Studie: Die Chemielogistik verändert sich
Die Chemiebranche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Dieser umfasst eine Neusortierung der Produktionsstandorte. Dabei müsse damit gerechnet werden, dass in Deutschland Kapazitäten zurückgebaut oder zumindest nicht mehr in voller Auslastung betrieben werden – und sich der Schwerpunkt mehr in Richtung der Spezialchemie verschieben wird. Trete dieses Szenario ein, müssten auch die logistischen Netzwerke und Angebote neu bewertet und angepasst werden. Das schreiben Logistikprofessor Christian Kille und Ex-BASF-Manager Andreas Backhaus in ihrer jetzt vorgelegten Studie „Chemielogistik in Bewegung“.
Demnach nimmt die Produktion von Grundstoffen mittelfristig tendenziell ab, die von verpackten Produkten zu. Logistikdienstleister mit Fokus auf unverpackte Ware und Bulkgüter müssten mit einer sinkenden Nachfrage rechnen. Die mit dem Schwerpunkt auf höherwertige verpackte Chemiegüter dagegen würden von den tendenziell positiven Entwicklungen der Spezialchemie und von der Neukonfiguration der Logistiknetze profitieren, sie könnten sogar in einem nach Umsatz stagnierenden und nach Menge abnehmenden Markt mit Wachstum rechnen.
Wichtig zu erwähnen: Die Studie wäre ohne die Unterstützung von Dachser Chem Logistics nicht möglich gewesen, wie die beiden Autoren im Vorwort schreiben. Die Sparte des Dienstleisters aus Kempten transportiert und lagert verpackte Chemieprodukte für unterschiedliche Branchen wie Kunststoff, Automotive, Textil sowie Landwirtschaft und Bau.
„Insgesamt steht die Chemiebranche vor einer der herausforderndsten Transformationen ihrer Geschichte“, schreiben die Studienmacher weiter. Besonders schwer haben dürften es künftig die Grundstoffproduzenten mit besonders energieintensiven Produktionsstätten in Deutschland. Hier seien sogar Schließungen von Anlagen zu erwarten. Im internationalen Vergleich seien die Energiekosten zu hoch und wirkten sich negativ auf die Produktions- und damit Transportmengen aus. Die Bereiche Spezialchemie und Pharma seien dagegen kaum betroffen und werden sogar Zuwächse verzeichnen.
Es kann erwartet werden, dass national die Nachfrage umsatzmäßig stabil bleibt, durch neue Kundenbranchen oder weil bestehende Wachstum verzeichnen. Dies führe zu mehr Investitionen in der Produktion von Spezialchemie. Für die Chemielogistik bedeute dies, dass zwar Mengen bei der unverpackten Ware und Bulk-Produkten wegfallen werden. Dafür werde nicht nur das Aufkommen verpackter Ware zunehmen, da die wachsenden Kundenbranchen tendenziell kleinere Mengen nachfragten. Auch würden zusätzliche logistische Leistungen gefordert, heißt es in der Studie.
Neben neuen Chip-Fabriken würden zahlreiche Standorte für die Munitionsherstellung vor allem in Niedersachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland erweitert. Auch steigen die Investitionen in Pharma- und Batteriezellenproduktionsstandorten. Durch diese neuen Kundensegmente würden sich zwar Potenziale ergeben. Zu berücksichtigen sei unter anderem aber, dass diese Standorte sich tendenziell von den traditionellen Chemieregionen unterscheiden.
Die Studienautoren gehen davon aus, dass der EU-Binnenmarkt in den kommenden Jahren stabil bleibt, und dass die Bedeutung von Überseehandelspartnern wie den USA und China abnehmen wird. Die geopolitische Lage führe zu zunehmend regionaler Produktion und damit zu einer Verkürzung der Lieferketten. Chemieunternehmen werden also vermehrt direkt in Ländern wie den USA und China produzieren. Auch Effekte eines Nearshorings durch neue Produktionen in Osteuropa seien zu erwarten. In der Folge dürften die Güterströme innerhalb der EU eher zunehmen. Deutschlands Stellung beim Export werde aber geschwächt.
Während bisher die meisten deutschen Chemielogistikstandorte im Westen und Süden zu finden sind, wird sich der Schwerpunkt der Investitionen in die Mitte und nach Osten verschieben, heißt es weiter. Zugleich würde durch die Strategieanpassungen die Relevanz der Nähe zu den Seehäfen im Westen (Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam) und Norden (Hamburg, Bremen, Wilhelmshaven) abnehmen.