Verdi-Gewerkschafter: „Mit einem Fahrer zu sprechen, genügt“

Tiny Hobbs setzt sich für
 bessere Arbeitsbedingungen 
in der Transportbranche ein. Er empfiehlt, sich im Dialog ein eigenes Bild zu machen.

Für die Sorgen von Lkw-Fahrern findet Tiny Hobbs in seiner ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit pragmatische Lösungen: „Ich bin kein Politiker.“ (Foto: Tobias Loew)

Tiny Hobbs ist spontan und sucht gerne Lösungen, sowohl in seinem Privatleben als auch für seine Aufgaben als Gewerkschafter bei Verdi. So ist es letztlich einer langen Kette von Zufällen zu verdanken, dass der Sohn einer alleinerziehenden Mutter heute Gewerkschafter ist und seit 28 Jahren als freigestellter Betriebsrat für die Deutsche Post arbeitet.

Seinen Ausbildungsberuf als Orthopädiemechaniker hat er in den 80er Jahren von einem auf den anderen Tag aufgegeben, als er sich um ein schwer misshandeltes Kind kümmern musste: „Mir ging das zu nah.“ Er hätte gerne über seine Arbeit hinaus geholfen, konnte das aber nicht, ohne die Lebensumstände seines Patienten zu kennen.

Als er von diesem Frust beim Feierabendbier erzählte und anmerkte, dass er einen neuen Job suche, hörte das der Geschäftsführer eines Herstellers von Stanzmaschinen, der diese europaweit montieren ließ. So kam es, dass er schon am nächsten Morgen eine neue Berufskarriere starten konnte. „Dabei bin ich ziemlich weit herumgekommen, habe das Material für eine Montage jeweils im Transporter mitgebracht und meine Freiheit genossen“, sagt er und erinnert sich besonders gern an das Blau gefrorener norwegischer Wasserfälle.

Doch wenige Jahre später nahm seine Zufriedenheit mit dem Leben auf Montage immer weiter ab: Zuerst verlegte der Arbeitgeber die Anreisen vom Transporter ins Flugzeug, weil alles immer schneller gehen musste; neue Orte zu erkunden, war nicht mehr möglich, „und Werkshallen sehen überall gleich aus“. Dann lernte er in Frankfurt am Main die Frau kennen, die einmal die Mutter seiner Kinder werden sollte.

Briefe austragen für die Miete

Deshalb gefiel es ihm gar nicht mehr so gut, dass er nur ungefähr alle vier Wochen zu Hause war. „So kam es, dass ich 1990 beim Briefzentrum der Deutschen Post in Egelsbach nach einem Aushilfsjob für vier Wochen fragte, um davon die Miete bezahlen zu können“, erzählt er schmunzelnd. Aus der Übergangstätigkeit wurde wenig später die Festanstellung als Briefzusteller, und der ehemalige Vagabund sah sich mit einer neuen Unternehmenskultur konfrontiert.

„Ich war es gewohnt, zum Chef zu gehen und das Gespräch zu suchen, wenn mir etwas nicht passte oder ich mehr Geld brauchte“, blickt Hobbs zurück und fügt hinzu: „Aber das ging jetzt nicht mehr, ich hatte keine festen Ansprechpartner.“ Also wurde er Gewerkschaftsmitglied bei Verdi und ließ sich in den Betriebsrat wählen, fand sich schon bald im regionalen Gewerkschaftsvorstand wieder und wurde 1996 zum freigestellten Betriebsrat. Eine Position, die er 28 Jahre später immer noch bekleidet.

Später übernahm er auch den Vorsitz im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in der Stadt und dem Landkreis Offenbach. „Irgendwann fiel mir dann auf, dass es in der Nähe der Sortierzentren der Deutschen Post Menschen gab, die in ihren Lieferwagen lebten“, beschreibt er seine ersten Berührungspunkte mit entsendeten Arbeitnehmern aus Nachbarländern innerhalb und außerhalb der EU. Damals verlagerte sich der Schwerpunkt seiner ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit auf die Belange von Lkw-Fahrern, die augenscheinlich keinen Wohnsitz hatten.

Dass er später mit den Lkw-Fahrern der polnischen Spedition Mazur zu tun bekommen würde, die zweimal im vergangenen Jahr an der Raststätte Gräfenhausen dagegen protestierten, dass sie monatelang kein Geld bekommen hatten, gehört zu den Zufällen, die seinen Weg prägten: „Der Vorsitzende des Verdi-Kraftfahrerkreises Südhessen, Salvatore Franco, rief mich an einem Nachmittag vor Ostern an, erzählte, dass dort mehrere Fahrer zusammengekommen seien, und fragte, ob ich mal hinfahren könne, schauen, was dort los ist.“ Was dann begann, ist ihm als erstaunliches Beispiel für Selbstorganisation im Gedächtnis geblieben. „Ich bin kein Politiker, ich will Lösungen finden“, sagt Hobbs energisch. Und Probleme gab es dort mehr als genug. Also habe er zunächst Lebensmittel, Wasser und Gas zum Kochen besorgt, sich später darum gekümmert, dass die Wäsche der Fahrer gewaschen wurde.

Auch die anderen Beteiligten vor Ort hat er als zupackend empfunden. Die Verhandlungen mit der polnischen Spedition hatte der niederländische Gewerkschafter Edwin Atema geführt. Ihm sei es auch zu verdanken, dass die vielen freiwilligen Helfer als Team agiert und mit einer Stimme gesprochen haben.

Disponenten wissen, welches Leid sie auslösen. Tiny Hobbs, Verdi

Sehr geholfen habe, dass der DGB Südhessen die Zusammenkunft der Fahrer als Kundgebung offiziell angemeldet habe. Deshalb konnte die hessische Polizei die Fahrer an Karfreitag vor Speditionschef Mazur und den mit einem Panzerwagen angereisten paramilitärischen Kräften schützen. „Die Polizisten haben einen tollen Job gemacht, die beiden Gruppen voneinander zu trennen“, lobt Hobbs. Warum es zu der Auseinandersetzung überhaupt kommen musste, ist für ihn klar. „Der billigste Preis entscheidet“, kritisiert er die Vergabepraxis in der Transportbranche. Das sorge immer wieder dafür, dass Unternehmen wie die von Mazur den Auftrag erhielten, die Fahrer weder transparent noch nach gültigem Mindestlohn bezahlten.

„Das Verhalten vieler Disponenten erinnert mich an das Milgram-Experiment“, sagt er. Bei dieser psychologischen Studie hatten Versuchspersonen vermeintlichen Schülern auf Anweisung eines Untersuchungsleiters für falsche Antworten stärker werdende Stromschläge erteilt, obwohl sie davon ausgehen mussten, dass die immer lauter klingenden Schreie der Bestraften echt waren. „Auch Disponenten wissen, welches Leid sie auslösen, und entscheiden sich doch immer wieder dafür“, präzisiert der Gewerkschafter.

LkSG pragmatisch umsetzen

Angesichts solcher Bedingungen hätten das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) und der Besuch des ehemaligen BAFA-Präsidenten Torsten Safarik an der Raststätte enorm geholfen, in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für die Situation der Fahrer zu schärfen. Hobbs glaubt, dass Auftraggebern und Warenempfängern kein großer Mehraufwand entstehen müsse, wenn sie das LkSG pragmatisch auslegten: „Es reicht doch, mit einem Fahrer an der Laderampe zu sprechen“, schlägt er vor.

Mitarbeiter im Versand oder der Warenannahme, die danach fragten, wie viel Geld er verdiene, ob er eine Gehaltsabrechnung bekomme und regelmäßig in einem Hotel übernachten dürfe, täten aus seiner Sicht das, was das LkSG beabsichtige. „Nur wenn dabei etwas nicht in Ordnung ist, müsste der Mitarbeiter überhaupt etwas tun und den LkSG-Beauftragten des Unternehmens informieren“, meint Hobbs. Das LkSG und die europaweit gültige Nachhaltigkeitsrichtlinie CSRD unterstützten die Unternehmen dabei, die richtigen Fragen zu stellen.

Außerdem sollte für die Fahrer analog zur Soka-Bau eine Sozialkasse eingerichtet werden und sie sollten immer mit dem Europäischen Sozialversicherungsausweis (Esspass) unterwegs sein. Der Pass stelle sicher, dass sie überall in Europa medizinisch versorgt werden können. „Beides zusammen würde die größte Not im Straßengüterverkehr deutlich lindern“, betont der Gewerkschafter.

Perspektivisch wünscht er sich, dass die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften für Lkw-Fahrer bei Transportunternehmen in ganz Europa durch Audits geprüft werden: „Dann haben es Auftraggeber selbst über Frachtenbörsen leichter, seriöse Vertragspartner zu finden.“

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