Studie: Die Chemielogistik verändert sich

Experten zufolge werden einige Chemiehersteller in Deutschland künftig Umsatzeinbußen erleiden und sogar Produktionsstätten schließen müssen. Andere hingegen werden wachsen. Damit einher gehe eine Neukonfiguration der Logistiknetze. Auf der CX diskutiert am Donnerstag BASF-Manager Ralf Busche über die industrielle Zukunft Europas.

Illustration: iStock, Carsten Lüdemann

Die Chemiebranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Dieser umfasst eine Neusortierung der Produktionsstandorte. Dabei müsse damit gerechnet werden, dass in Deutschland Kapazitäten zurückgebaut oder zumindest nicht mehr in voller Auslastung betrieben werden – und sich der Schwerpunkt mehr in Richtung der Spezialchemie verschieben wird. Trete dieses Szenario ein, müssten auch die logistischen Netzwerke und Angebote neu bewertet und angepasst werden. Das schreiben Logistikprofessor Christian Kille und Ex-BASF-Manager Andreas Backhaus in ihrer jetzt vorgelegten Studie „Chemielogistik in Bewegung“.

Demnach nimmt die Produktion von Grundstoffen mittelfristig tendenziell ab, die von verpackten Produkten zu. Logistikdienstleister mit Fokus auf unverpackte Ware und Bulkgüter müssten mit einer sinkenden Nachfrage rechnen. Die mit dem Schwerpunkt auf höherwertige verpackte Chemiegüter dagegen würden von den tendenziell positiven Entwicklungen der Spezialchemie und von der Neukonfiguration der Logistiknetze profitieren, sie könnten sogar in einem nach Umsatz stagnierenden und nach Menge abnehmenden Markt mit Wachstum rechnen.

Wichtig zu erwähnen: Die Studie wäre ohne die Unterstützung von Dachser Chem Logistics nicht möglich gewesen, wie die beiden Autoren im Vorwort schreiben. Die Sparte des Dienstleisters aus Kempten transportiert und lagert verpackte Chemieprodukte für unterschiedliche Branchen wie Kunststoff, Automotive, Textil sowie Landwirtschaft und Bau.

Grundstoffe dominieren

Mit 197 Milliarden Euro Umsatz (2022) ist die deutsche Chemiebranche zwar kleiner als die Autoindustrie, der Maschinenbau und die Nahrungsmittelindustrie. Gemessen an der Transporttonnage rangiert sie – geprägt durch den hohen Bulk-Anteil – aber vor diesen Branchen. Fast zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf chemische Grundstoffe, die vor allem in die Produktion anderer Industrieunternehmen fließen. Die Relevanz deren Produktion in Deutschland zeigt sich auch an der Zahl der Beschäftigten von rund 178.000 Menschen. Knapp 30 Prozent der Produktion der Chemieindustrie nach Herstellerpreisen werden von Chemieunternehmen benötigt. Weitere wichtige Abnehmer sind die Hersteller von Gummi- und Kunststoffwaren (gut 5 Prozent), die Autoindustrie und das Textil-, Bekleidungs- und Lederwarengewerbe (circa 1 Prozent) sowie die Privathaushalte (etwa 5 Prozent). 50 Prozent gehen in den Export.

Quelle: „Chemielogistik in Bewegung“

„Insgesamt steht die Chemiebranche vor einer der herausforderndsten Transformationen ihrer Geschichte“, schreiben die Studienmacher weiter. Besonders schwer haben dürften es künftig die Grundstoffproduzenten mit besonders energieintensiven Produktionsstätten in Deutschland. Hier seien sogar Schließungen von Anlagen zu erwarten. Im internationalen Vergleich seien die Energiekosten zu hoch und wirkten sich negativ auf die Produktions- und damit Transportmengen aus. Die Bereiche Spezialchemie und Pharma seien dagegen kaum betroffen und werden sogar Zuwächse verzeichnen.

Größter Energieverbraucher

Die Chemieindustrie ist die Branche, die mit Abstand die meiste Energie verbraucht. Zum Vergleich: Die Autoindustrie kommt lediglich auf etwas mehr als 10 Prozent dessen, was die Chemiebranche benötigt. Erschwerend kommt hinzu, wie die Autoren anmerken, dass perspektivisch in den Chemie-Hotspots insbesondere im Westen und Süden Deutschlands das Energieangebot nicht ausreichen wird. Wenn nun nicht nur der Anteil von Gas als direkter Energieträger von aktuell 30 Prozent weiter falle, sondern auch die Energiewende beim Strom vollzogen werde, bestehe ein deutliches Energiedefizit in diesen Chemieregionen. „Profitieren werden Standorte im Norden und Osten Deutschlands, die bereits heute eine hohe Stromproduktion aus regenerativen Energien aufweisen können“, sagen die Autoren voraus.

Quelle: „Chemielogistik in Bewegung“

Es kann erwartet werden, dass national die Nachfrage umsatzmäßig stabil bleibt, durch neue Kundenbranchen oder weil bestehende Wachstum verzeichnen. Dies führe zu mehr Investitionen in der Produktion von Spezialchemie. Für die Chemielogistik bedeute dies, dass zwar Mengen bei der unverpackten Ware und Bulk-Produkten wegfallen werden. Dafür werde nicht nur das Aufkommen verpackter Ware zunehmen, da die wachsenden Kundenbranchen tendenziell kleinere Mengen nachfragten. Auch würden zusätzliche logistische Leistungen gefordert, heißt es in der Studie.

Neben neuen Chip-Fabriken würden zahlreiche Standorte für die Munitionsherstellung vor allem in Niedersachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland erweitert. Auch steigen die Investitionen in Pharma- und Batteriezellenproduktionsstandorten. Durch diese neuen Kundensegmente würden sich zwar Potenziale ergeben. Zu berücksichtigen sei unter anderem aber, dass diese Standorte sich tendenziell von den traditionellen Chemieregionen unterscheiden.

BASF-Logistikmanager auf der Supply Chain CX

Ralf Busche wird auf der BVL Supply Chain CX in Berlin gleich drei Mal an zwei Tagen auf der Bühne stehen. Am Donnerstag zum Beispiel diskutiert der BASF-Manager mit Prof. Julia Arlinghaus, Leiterin des Fraunhofer IFF, die entscheidenden Fragen zur künftigen industriellen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa: Hat Europa angesichts des geringen Wachstums, strukturell höherer Energiekosten, zunehmender Importe aus Asien und überbordender Bürokratie noch eine Zukunft als wettbewerbsfähiger Industriestandort? Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und gleichzeitig nachhaltig zu werden? Und: Welche Rolle spielen erneuerbare Energien und technologische Innovationen dabei? Busche ist verantwortlich für die Logistik innerhalb der europäischen BASF-Standorte. Sein Vorgänger war der Mitautor dieser Studie, Andreas Backhaus, der Ende 2019 in den Ruhestand getreten war.

Donnerstag, 24. Oktober, 15 bis 15.45 Uhr, Hotel Estrel Berlin, Congress Area, Auditorium

Die Studienautoren gehen davon aus, dass der EU-Binnenmarkt in den kommenden Jahren stabil bleibt, und dass die Bedeutung von Überseehandelspartnern wie den USA und China abnehmen wird. Die geopolitische Lage führe zu zunehmend regionaler Produktion und damit zu einer Verkürzung der Lieferketten. Chemieunternehmen werden also vermehrt direkt in Ländern wie den USA und China produzieren. Auch Effekte eines Nearshorings durch neue Produktionen in Osteuropa seien zu erwarten. In der Folge dürften die Güterströme innerhalb der EU eher zunehmen. Deutschlands Stellung beim Export werde aber geschwächt.

Während bisher die meisten deutschen Chemielogistikstandorte im Westen und Süden zu finden sind, wird sich der Schwerpunkt der Investitionen in die Mitte und nach Osten verschieben, heißt es weiter. Zugleich würde durch die Strategieanpassungen die Relevanz der Nähe zu den Seehäfen im Westen (Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam) und Norden (Hamburg, Bremen, Wilhelmshaven) abnehmen.

Die Rolle der Seehäfen

Ungefähr werden 50 Prozent der chemischen Güter nach Tonnage über deutsche Seehäfen im- wie auch exportiert. Die andere Hälfte geht zum Großteil über die Seehäfen in Belgien, Frankreich und den Niederlanden. Die Mengen unterscheiden sich im Detail:

  • Beim Export über deutsche Seehäfen gehen 65 Prozent der Mengen über Hamburg, 10 Prozent über Bremen, 5 Prozent über Wilhelmshaven und 1 Prozent über Rostock.
  • Beim Export über die Seehäfen außerhalb Deutschlands gehen 50 Prozent über Antwerpen, 45 Prozent über Rotterdam und 1 Prozent über Amsterdam.
  • Beim Import über deutsche Seehäfen kommen 40 Prozent über Hamburg nach Deutschland, 20 Prozent über Wilhelmshaven, 10 Prozent über Bremen und 5 Prozent über Rostock.
  • Beim Import über die Seehäfen außerhalb Deutschlands kommen 55 Prozent über Rotterdam nach Deutschland, 30 Prozent über Antwerpen und 10 Prozent über Amsterdam.

Quelle: „Chemielogistik in Bewegung“

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