Dienstleister sollten auskunftsfähig über Emissionen sein

CO2-Emissionen könnten bald bei Auftragsvergaben entscheidend sein. Für die Ermittlung brauchen Unternehmen zuverlässige Methoden.

Der Ladezustand ist ausschlaggebend, wenn Dienstleister gegenüber Auftraggebern Angaben zu
Emissionen machen sollen. (Foto: imago / Olaf Döring)

Werden in Zukunft nicht Preis und Dienstleistungsqualität, sondern Emissionsfreiheit über Auftragsvergaben in der Logistik entscheiden? Solche Optionen werden in der Branche trotz drohender Rezession längst diskutiert. Ein Beispiel ist das Forum Automobillogistik (FAL) 2022 der Bundesvereinigung Logistik (BVL) in Friedrichshafen: Viele Referenten waren sich einig, dass die Automotive-Branche Antworten auf die Frage finden muss, ob sie für mehr Nachhaltigkeit höhere Preise der Lieferanten und Logistikdienstleister akzeptiert.

Die Zeit drängt auch deshalb, weil der Gesetzgeber die Anforderungen weiter verschärft. So verpflichtet die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU ab 2023 auch mittelständische Unternehmen zur Formulierung von Nachhaltigkeitszielen. Eine Richtlinie zu diesem Thema soll trotz vielfältiger Kritik noch 2022 in nationales Recht umgesetzt werden.

Von CSRD wären auch viele Logistikdienstleister betroffen. Möglicherweise haben sie bereits mit Auftraggebern zu tun, welche CO2 und andere Schadstoffe längst als Kostenfaktoren betrachten und beim Einkauf berücksichtigen. Für Martin Neuhold, Partner von Ernst & Young, wird das Kriterium der CO2-Freiheit für viele Verlader kurzfristig ein „mittleres bis hohes Gewicht“ haben, da nur dann direkte Kosten-Nutzen-Kalkulationen aufgehen oder Risikoabwägungen sich rechnen. „Weil auch die Investoren nachhaltige Geschäftsmodelle und Long Term Value erwarten, wird die Gewichtung der CO2-Freiheit mittel- und langfristig hoch sein“, stimmt der Leiter des Bereichs Industrielle Produktion & Operations die Branche auf einen Paradigmenwechsel ein.

Ähnlich argumentiert Daniel Haag. „Die Zahl der Unternehmen, die sich auf die Dekarbonisierung ihrer Wertschöpfungsketten im Einklang mit den Pariser Klimazielen verpflichtet haben, steigt kontinuierlich“, gibt der Direktor von PWC Strategy zu bedenken. „Weil auch die Scope-3-Emissionen ihrer Lieferanten thematisiert werden, legen sie ebenfalls auf die Dekarbonisierung von Logistikdienstleistungen Wert.“

Kongresstipp: Nachhaltigkeitsziele in der Logistik

Wie kann die Logistik die Nachhaltigkeitsziele erreichen? Wer muss in einem Unternehmen was dafür tun – und wie nehmen die Nachhaltigkeitsverantwortlichen das Management mit? Das wird am Mittwochnachmittag beim Deutschen Logistik-Kongress in der Session „Nachhaltigkeitsziele in der Logistik“ vermittelt, unter anderem durch Best-Practice-Sharing entlang der Supply Chain. Lernen Sie, wie wichtig Datenqualität und -transparenz für die Bilanzierung von Emissionen sind und warum unternehmensübergreifende Zusammenarbeit so elementar ist.

Fehlende Messstandards

Allerdings bleibt gerade in der Logistik die Ermittlung des CO2-Footprints eine Herausforderung. Mit den vorhandenen Tools kann dieser nur berechnet und nicht gemessen werden. Außerdem gibt es kaum realistische Werte über indirekte Emissionen aus externen Quellen. An Lösungen, die den Footprint wenigstens für den Transport ermitteln und auf einzelne Sendungen herunterbrechen, herrscht zwar kein Mangel. Allerdings fangen die Schwierigkeiten schon bei den Datenquellen an. Der Anwender hat die Wahl zwischen Zahlen, die hausintern ermittelt werden, als branchenweite Standards gelten oder aus dem Handbuch für Emissionsfaktoren (HBEFA) stammen.

Für weitere Prozesse im Vor- und Nachlauf stehen häufig gar keine Daten zur Verfügung. Als Konsequenz haben die meisten Logistikunternehmen bislang auf Berechnungen verzichtet. In einer Umfrage haben Wissenschaftler der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg 2022 ermittelt, dass gerade mal 16 Prozent der Unternehmen den CO2-Ausstoß ausweisen können.

Wenigstens für Straßengüterverkehre ist jetzt ein verbindliches Verfahren in Sicht. Das ist das Ziel des Forschungsprojekts GATE, welches das Institut für Logistik und Unternehmensführung (LogU) der Technischen Universität Hamburg (TUHH) und das Center for Sustainable Logistics und Supply Chains (CSLS) der KLU im Frühjahr gestartet haben. GATE steht für „ganzheitliche Ausweisung von Transportemissionen“. Beide Institute wollen diese vor allem mit Primärdaten erfassen und berechnen.

Solche Daten sind unter anderem die Transportroute in Kilometern inklusive Streckenprofile, die Ladung in Tonnen, der Fahrzeugtyp und sofern bekannt der exakte Treibstoffverbrauch. Auch der Ladezustand – Full Container Load (FCL) oder Less than Full Container Load (LCL) – ist wichtig. Die TUHH- und KLU-Wissenschaftler planen bis Ende 2023 ein „konsolidiertes Handbuch“ sowie webbasierte Wissenswerkzeuge, welche die CO2-Berechnung unterstützen. Die Tools sollen sowohl bei der technischen Umsetzung als auch bei auftragsbezogenen Ausweisungen helfen.

„Zwischen ausgewiesenen und tatsächlich ausgestoßenen Emissionen können erhebliche Differenzen anfallen“, urteilt Prof. Wolfgang Kersten, Leiter des GATE-Projekts. Wenn ein Logistikdienstleister Touren so organisiert, dass sie besonderen Klimavorgaben genügen, dürften seine Emissionsdaten erheblich unter den bislang genutzten Standardwerten liegen. Außerdem könne der Dienstleister bewährte Nachhaltigkeitsmaßnahmen wie Routenoptimierung, Gewichtsreduktion und Fahrertrainings realistisch bewerten.

Geringere Transportemissionen führen
häufig zu längeren
Transportzeiten. Arne Heinold, Universität Kiel

Weitere Methoden

Im Gegensatz zu den vorhandenen Tools kann GATE ausschließlich auf gemessenen Werten bauen. Wenn das neue Verfahren sich für Straßengütertransporte durchsetzt, können vergleichbare Lösungen auch für andere Verkehrsträger entwickelt werden. An Kandidaten fehlt es nicht. Ein Beispiel sind die Öko-Labels, die der Kieler Logistikwissenschaftler Arne Heinold nach Vorbildern in der Konsumgüterindustrie entwickelt hat.

In seiner Dissertation, die Teil eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) war, zeigt er Methoden auf, wie Logistiker Emissionen abhängig vom Verkehrsträger ermitteln und auf einzelne Sendungen umrechnen. Hierfür nutzte er multimodale Daten aus allen EU-Ländern und berücksichtigte externe Faktoren wie Topographie oder Energieerzeugung. Der Logistiker, der mit Heinolds Methoden arbeitet, kann zwischen mehreren Varianten wählen und diese abhängig von den Emissionen wie ein Haushaltsgerät mit Grün, Orange oder Rot charakterisieren. „Geringere Transportemissionen führen häufig zu längeren Transportzeiten“, fasst Heinold das Ergebnis seiner Arbeit zusammen. Ob sie auch zu höheren Preisen führen, bleibt offen. „Wenn ja, werden sich vor allem Unternehmen mit hohen Gewinnen diese leisten“, prognostiziert Neuhold und nennt Pharmaprodukte und Luxusgüter als Beispiele. (rok)

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben