Drohender Adblue-Mangel: „Es geht ums Ganze“
Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) befürchtet, dass es bald zu Engpässen beim für die Transportbranche essenziellen Abgasreinigungsmittel Adblue kommen könnte. „In Hintergrundgesprächen mit Herstellern von Adblue wurden wir alarmiert, dass diese ihre Produktion stark drosseln und zum Teil sogar einstellen“, heißt es in einem Schreiben an die Staatssekretäre Oliver Luksic im Verkehrsministerium und Michael Kellner im Wirtschaftsministerium, das der DVZ vorliegt.
Hintergrund: Beim laut BGL größten Adblue-Produzenten Deutschlands, der SKW Piesteritz in Sachsen-Anhalt, stehen seit etwa zwei Wochen wegen der hohen Gaspreise die Anlagen still. Bereits Ende 2021 hatte SKW die Produktion gedrosselt. Das Methan im Erdgas ist einer der Rohstoffe für die Herstellung von Ammoniak, das wiederum Ausgangsstoff für unter anderem die Düngemittelproduktion ist – und auch für das Abgasreinigungsmittel Adblue. Ohne diese Harnstofflösung können moderne Dieselfahrzeuge nicht fahren. SKW gehört mit BASF und Yara zu den größten Herstellern von Adblue auf dem deutschen Markt.
Adblue-Preis hat sich vervielfacht
„Der Preis für Adblue hat sich von Januar 2021 bis Ende August 2022 in etwa vervierfacht und dürfte im September zu weiteren Höhenflügen ansetzen – wenn man überhaupt noch welches bekommt“, teilt BGL-Vorstandssprecher Dirk Engelhardt der DVZ auf Anfrage mit. „Wir haben aber auch Mitgliedsunternehmen, bei denen sich die Einkaufspreise für Adblue bis dato bereits verfünf- oder versiebenfacht haben.“
Laut Mautstatistik des Bundesamts für Güterverkehr entfielen im Juli exakt 90,75 Prozent der Lkw-Transporte auf deutschen Autobahnen und Bundesstraßen auf Euro VI-Lkw. „Diese – und auch alle Euro V-Lkw mit SCR-Katalysator – benötigen zwingend Adblue“, sagt Engelhardt. Die Frage sei nun, ob die Adblue-Reserven bei Händlern und Transportunternehmen aufgebraucht sind, „noch bevor die Bundesregierung den Ernst der Lage erkennt und geeignete Gegenmaßnahmen ergreift“, fügt der BGL-Chef hinzu und betont: „Ohne Adblue stehen die meisten Lkw still – es drohen leere Supermarktregale.“
Verlader: Angst vor Transportausfällen
Auch die Verlader seien in Alarmstimmung, sagt Markus Olligschläger, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Und die Lage sei ernster als noch im Herbst 2021, als schon einmal vor einem Adblue-Engpass gewarnt wurde. „Unsere Mitgliedsunternehmen aus Industrie und Handel haben Angst vor Transportausfällen bei ihren Spediteuren und Frachtführern – möglicherweise gibt es die sogar schon“, sagt Olligschläger im Gespräch mit der DVZ. Denn Adblue werde am Markt immer knapper, weil nicht mehr genügend nachproduziert werde. Wie lange die Versorgung noch reicht, sei schwer abzuschätzen.
„Die Befürchtungen werden laut, dass Versorgungsausfälle analog zum Corona-Jahr 2020 drohen könnten“, sagt Olligschläger. Dieses Mal wären dann allerdings nicht nur Toilettenpapier, Mehl oder Nudeln betroffen. „Es geht ums Ganze“, fügt der BWVL-Hauptgeschäftsführer hinzu. Adblue sei ein entscheidender Versorgungsfaktor – und deshalb seien auch die Hersteller systemrelevant. Die Politik sei nun gefordert, die Produktion für die Unternehmen so schnell wie möglich wieder wirtschaftlich zu machen. „Wir warten hier allerdings noch auf eine Reaktion“, sagt Olligschläger.
BGL fordert „Runden Tisch Adblue“
Um ein verlässliches Lagebild zeichnen und staatliche Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, regt der BGL an, kurzfristig einen „Runden Tisch Adblue“ einzuberufen, wie es ihn zuletzt schon einmal gegeben hat. Daran beteiligen sollten sich nach Ansicht des Verbands Vertreter der Bundesministerien Verkehr, Wirtschaft und idealerweise Umwelt, die Produzenten und Händler von Adblue sowie die Nutzer.