Pro und Kontra: Ist Wasserstoff auf der Straße sinnvoll?

Der Technologiewettlauf hierzulande scheint entschieden. Die ­Zulassungen von Elektro-Lkw übersteigen jene von wasserstoff­betriebenen um ein Vielfaches. Die DVZ-Redaktion ist geteilter Meinung, wie sich Transportunternehmer aufstellen sollten.

Ein Lkw steht an einer Wasserstofftankstelle in Magdeburg. Dort können Lastwagen mit 350 Bar betankt werden. (Foto: picture alliance/dpa | Klaus-Dietmar Gabbert)

PRO

Frederic Witt, Online-Redakteur, Nachhaltigkeit

Wasserstoff ist als Energieträger auf der Straße schon alleine deshalb sinnvoll, weil es keine vernünftige Alternative dazu gibt, im Straßengüterverkehr auf Elektromobilität zu setzen. Denn eine kürzere Kette zwischen Energieproduktion und Energieverwendung gibt es nicht. Sonne und Wind erzeugen sauberen, kostengünstigen Strom, der sich fast direkt für die Fahrt mit Pkw und Lkw nutzen lässt.

Es gibt nur eine große Herausforderung: Von diesem Idealszenario sind wir noch weit entfernt. Erst kürzlich wurde deutlich, wie groß das Problem ist, dass sich grüner Strom noch nicht gut speichern lässt. Wenn PV-Anlagen und Windräder nicht genug Energie erzeugen (Stichwort: Dunkelflaute), brauchen wir Alternativen. Weder ist das deutsche Stromnetz dafür gerüstet, Strom in ganz großem Stil von den Offshore-Windparks im Norden nach Süden durchzuleiten, noch erlauben die regionalen Mittelspannungsnetze einen einfachen, flächendeckenden Aufbau privater Ladeinfrastruktur für schwere Lkw.

Das leichteste chemische Element lässt sich hervorragend speichern, kann Sonnen- und Windenergie einfangen, wenn sie im Überfluss entsteht. Außerdem haben sich Brennstoffzellenfahrzeuge inzwischen in vielen Anwendungsbereichen bewährt. Reichweiten von bis zu 400 Kilometern, die angesichts der gesetzlichen Ruhezeiten ausreichend wären, sind zuverlässig möglich, und die Vollbetankung ist mit durchschnittlich knapp 15 Minuten gut dreimal so schnell wie beim Elektro-Lkw.

Wasserstoff ist ein idealer Langzeitspeicher für Strom und damit eine sehr gute Ergänzung zu den derzeit noch in der Entwicklung befindlichen Batteriegroßspeichern. Experten schätzen, dass Windkraft und Sonnenenergie für rund 130 Prozent des Strombedarfs ausgebaut werden müssen, da es wetterbedingt (siehe oben) immer wieder Schwankungen gibt. Bei Maximallast kommt es dann aber zu Überproduktion, bei der heute häufig Windkraftanlagen vom Netz genommen werden müssen. Diese überschüssige Energie kann künftig direkt in Wasserstoff umgewandelt und genutzt werden. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern um den langfristig sinnvollsten Technologiemix.

Schließlich darf ein weiterer Aspekt nicht vergessen werden: die Sicherheit. Die Fokussierung auf einen Energieträger birgt sowohl für ein Wirtschaftssystem als auch für das einzelne Unternehmen Risiken. Ein Angriff auf die Infrastruktur kann in den nächsten Jahren leider nicht ausgeschlossen werden.

Natürlich ist der Aufbau von Doppelstrukturen aufwendig und nicht für jeden Unternehmer machbar. Wie bei vielen anderen Aufgaben sollte auch hier der Dialog mit anderen Akteuren in der Lieferkette gesucht werden. Es muss Kooperationen mit Dienstleistern, Kunden oder Wettbewerbern geben. Sich gemeinsam den Herausforderungen der Transformation zu stellen, Risiken verteilen und sich nicht auf eine Technologie zu beschränken – das ist das Erfolgsmodell der Zukunft.

KONTRA

Robert Kümmerlen, Mitglied der Chefredaktion der DVZ, Redaktionsleiter Logistik

Grüner Wasserstoff wird sich im Straßengüterverkehr nicht als dominierende Lösung durchsetzen. Die Produktion des Energieträgers in großem Maßstab erfordert zunächst einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien – und zwar weltweit. Das dauert lange und kostet viel Geld. Selbst wenn der Ausbau stattfinden sollte, wird sich mit dem Energieträger nur ein Teil des Bedarfs decken lassen.

Die Schätzungen für den Stromverbrauch im Jahr 2035 liegen zwischen 780 und 1.580 Terawattstunden. Der Anteil von grünem Wasserstoff am Gesamtenergiebedarf in der EU wird nach derzeitigem Stand voraussichtlich zwischen 3 und 11 Prozent liegen. Es lässt sich zwar nicht vorhersagen, wie viel Strom durch Wasserstoff in Deutschland im Jahr 2035 erzeugt und importiert wird. Doch eins ist sicher: Grüner Wasserstoff bleibt ein knappes Gut. Daher muss man Wasserstoff als Energieträger sehr gezielt einsetzen. Der Straßengüterverkehr gehört nicht zu den bevorzugten Einsatzgebieten, weil es energetisch und wirtschaftlich effizientere Lösungen gibt. Grüner Wasserstoff sollte zuallererst den energieintensiven Industrien zur Verfügung stehen.

Daraus entstehen Nutzungskonflikte. Der Energieträger wird vor allem in der chemischen Industrie, im Luft- und Schiffsverkehr sowie in der Stahlproduktion benötigt. Es gibt primäre industrielle Anwendungen, die nicht elektrifiziert werden können, wie beispielsweise die Düngemittel- oder Ammoniakherstellung. Hier ist grüner Wasserstoff alternativlos, wenn man Klimaneutralität anstrebt. Bereits in diesen Bereichen übersteigt der Bedarf in Deutschland bei weitem die global absehbare Produktionskapazität bis 2035. Wasserstoff ist zu kostbar, um ihn in Fahrzeugen zu verbrennen.

Im Lkw-Fernverkehr scheint Wasserstoff eine wirtschaftliche Option zu sein. Brennstoffzellen-Lkw erlauben aufgrund der hohen Energiedichte von Wasserstoff große Reichweiten und kurze Tankzeiten. Doch diese Vorteile verlieren zunehmend an Bedeutung, da die Batterie- und Ladetechnologie enorme Fortschritte macht. Mit leistungsfähigen Ladeinfrastrukturen sind batterieelektrische Lkw (BE-Lkw) auch für Fernstrecken geeignet. Zudem weisen sie einen deutlich besseren Wirkungsgrad auf: Brennstoffzellen-Lkw benötigen etwa doppelt so viel Energie für dieselbe Strecke. Grund dafür ist die Physik, die sich bei aller Begeisterung für Wasserstoff nicht umgehen lässt. Sowohl aus technologischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht stellen BE-Lkw daher die effizienteste Lösung für den Straßengüterverkehr dar.

Es ist notwendig, eine globale Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Dazu gehört der Bau von Infrastruktur und Transportmitteln wie Pipelines und Schiffen sowie Speichern – auch dies wird immense Investitionen und Zeit verschlingen. Lediglich 5 Prozent des weltweiten Wasserstoffs werden überhaupt gehandelt. Ohne internationale Kooperationen werden weder Deutschland noch Europa in der Lage sein, den Bedarf auch nur ansatzweise zu decken.

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