Russland-Ukraine-Krise: Große Sorge bei Logistikern
Die Lage im Russland-Ukraine-Konflikt spitzt sich zu. Wenige Stunden nachdem der russische Präsident Wladimir Putin die beiden selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine als unabhängige Staaten anerkannt hat, stoppte die Bundesregierung am Dienstag das Zulassungsverfahren für Nord Stream 2. Die Erdgas-Pipeline wird damit auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt. Nach Angaben des französischen Außenministers Jean-Yves Le Drian stimmten die EU-Staaten am Dienstagnachmittag bei einem Sondertreffen in Paris zudem einem weitreichenden Paket an Sanktionen zu, das nur wenige Stunden zuvor von der EU-Kommission vorgeschlagen worden war. Es beinhaltet unter anderem ein Handelsverbot für russische Staatsanleihen sowie Strafmaßnahmen gegen Banken, die an der Finanzierung der Militäroperationen und andere Maßnahmen in den Separatistengebieten beteiligt sind. Zudem werden mehrere Hundert Personen neu auf die EU-Sanktionsliste gesetzt.
In der Logistikbranche werden die Entwicklungen mit Sorge beobachtet. Hapag-Lloyd zum Beispiel betreibt den Dienst „Black Sea Mediterranean Express“ (BMX). Die Route verbindet den griechischen Mittelmeer-Hafen von Piräus mit dem russischen Containerhafen Noworossiysk und führt unter anderem über den Hafen von Odessa. Der Carrier belasse seine Aktivitäten in der Region bislang unverändert, sagte ein Sprecher der DVZ. Die Hamburger Hafen und Logistik AG betreibt in Odessa ein Containerterminal und habe vor Ort ein Krisenteam gebildet. Derzeit gebe es keine Störungen, sagte ein Sprecher. „Wir beobachten die Lage sehr besorgt und bereiten mögliche Maßnahmen vor, um unsere Mitarbeitenden zu schützen.“ Bereits mit den Sanktionen infolge der Ukraine-Krise 2014 sei der Handel mit Russland im Hamburger Hafen deutlich zurückgegangen, „so dass die aktuelle Situation keinen gravierenden Einfluss auf unser Geschäft hat“, fügte er hinzu.
Auch der Reederverband VDR äußerte sich besorgt und rät seinen Mitgliedern „zu größter Vorsicht“, wenn sie in das Schwarze Meer fahren. Auch wenn das Gebiet keine der Hauptrouten für die deutsche Seeschifffahrt sei, befürchtet der Verband, dass der Konflikt Folgen über die Region hinaus haben wird – und damit auch für die Schifffahrt.
Versicherer verlangen Aufschlag
Mit der Zuspitzung der Krise drohen sich Verschiffungen von und zu den Schwarzmeerhäfen beider Länder erheblich zu verteuern. So müssen Reedereien für jede Reise in die Gegend künftig zusätzliche Versicherungsprämien für die Seekasko-Kriegsversicherung leisten, sonst besteht für ihre Schiffe dort keine Deckung mehr. So berichten es Versicherungsmakler in Rundschreiben an Kunden in der Schifffahrt. Den Anstoß dazu hat das „Joint War Committee“ an der Versicherungsbörse Lloyd’s of London gegeben, als es die Gewässer Russlands und der Ukraine im Schwarzen Meer und dem Asowschen Meer vorige Woche auf die Liste der Risikogebiete aufnahm. Die Empfehlungen des Gremiums gelten als richtungsweisend.
Betroffen sind sämtliche Küstengewässer innerhalb der 12-Meilen-Zone beider Länder. Diese gelten damit fortan als Ausschlussgebiete der Kriegsversicherung, für die pro Schiffsanlauf Extraprämien fällig werden – genau wie in anderen Risikogebieten in Westafrika, dem Mittleren Osten oder in Venezuela.
Je nach Entwicklung der Risikolage, Schiffsgröße und Dauer der Reise in die Gebiete können die Zusatzkosten für Versicherung Zehntausende oder Hunderttausende Dollar betragen. Reedereien geben diese Aufwendungen als Ratenzuschläge oder als Bestandteil der Fracht- und Charterraten an die Ladungseigner weiter. Neben Containerverkehren dürften vor allem Getreide- und Rohölverladungen aus dem Schwarzen Meer heraus betroffen sein. Mit der Ukraine und Russland wurden erstmals seit langem zwei europäische Staaten auf die Lloyd’s-Risikoliste aufgenommen.
Auf der Schiene läuft alles normal. „Störungen werden derzeit nicht erwartet“, hieß es aus der Güterverkehrssparte der DB. Und Uwe Leuschner, CEO von Far Eastern Land Bridge (FELB), sagte: „Wir bereiten uns vor, indem wir die IT-Sicherheit erhöhen und Umwegrouten eruieren.“ Bei Duisport prüfe man derzeit intern mögliche Auswirkungen auf die Geschäftsbereiche, sagte ein Sprecher.
Beim Logistiker Hellmann laufen die Abfahrten in die Ukraine aktuell nach Plan, sagte Jörg Herwig, Chief Operating Officer Road & Rail. Bei der Multitrans AG, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 2000 mit Transporten in die Ukraine und nach Russland beschäftigt, befürchtet man bei neuerlichen Sanktionen weitere Einschränkungen „im ohnehin stark gebeutelten Markt“, teilte das Unternehmen mit. Wartezeiten von mehreren Tagen an den ukrainischen Grenzen und sogar ein bis zwei Wochen an den belarussischen Ausgangsgrenzen zur EU seien derzeit bereits an der Tagesordnung. Ein Problem wird dem Unternehmen zufolge künftig sicher auch noch der zunehmende Fahrermangel für ukrainische oder polnische Frachtführer werden, „was natürlich dann wieder die Frachtpreise nach oben treibt“.
Logistik bisher schon oft betroffen
Laut einer Umfrage des Ifo Instituts von 2020 sind von den bisherigen Russland-Sanktionen auf der Vertriebsseite der Maschinenbau, die Logistikbranche sowie die Fahrzeug- und die Chemieindustrie am häufigsten beeinträchtigt. Der Logistiksektor hat mit einem Anteil von 42 Prozent der Unternehmen starke Einschränkungen im Verkauf durch die Sanktionen hinzunehmen. Auch im Einkauf steht die Branche im Dienstleistungssektor an erster Stelle, und zwar mit einem Anteil der betroffenen Unternehmen von 19 Prozent. Zudem gaben 11 Prozent der Logistikfirmen einen Investitionsrückgang aufgrund der Sanktionen an.
Das größte Hindernis für alle Unternehmen ist der bürokratische Aufwand. Weitere Belastungen entstehen vor allem durch zusätzliche Kontrollen, Handelsverbote und unzureichende Finanzierungsmöglichkeiten. Weiteres Ergebnis: Das EU-Sanktionsregime belastet den Handel deutscher Firmen am stärksten, gefolgt vom US-Regime. Die russischen Gegensanktionen hätten dagegen kaum einen Einfluss. Nach Schätzungen der Ifo-Forscher betrug der Umsatzverlust aller deutschen Dienstleistungsfirmen durch die Russland-Sanktionen 2019 im Median 0,5 Millionen Euro.
Verschiebungen im Handel
Russland zählt aus logistischer Sicht zu den 13 attraktivsten Märkten unter den aufstrebenden Ländern der Welt. Zu diesem Ergebnis kommt Transport Intelligence (TI) in der neuesten Ausgabe des „Emerging Markets Logistics Index“. Die britischen Marktforscher stellen darin fest: „Russland, das durch Sanktionen von einem Großteil seines früheren Handels mit westlichen Märkten isoliert ist, hat sich auf der Suche nach Handelspartnern zunehmend nach Osten orientiert.“ In der Tat: Der Handel mit China hat in den vergangenen Jahren einen Boom erlebt. Im Jahr 2021 hatte der gemeinsame Warenaustausch laut russischer Zollstatistik einen Rekordwert von 140,7 Milliarden US-Dollar erreicht. Auch der grenzüberschreitende E-Commerce trägt laut TI zum Wachstum bei, da Logistikzentren und E-Commerce-Plattformen in Russland geschaffen werden, um die Nachfrage zu bedienen.
Die Staatschefs beider Länder hatten am Rande der Eröffnungsfeier bei den Winterspielen in Peking neue Investitionsprojekte und Handelsgeschäfte vereinbart. Eine Roadmap sieht vor, das bilaterale Handelsvolumen bis 2024 auf 200 Milliarden Dollar zu steigern. Die Länder planten 65 Investitionsvorhaben im Gesamtwert von 120 Milliarden Dollar, wie Wladimir Putin vor Beginn der Winterspiele erklärte. Russland liefert nach einer Analyse von Germany Trade & Invest (GTAI) bisher vor allem Erdölprodukte, Holz, Metalle und Kohle nach China, aber auch Fische, Lebensmittel und Maschinen. Die Warenstruktur der chinesischen Exporte ist breiter. Den größten Warenwert haben Elektronik und Rechentechnik, Maschinen, Bekleidung und Textilien, Autos und Fahrzeugteile.
Zu Beginn der 2000er Jahre erzielte Russland im China-Handel noch einen Überschuss. Doch seit 2007 liefert das Reich der Mitte laut GTAI-Analyse mehr Waren ins Nachbarland als es von dort importiert. Der chinesische Positivsaldo erreichte demnach 2010 seinen bisherigen Rekordwert von über 19 Milliarden Dollar. Seitdem steigen die russischen Lieferungen aber wieder schneller, vor allem wegen der hohen Rohstoffpreise. Bis 2024 will Russland erneut deutliche Überschüsse im Handel mit China erreichen. Geplant ist ein Exportvolumen von 107 Milliarden Dollar, bei Importen im Wert von 93 Milliarden Dollar.
Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner Russlands. Obwohl die Handelsbeziehungen schon seit der Krim-Annexion und der gegenseitigen Sanktionen im Jahr 2014 beeinträchtigt sind, entfielen immer noch rund 7,4 Prozent des gesamten Außenhandels Russlands im Jahr 2020 auf den Warenhandel mit Deutschland. Das Volumen des russischen Warenhandels (Ausfuhr und Einfuhr) mit Deutschland reduzierte sich laut Institut der deutschen Wirtschaft von rund 75 Milliarden Dollar 2013 auf rund 42 Milliarden Dollar 2020. Der russische Handel mit der EU zeigt einen ähnlichen Trend. Im Jahr 2013 betrug das gesamte Warenhandelsvolumen zwischen der EU und Russland rund 393 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2020 waren es nur noch 192,3 Milliarden US-Dollar. Jedoch bleibt die EU mit einem Anteil am gesamten Handelsvolumen Russlands von rund 34 Prozent mit Abstand der größte Handelspartner Russlands.
Der Rückgang der russischen Exportanteile nach Europa wurde zu etwa der Hälfte durch den starken Anstieg der Exportanteile in China kompensiert. Der chinesische Anteil an den gesamten russischen Exporten stieg von 6,7 Prozent im Jahr 2013 um 8 Prozentpunkte auf 14,7 Prozent im Jahr 2020. Der Importanteil Chinas lag 2020 bei 23,7 Prozent – ein Anstieg von rund 7 Prozentpunkten. (cs/eha/fh/ici/jpn/la/mph/ol)