten Engelbart von DFDS Germany. In der Realität ist es jedoch so, dass die Zahl der unbegleiteten Trailer seit 2021 zurückgeht, während es bei fahrerbegleiteten Einheiten stetig bergauf geht. „Vielleicht liegt es daran, dass die Versender bei der ganzen Warenabwicklungsprozedur eine stärkere Kontrolle über den physischen Transport haben wollen“, mutmaßt der Vertriebsmanager. Im Übrigen teilt er die Beobachtung des GTAI-Experten Lehnfeld, wonach sich kleinere Anbieter aus dem Nischenmarkt Großbritannien zurückgezogen haben.
Kontrollen zur Biosicherheit
Abgesehen von generell längeren Laufzeiten kommen seit diesem Jahr auch zusätzliche Kontrollen hinzu: die zum 30. April eingeführten Border Control Posts. Diese Beschaustellen dienen der Kontrolle von Pflanzen und Pflanzenerzeugnissen und sollen so die Biosicherheit gewährleisten. Die Border Control Posts bedeuten ein weiteres Risiko der Transportverzögerung, so Alexander Nussbaum, Experte für Transitverkehre, Zollabfertigung und Export bei SGS Germany. „Wenn die Produkte nicht eindeutig und umfangreich deklariert sind, kann die Sendung zurückgehalten oder gegen Gebühr eingelagert werden. „Schlimmstenfalls droht sogar die zollamtliche Vernichtung.“