Dachser-Manager: „Die Branche hat noch immer ein schlechtes Image“
Alfred Miller, Managing Director von Dachser Food Logistics, über das schwierige Recruiting von Fachkräften, die Perspektivlosigkeit bei vielen mittelständischen Fuhrunternehmen, die weiterhin angespannte Lage an den Handelsrampen und aktuelle Investitionsschwerpunkte.
DVZ: Herr Miller, im Sektor Verkehr und Lagerei suchen laut aktuellem DIHK-Fachkräftereport bereits 65 Prozent der Unternehmen vergeblich nach Personal. Wie stark und an welchen Stellen spürt Dachser bereits den immer akuteren Fachkräftemangel?
Alfred Miller: Dachser ist hier genauso von der allgemeinen Marktentwicklung betroffen wie die gesamte Logistikbranche. Wir müssen immer größere Anstrengungen unternehmen, um freie Stellen zu besetzen. Dies betrifft inzwischen alle Bereiche im Unternehmen, vom Lkw-Fahrer im Nah- und Fernverkehr, dem gewerblichen Personal auf den Umschlagflächen und im Warehouse bis hin zum kaufmännischen Bereich.
Welche Rolle spielt das Branchenimage im Kampf um die zu knappen Fachkräfte?
Wir haben mehrere, ineinandergreifende Programme aufgesetzt, um uns im Wettbewerb der Arbeitgeber erfolgreich zu positionieren. Innerhalb der Logistikbranche gelingt uns das recht gut, und wir genießen einen guten Ruf. Allerdings betrifft der Fachkräftemangel als Folge der demografischen Entwicklung den gesamten Arbeitsmarkt. Alle Branchen buhlen um die wenigen verfügbaren Arbeitskräfte. Bezogen auf den gesamten Arbeitsmarkt tun wir uns als Logistiker beim Recruiting schwer, da die Branche noch immer ein vergleichsweise schlechtes Image hat.
„Aktuell sehen wir, dass viele mittelständische Fuhrunternehmen im Zuge des Generationswechsels ihren Betrieb einstellen.“ Alfred Miller, Dachser
Umso wichtiger dürfte es sein, das vorhandene Personal zu binden.
Ja, genauso wichtig wie das Finden von gutem Personal ist es, gute Leute zu halten und weiter zu motivieren. Ein konkretes Beispiel ist unser Engagement bei den Fahrerinnen und Fahrern: Für uns hat höchste Priorität, ihre Belange zu kennen und zu erfassen. Denn nur so können wir ihre Bedürfnisse genau verstehen und mit gezielten Maßnahmen daran arbeiten, ihren Berufsalltag zu verbessern. Das hat für uns auch viel mit Wertschätzung und Arbeitskultur zu tun. Die Fahrerinnen und Fahrer, die für uns oder unsere Transportpartner im Einsatz sind, sind die Grundlage unseres Erfolgs und zugleich die Gesichter zu unseren Kunden.
Und wie sieht es hier in Sachen Ausbildung aus?
Im Bereich der Fahrergewinnung für Dachser sind wir zudem seit zehn Jahren mit einer eigenen Tochter, der Dachser Service und Ausbildungs GmbH, erfolgreich unterwegs. Ihr primäres Ziel ist es, Fahrernachwuchs zu finden und zu binden. Ein Weg ist die Ausbildung junger Menschen. Hier ist die Zahl im Vergleich zu den Vorjahren erfreulicherweise konstant geblieben. 12 Frauen und 76 Männer haben sich zuletzt für diese Berufsausbildung entschieden. Somit werden bei Dachser in Deutschland derzeit 248 Menschen zu Fahrerinnen und Fahrern ausgebildet.
Dennoch: Deutschland hat ein massives Nachwuchsproblem, vor allem beim Job des Lkw-Fahrers. Welche Folgen hat der zunehmende Mangel für die Lebensmittel-Lieferkette?
Aktuell sehen wir, dass viele mittelständische Fuhrunternehmen im Zuge des Generationswechsels ihren Betrieb einstellen. Die potenziellen Nachfolger sehen wegen der herausfordernden Rahmenbedingungen am Markt oftmals keine Perspektive, wie sie ihr Unternehmen erfolgreich in die Zukunft führen können.
An der Nachfrage dürfte es aber nicht liegen.
Die Nachfrage nach Laderaum ist zwar groß, allerdings können die Arbeitsbedingungen frustrierend sein. Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer sind Tag für Tag mit Staus, Wartezeiten, fehlenden Parkplätzen, hohem administrativen Aufwand und steigender Bürokratie konfrontiert. Insbesondere kleine Unternehmen tun sich schwer beim Rekrutieren von Fahrpersonal und der zuverlässigen Besetzung ihrer Fahrzeuge bei kurzfristigen Ausfällen, zum Beispiel durch Krankheit und in der Urlaubszeit. Die Folge sind ungeplante und längere Stillstandszeiten des teuren Fuhrparks. Das ist nicht rentabel.
„Wir appellieren weiterhin an die Marktteilnehmer, das Aufkommen zu entzerren und die Spitzen zu glätten.“ Alfred Miller, Dachser
Zu den Dauerbrennern gehören auch die Rampenprozesse an den Handelslagern. Wie bewerten Sie die Situation derzeit?
Die Lage an den Rampen der Lebensmittelhändler bleibt angespannt. Wartezeiten von mehr als vier Stunden sind an bestimmten Standorten keine Seltenheit. Doch es gibt hier sehr große Unterschiede: Schnelle Standorte sind tendenziell schnell, langsame Standorte bleiben langsam. Spürbar längere Aufenthaltszeiten verzeichnen wir nach wie vor im Saisongeschäft aufgrund der dann ansteigenden Mengen, also vor Ostern und den Feiertagen im zweiten Quartal sowie im Herbst- und Weihnachtsgeschäft. Bedauerlicherweise passen die Händler in diesen Zeiten die Verfügbarkeit notwendiger Zeitfenster nicht bedarfsgerecht an. Genau dann brauchen wir die Kapazitäten eigentlich auf der Straße, und nicht wartend vor der Rampe. Dann fehlen uns die dynamischen Kapazitäten.
Und jetzt?
Wir appellieren weiterhin an die Marktteilnehmer, das Aufkommen zu entzerren und die Spitzen zu glätten. Das gelingt nur mit einer engen Abstimmung zwischen Handel, Verlader und Logistiker. Der Handel optimiert indes seinerseits die Lagerhaltung. In der Regel führen jedoch solche einseitigen, größeren Prozessveränderungen an der Handelsrampe, wie die Einführung neuer ERP-Systeme und die Automatisierung am Wareneingang, zur Verlangsamung der Prozesse vor der Rampe und damit zu längeren Aufenthaltszeiten der Lkw.
Und die Einführung von Zeitfenster-Management-Systemen oder Self-Check-In-Systemen ...?
... bringt in der Regel keine messbare Beschleunigung der Abläufe vor Ort für die Fahrer und Logistiker mit sich. Im Gegenteil, die Komplexität steigt weiter. Was früher aufgrund gemeinsamer Vereinbarungen bei der Sammelgutanlieferung noch möglich war, ist heute oft nicht mehr möglich. Der administrative Mehraufwand macht den Speditionsalltag deutlich unflexibler. Substanzielle Prozessverbesserungen sind mit einzelnen Lagerstandorten in der Regel nur auf Basis bilateraler Vereinbarungen mit den lokalen Dachser-Niederlassungen möglich, wenn es um die regelmäßigen Stückgutanlieferungen im Nahverkehr geht.
Wo lagen bei Dachser zuletzt die Schwerpunkte der Investitionen im Food-Segment?
Eines der großen Investitionsprojekte ist die Übernahme des Lebensmittellogistikers Müller, die wir im Januar bekanntgegeben haben. Damit sichern wir uns ein engmaschiges Netzwerk für Lebensmitteldistribution in den Niederlanden und eröffnen gleichzeitig den Verladern dort neue Perspektiven mit europäischen Verkehren. Zum Kaufumfang gehört auch der substanzielle Eigenfuhrpark von Müller mit 350 Lkw und 400 Trailern sowie mehr als 400 angestellten Fahrerinnen und Fahrern. Wir investieren zudem regelmäßig in unser Netzwerk, modernisieren und erweitern Standorte. Auch aufgrund von Nachholeffekten bei Bauvorhaben haben wir 2022 eine Rekordsumme von rund 200 Millionen Euro weltweit investiert. Ein Leuchtturmprojekt entstand in Süddeutschland bei der Niederlassung Memmingen: Wir haben rund 30 Millionen Euro in ein vollautomatisiertes Hochregallager mit etwa 53.000 Stellplätzen investiert und lagern dort ungekühlte Lebensmittel sowie Lebensmittelverpackungen.
Und was ist mit der Digitalisierung und Innovationen?
Diese bilden einen weiteren Schwerpunkt. Denn mit den geeigneten digitalen Technologien können wir Arbeitsabläufe besser gestalten, die Effizienz noch weiter steigern, unsere Partner eng in die Prozesse einbinden und mit dem vorhandenen Laderaum mehr Ware transportieren. In Langenau setzen wir seit einigen Monaten aktive Exoskelette von German Bionic im Food-Lager ein, um unsere Mitarbeitenden zu unterstützen, zum Beispiel bei der Kommissionierung von Backmischungen. Ebenfalls in Langenau kommen fahrerlose Transportfahrzeuge zum Einsatz. Darüber hinaus tut sich sehr viel bei Dachser im Bereich der Digitalisierung, wie unter anderem in der Kommunikation zum digitalen Zwilling im Warenumschlag oder zum Tracking der Wechselbrücken zu lesen war. Hinzu kommen umfangreiche Investitionen im Bereich Nachhaltigkeit.