Prof. Julia Arlinghaus: „Leuchttürme reichen nicht“

Ist der Wertschöpfungsstandort Deutschland noch zu retten? Ja, sagt Prof. Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF). Allerdings müssten dafür endlich einmal ein paar Hebel gezogen werden.

Prof. Julia Arlinghaus am Donnerstag auf der BVL Supply Chain CX. (Foto: Dierk Kruse)

Julia Arlinghaus macht sich Sorgen. Die Professorin macht aber zugleich Mut. Denn niemand müsse den Kopf in den Sand stecken – dürfe es allerdings auch nicht. Denn die Expertin sieht durchaus große Gefahren. Die Lage sei ernst, sagte sie am Donnerstag auf der BVL Supply Chain CX mit Blick auf die aktuellen Entlassungswellen und die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit des Hochlohnstandorts Deutschland. „Wovor ich wirklich Angst habe, ist, dass wir unsere Prozesse nicht digitalisieren.“ Die Expertin sprach am Donnerstag auf der BVL Supply Chain CX über die die entscheidenden Fragen zur künftigen industriellen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands.

Doch statt – wie so viele andere zuletzt – die Schuld vor allem bei der Politik zu suchen, richteten sich ihre Appelle an die Wirtschaft. Denn es gebe definitiv noch Hebel, die Unternehmen ziehen könnten. „Es gibt unglaublich viele Leuchttürme in Deutschland.“ Die riesigen Potenziale der Industrie 4.0 seien wahr geworden. „Wir können das mit dem Produktivitätszuwachs von 40, 50 oder 60 Prozent. Wir können das mit den Vorhersagen oder den digitalen Zwillingen der Lieferkette.“

Aber diese Leuchttürme reichten eben nicht. „Wir brauchen das flächendeckend, wir brauchen das Lichtermeer“, betonte Arlinghaus und fügte hinzu: „Und wenn wir es ernst meinen in Deutschland mit der Klimaneutralität, dann können wir es uns nicht mehr leisten, immer nur Teilbereiche zu optimieren.“ Das betreffe vor allem das Thema Energie. „Und was wir gar nicht mehr machen dürfen, ist zu sagen, dass der Staat dafür sorgen muss, dass wir weiterhin günstige Energie haben. Das hilft in der Situation nicht weiter.“

Auch die Probleme mit dem „vermaledeiten Lieferkettengesetz“ (LkSG) ließen sich in den Griff bekommen. Sie zeigten letztlich nur, „dass wir es mit der Digitalisierung in Deutschland in den vergangenen Jahren nicht gut genug hinbekommen haben“. Diese Versäumnisse würden nun offensichtlich. „Denn wenn wir versuchen, Lieferkettensorgfaltspflichten mit manuellen Prozessen zu dokumentieren, dann wird das natürlich ein riesiges Desaster.“

Außerdem merkte die Forscherin an: Es gebe durchaus Möglichkeiten, die Lieferketten zu stabilisieren. Sie würden nur noch nicht genutzt – und das trotz der Verwerfungen während der Corona-Pandemie. Für eine Studie hatte Arlinghaus mit ihren Kollegen 2021 etwa 250 Industriefirmen befragt. Ein Ergebnis: Es wäre den Teilnehmern zufolge in Krisensituationen am besten, zu kooperieren und Ressourcen in Wertschöpfungsnetzwerken zu teilen, und zwar auch mit Wettbewerbern. „Doch dieser Hebel ist zugleich einer, der am wenigsten genutzt wird. Denn es fehlt an Transparenz und Vertrauen“, sagt Arlinghaus.

Aber hier tue sich im Moment viel. Gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium gebe es derzeit eine ganze Reihe von Projekten – ausgehend von der Autoindustrie unter dem Stichwort Catena-X –, die sogenannte förderierte Datensysteme entwickeln. In den Projekten geht es letztlich um Standards und Regeln, wie Daten miteinander geteilt werden können, ohne dass der Eigentümer der Daten, die Kontrolle über seine Daten verliert. „Hier liegen in den Wertschöpfungssystemen noch riesige, ungenutzte Potenziale“, ist Arlinghaus überzeugt.

Ein weiterer Hebel wäre laut Arlinghaus, die KI-Projekte in die Anwendung zu bringen. „Wenn wir das schaffen, können wir den Wertschöpfungsstandort Deutschland auch retten.“ Doch ein weiteres Ergebnis der Umfrage unter den 250 Unternehmen: 50 Prozent der Digitalisierungsprojekte scheitern. „Und bei diesen liegt es zu 50 Prozent daran, dass Menschen nicht so funktionieren, wie man sich das vorstellt. Zum Beispiel lehnen sie Veränderungen einfach ab oder sind nicht gut genug für die Technologien geschult“, sagt Arlinghaus.

Die Wissenschaftlerin von der Uni Magdeburg ergänzt: „Und es gibt in der Logistik heute so viele Dinge, die als unautomatisierbar gelten, die wir mit künstlicher Intelligenz in den Griff bekommen können. Wir können heute mit bezahlbarer Sensorik und KI vieles machen, was wir bisher nicht gewagt haben.“

Ihr Feedback
Teilen
Drucken

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Sie sind noch kein Abonnent?

Testen Sie DVZ, DVZ-Brief oder DVZ plus 4 Wochen im Probeabo und überzeugen Sie sich von unserem umfassenden Informationsangebot.

  • Online Zugang
  • Täglicher Newsletter
  • Wöchentliches E-paper

 

Zum Probeabo

Jetzt 4 Wochen kostenlos testen

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Kundenservice

Sie haben Fragen? Kontaktieren Sie uns gerne.

Nach oben