Digitales Brenner-Slotsystem: „Wir warten auf eine klare Positionierung“

Ein digitales Slotsystem soll dem jahrelangen Streit über den Lkw-Verkehr auf der Brennerroute ein Ende bereiten. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) erklärt im DVZ-Interview, wie die angedachte Lösung funktionieren soll.

Ein digitales Slotsystem soll dem jahrelangen Streit über den Lkw-Verkehr auf der Brennerroute ein Ende bereiten. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) erklärt im DVZ-Interview, wie die angedachte Lösung funktionieren soll.

DVZ: Herr Bernreiter, kürzlich haben der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle und sein Südtiroler Kollege Arno Kompatscher eine Absichtserklärung zur Einführung eines digitalen Verkehrsmanagements auf dem Brennerkorridor unterschrieben. Ist das der lang ersehnte Anfang vom Ende der Blockabfertigung?

Christian Bernreiter: Wenn alle mitmachen: ja. Das System bietet, wenn es praktikabel ausgestaltet ist, die beste Chance, die Blockabfertigung endlich hinter uns zu lassen. Allerdings brauchen wir dazu die Nationalstaaten. Nur diese können das Recht setzen und die dafür notwendigen völkerrechtlichen Vereinbarungen abschließen. Außerdem wollen wir, dass die EU-Kommission mitmacht. Sie muss zwar kein Recht ändern, aber der Brennerkorridor liegt auf dem Transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V), da sollte schon auch europäisch gedacht und gehandelt werden.

Seit Jahren herrschen Streit und Uneinigkeit zwischen Deutschland, Italien und Österreich, wenn es um den Brenner geht. Was hat sich geändert?

Mit einem digitalen Verkehrsmanagement wäre es möglich, so viele Fahrzeuge auf dem Brennerkorridor zuzulassen, wie die Infrastruktur pro Stunde aufnehmen kann. Außerhalb der Spitzenzeiten gibt es noch viel Platz auf der Strecke, so dass davon ausgegangen wird, dass alle Lkw durchkommen. Auch personell hat sich auf der Ebene der Fachminister beziehungsweise Landesräte viel getan. Herr Mattle, Herr Zumtobel und ich können mit einem unverbrauchten Blick an das Thema herangehen, und wir sind uns einig, dass wir eine Lösung finden wollen. Aber das kann erst ein Anfang sein: Bisher haben sich nur die Regionen Tirol, Südtirol und Bayern geeinigt. Bei den Nationalstaaten warten wir noch auf eine klare Positionierung.

Wie genau soll die erdachte Lösung funktionieren?

Die Anzahl der Slots soll sich nach der verfügbaren Kapazität auf der Strecke in der jeweiligen Zeiteinheit richten. Alpenquerende Lkw müssen für die Strecke einen Slot buchen. Diese Buchung bezieht sich auf einen bestimmten Zeitraum und muss deutlich vor der Einfahrt getätigt werden. Die Buchung soll kostenlos sein. Über Kosten muss man nachdenken, wenn beispielsweise eine Buchung verfällt. Das wird wahrscheinlich notwendig, denn andernfalls könnten wenige Unternehmen einfach alle Slots buchen, und für die anderen bleibt nichts übrig. Die Fahrt auf der Strecke ohne Buchung muss natürlich auch sanktioniert werden. Wir arbeiten das aktuell zusammen mit Tirol und Südtirol aus.

Welche Auswirkungen hat das für den Güterverkehr?

Bayern, Tirol und Südtirol sind ein ganz starker und gemeinsamer Wirtschaftsraum. Der Güterverkehrsfluss muss hier störungsfrei laufen können. Ein wirksames Anpassungspotenzial ergibt sich daraus, wenn es gelingen könnte, die Zeiten, wann ein Transport gefahren wird, zu steuern. Es wird gerade in den Morgenstunden Zeiten geben, zu denen alle Slots vergriffen sein werden. Ich denke aber, dass es relativ viele Lieferungen gibt, die tageszeitlich auch verlagert werden können. Gerade bei regelmäßigen Transporten sehen wir hier Chancen. Dazu werden wir auch noch mit den Wirtschafts- beziehungsweise Handelskammern sprechen.

Andererseits wird die Berechenbarkeit der Transporte zunehmen. Aktuell kann kein Fuhrunternehmen an Tagen mit Blockabfertigung seinen Kunden seriös mitteilen, wie lange eine Fahrt dauern wird. Hier würde die Situation sich sicher verbessern. Unser Ziel ist es, dass die Standzeiten im Stau vor Kiefersfelden bald der Vergangenheit angehören.

Christian Bernreiter

Der CSU-Politiker ist seit 2022 Bayerischer Staatsminister für Wohnen, Bau und Verkehr. Zuvor war er von 2002 bis 2022 Landrat des Landkreises Deggendorf in Niederbayern. Von 2008 bis 2014 war Bernreiter zudem Vorsitzender des Bezirksverbandes Niederbayern des Bayerischen Landkreistages und wurde 2014 zu dessen Präsident gewählt. Bernreiter wurde 1964 in Straubing geboren. Nach dem Abitur studierte er Maschinenbau an der TU München und ab 1985 Stahlbau an der Fachhochschule München. Der 59-Jährige ist verheiratet und Vater von vier Kindern.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sagte, er habe bislang kein besseres System als dieses gesehen. Was macht die Idee so außergewöhnlich?

Es ist der erste Versuch, knappe öffentliche Infrastruktur optimal zu nutzen. Dabei berücksichtigt das System die Interessen der Fahrer und Fahrerinnen, der Unternehmen und vor allem auch der Anwohner. Sie leiden bisher ja alle unter der Blockabfertigung. Es wäre also nicht nur ein Fortschritt für die Industrie, sondern für das gesamte Inntal und das Wipptal auf beiden Seiten des Brenners.

Ist absehbar, ab wann das digitale Slotsystem tatsächlich zum Einsatz kommen könnte?

Wir hoffen auf Anfang 2025. Das wird aber nur funktionieren, wenn die Nationalstaaten schnell mitmachen.

Unter Punkt 11 der uns vorliegenden 14-Punkte-Absichtserklärung werden acht Untersuchungen aufgelistet, über die bis zum Herbst 2023 berichtet werden soll. Um welche Art von Untersuchungen handelt es sich hier?

Für einige Untersuchungen ist Zahlenmaterial zu erheben. Zum Beispiel, wie groß die Kapazität der Strecke auf bestimmten Abschnitten und Zeitpunkten ist und zu welchem Anteil diese durch den Pkw-Verkehr schon belegt ist. Im Ergebnis bekommen wir dann die Kapazität, die für die Lkw zur Verfügung steht. Damit hängt dann auch die Definition und Strukturierung der Abschnitte und die Berücksichtigung der regionalen Anforderungen zusammen. Nur wenn wir genügend Lkw mit dem System erfassen, um überhaupt eine Steuerungswirkung zu erreichen, hat das System Erfolg. Andere Untersuchungen sind mehr konzeptionell. Die Technik der Buchung und der Kontrolle werden wir mit Unternehmen, die damit Erfahrung haben, besprechen. Die Organisation der Vergabe der Slots besprechen wir mit der Transportindustrie, da diese ja am Ende buchen muss.

Welche weiteren Schritte sind geplant?

Inhaltlich arbeiten wir zusammen mit Tirol und Südtirol die gerade genannten Punkte der Absichtserklärung aus. Parallel setzen wir uns alle drei bei unseren Nationalstaaten und der EU für das System ein.

Damit das alles funktioniert, braucht es nicht nur eine Vereinbarung zwischen Deutschland, Italien und Österreich, sondern auch die Unterstützung der EU-Kommission, so Kompatscher. Könnte das ein Problem werden?

Die Kommission ist technologiefreundlich und weiß um die immensen Probleme auf der Brennerachse. Auch für sie ist das Konzept sicher ungewöhnlich. Ich habe aber von dem, was ich aus den Gesprächen zwischen EU-Kommission und Nationalstaaten gehört habe, nicht den Eindruck, dass es an der Kommission scheitern würde, wurden doch gerade auch von der Europäischen Kommission immer gemeinsame Vorschläge zur Lösung überregionaler Probleme gefordert.

Der Brenner steht bereits vor dem Kollaps. Könnte die Einführung des digitalen Slotsystems zu spät kommen?

Wir müssen hier schon differenzieren. Regelmäßig, aber doch nur zu bestimmten Stoßzeiten, leidet die Brennerachse unter einer sehr hohen Verkehrsbelastung. Außerhalb dieser Spitzen gibt es noch Spielraum. Schwieriger wird es, wenn für einen längeren Zeitraum Brücken nur noch einspurig pro Richtung befahrbar sein sollten oder kurzfristig unvorhersehbare Ereignisse den Verkehrsfluss stören.

Hinzu kommt, dass die Luegbrücke auf der Autobahn im Tiroler Wipptal erneuert werden muss. Die Arbeiten beginnen im Jahr 2024 und dauern voraussichtlich bis 2030. Was bedeutet das für den Lkw-Verkehr, steht ein Verkehrschaos bevor?

Die bestehende Brücke sollte planmäßig noch bis Anfang 2025 vierspurig befahrbar sein. Ohne Slotsystem wäre, wenn es tatsächlich zur Zweispurigkeit kommen sollte, ein solches Chaos möglich. Mit dem Managementsystem ist ein Verkehrschaos voraussichtlich vermeidbar, auch wenn es anspruchsvoll wird. Ich bin insgesamt aber vorsichtig optimistisch, dass der Verkehr auch in der Bauphase so organisiert wird, dass er weiter fließen kann.

Die Lösungsansätze fußen in der Regel auf Umleitung und Umlenkung des Straßengüterverkehrs. Wäre es nicht sinnvoller, Güter endlich verstärkt auf die Schiene zu verlagern?

Wir arbeiten seit Jahren daran, dass mehr Güter von der Straße auf die Schiene kommen. Der Kombinierte Verkehr muss noch digitaler und damit effizienter und schlussendlich günstiger werden. Die Trassen über den Brenner müssen effizient genutzt, Baustellen zwischen den Infrastrukturbetreibern abgesprochen und koordiniert werden. Die verladende Industrie hat verstärkt Interesse am Thema Schiene, braucht aber einfach zugängliche Informationen. In allen diesen Bereichen haben wir Projekte gefördert und tun das auch weiterhin. Das bringt auch Fortschritte, aber die Verlagerungsmöglichkeiten sind nun einmal beschränkt. Wir werden die Straße also weiterhin brauchen und müssen auch hier die Abläufe optimieren.

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