E-Lkw: Die Wiederentdeckung des Cruisens

Wer mit einem elektrisch angetriebenen Lkw auf Tour geht, muss umdenken. Fahren am Tempolimit und Überholen mit Vollgas sind passé.

Das Fahren mit einem E-Lkw ist
hinsichtlich Geräusch und Fahrkultur
spürbar komfortabler als mit einem
Diesel. (Foto: Volvo Truck Corporation)

Einsteigen, anschnallen, losfahren. Stark vereinfacht ausgedrückt beginnt die Fahrt mit einem Elektro-Lkw für den Güterfernverkehr nicht anders als mit einem Verbrenner-Truck. So jedenfalls war der Eindruck nach einer jeweils kurzen Kennenlernrunde mit dem MAN eTruck sowie Volvos FH Electric. Während es sich bei dem Münchener Fahrzeug noch um einen reinen Prototyp handelte, läuft die Sattelzugmaschine aus Göteborg bereits als Serienmodell vom Band. Daher durfte sich der Volvo auf öffentlicher Straße beweisen, der MAN hingegen auf der hauseigenen Versuchsstrecke.

Nachdem die obligatorische Abfahrtskontrolle erledigt und die Fahrerkarte gesteckt war, folgte die Einweisung in die Technik durch das Begleitpersonal. Viel zu erklären gab es allerdings nicht vor Fahrtbeginn. Beide Hersteller orientieren sich bedienungsseitig beinahe komplett an den bestehenden Dieselmodellen, was den Erstkontakt selbst für Elektronovizen recht einfach macht.

Im Instrumentarium erscheint natürlich die Geschwindigkeitsanzeige, während Informationen zur Motordrehzahl entbehrlich sind. Das gilt gleichermaßen für die noch zum Teil üblichen Anzeigen zur Überwachung der Kühlmittel- oder Motoröltemperatur sowie des Ladedrucks der Dieselmaschine. Dafür umso bedeutsamer: Wie steht es um den „Tankinhalt“, beim Elektro-Lkw also um den Ladezustand der Batterie? Oder konkreter: Wie groß ist die Reichweite?

Knackpunkt bleibt die Reichweite

Diesbezüglich ist beim Volvo FH Electric derzeit nach 300 bis 350 Kilometern Feierabend. Sieht man diese Prognose als dieselgewöhnter Kraftfahrer bereits zu Schichtbeginn im Infodisplay, stünde im Fernverkehr der alten Zeit erst einmal Volltanken auf dem Dienstplan. Ganz einfach deshalb, weil eine solche Reichweitenprognose bei einem Dieselfahrzeug normalerweise für einen Tankfüllstand nahe der Reserve steht. Mit so wenig Treibstoff an Bord fährt freiwillig kein Trucker vom Hof.

Bei einem batterieelektrischen Lkw der Gegenwart – und auch der nahen Zukunft – sind derart niedrige Zielreichweiten bis zum nächsten „Nachtanken“ jedoch derzeit unvermeidlich und somit vorerst hinzunehmen. Also kümmert sich der E-Neuling vornehmlich um das Fahren an sich und schiebt Gedanken um die Langstreckentauglichkeit beiseite. Was dann auch die mit weitem Abstand erfreulichsten Erfahrungen bei den jeweils kurzen Probefahrten bringt.

Denn ganz gleich, ob Serien-Electric-Volvo oder MAN eTruck, in beiden Fällen ist das Fahren geprägt von einem ruhigen Dahingleiten. Da wie dort erzeugen automatisch geschaltete Getriebe zwar ein paar wenige Zugkraftunterbrechungen in der Beschleunigungsphase, doch fällt das am Steuer kaum weiter auf.

Im MAN erhält der aktuell 330 Kilowatt starke Elektromotor Unterstützung durch ein automatisch geschaltetes Vierganggetriebe. Angefahren wird im Regelfall im 2. Gang, die Aufwärtsschaltungen bis in die vierte Stufe erfolgen kraftflussseitig unauffällig. Spürbar werden die Schaltungen lediglich beim Abwärtsstufen unter Last, jedoch ungleich weniger präsent als vom Verbrennungsmotor her gewohnt.

Ganz ähnlich die Empfindung im Volvo. Hier arbeiten drei E-Maschinen mit einer gemeinsamen Dauerleistung von 490 Kilowatt im Schulterschluss mit dem vom Diesel-FH her bekannten 12-Gang-I-Shift-Getriebe zusammen. Auch in dieser Antriebskonfiguration finden beim Hochbeschleunigen aus dem Stand bis zur Reisegeschwindigkeit einige Übersetzungswechsel statt – je nach Auslastungsgrad und Geländeprofil mal mehr, meistens jedoch weniger. Zughochschaltungen gehen in der allgemeinen Fahrfreude über den geräuscharmen Tempozuwachs zumeist unter, Schubrückschaltungen sind in Ermangelung des vom Verbrenner her gewohnten Zwischengasimpulses überhaupt nicht wahrzunehmen.

Erwähnt sei die Schaltthematik ohnehin nur deshalb, weil man sie bei einem Fahrzeug mit Elektroantrieb zunächst nicht erwartet. An sich steht der Kompass am Steuer eines E-Trucks eher auf Gleiten ohne Übersetzungswechsel. Effizienzgründe nennen die MAN-Techniker auf Nachfrage und bauen in ihre künftigen schweren E-Kaliber eine Viergang-Box von Konzernschwester Scania ein. Für die leichteren Anwendungen wie 26-Tonnen-Solowagen reichen später zwei Schaltstufen.

Auch bei Volvo wird sich die Antriebstechnik in ihrer nächsten Evolutionsstufe noch einmal kräftig weiterentwickeln. An die Stelle der jetzt verwendeten Kombination aus Elektromotoren plus dem altbekannten Duo I-Shift-Schaltbox plus Kardanwelle soll eine hochintegrierte Elektroachse treten. Das kompakte Bauteil, vorgestellt auf der IAA 2022 in Hannover, schafft Raum für noch mehr Batterien im Lkw, weil die Elektromotoren und das Getriebe in die Hinterachse integriert werden. „Mehr Batterien bedeuten eine größere Reichweite, was die Möglichkeit schafft, auch Langstreckentransporte zu elektrifizieren“, heißt es dazu bei Volvo.

Langstrecke nur mit langen Pausen

Denn so richtig langstreckentauglich ist der FH Electric anno 2023 natürlich noch nicht. Dennoch hat es aus Fahrersicht bereits heute sehr viel Charme, einen solchen Truck über die Autobahn zu pilotieren. Schon aus Verbrauchsgründen – Stichwort Reichweite – nimmt man dabei am besten die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 80 Stundenkilometern als Basisvorgabe für Volvos topografischen GPS-Geschwindigkeitsregler I-See und lässt fortan den Vortriebs- und Dauerbremscomputer die Arbeit machen. Das führt zu einer ausgesprochen entspannten Fahrweise ohne energiezehrende Überholvorgänge.

Heraus kommt ein Gefühl von lässigem Dahin-Cruisen; zumindest so lange, bis die Ladeanzeige der Traktionsbatterie mit Reichweitenwarnungen um Beachtung bittet. Aber auch das soll aus Sicht der E-Protagonisten keinen Fahrer aus der Ruhe bringen. Geht es nach den Ideen vieler E-Truck-Entwickler, wird die für Trucker ohnehin vorgeschriebene 45-minütige Lenkzeitunterbrechung nach längstens 4,5 Stunden hinter dem Steuer zum turbomäßigen Megawatt-Schnellladen genutzt.

Diese Art der elektrischen Druckbetankung gibt es zwar längst noch nicht, sie soll in den nächsten Jahren aber in ausreichender Anzahl an die wichtigsten Fernverkehrsrouten gebracht werden. Zusätzlich zu den öffentlichen Turbo-Chargern braucht es ein automatisches Reservierungssystem für den „Lade-Parkplatz“ nebst obligatorischer Zielnavigation zur vorgebuchten, tunlichst grünen Hochleistungs-Stromquelle.

Dass die schnelle Nachladetechnik mit ihren wassergekühlten Starkstromkabeln den heute und absehbar üblichen Akkus gehörig auf die Langzeithaltbarkeit drückt, gehört zum Allgemeinwissen der batteriegestützten Elektromobilität. Den ausgesprochen positiven Eindruck nach den kurzen Probefahrten können solche Überlegungen gleichwohl kaum schmälern – jedenfalls nicht aus Fahrersicht. (ben)

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