„Wenn man nicht ins kalte Wasser springt, wird es nie etwas“

German Heil, Vorstand Supply Chain bei Eckes-Granini, über Erfolgsfaktoren bei digitalen Transformationsprojekten, die Rolle der Unternehmenskultur und die zu erwartende Entwicklung der Logistikkosten.

German Heil ist seit 30. Juni dieses Jahres Vorstandsmitglied bei Eckes-Granini. Foto: Eckes-Granini Group

DVZ: Herr Heil, Sie haben zum 30. Juni bei Eckes-Granini einen neu strukturierten Verantwortungsbereich übernommen, der neben Supply Chain die Bereiche Forschung, Entwicklung und Qualität umfasst. Worauf liegt Ihr Hauptaugenmerk?

German Heil: Das liegt auf dem Zusammenspiel meiner drei Verantwortungsbereiche in der Supply Chain. Globale Lieferketten sind störanfällig. Pandemie, Kriege, Naturkatastrophen, flächendeckende Stromausfälle oder blockierte Seewege sind nur einige von den Beispielen und Ereignissen, die wir in den vergangenen Jahren hatten und die zu Problemen geführt haben. Das hat Einfluss auf unser Geschäft, und wir können mit diesen drei Abteilungen dem entgegenwirken. Es ist von hoher Bedeutung, dass eine robuste, effiziente und nachhaltige Supply Chain etabliert wird, um gegen Rohstoffknappheit gewappnet zu sein. Zugleich streben wir damit an, Qualitätsmaßstäbe innerhalb der Branche zu setzen.

Wie sind Sie als der Neue in einer neuen Struktur im Unternehmen aufgenommen worden?

Da muss ich den Kolleginnen und Kollegen bei Eckes-Granini meinen Dank aussprechen. Ich nehme eine einzigartige Unternehmenskultur wahr, die sehr inklusiv ist. Wir sprechen uns alle beim Vornamen an, und wenn man dann in der Kantine ist und der Azubi fragt ‘Bist du der neue Vorstand?’, dann ist das schon etwas Besonderes. Das sorgt dafür, dass man in der Kommunikation sehr schnell, sehr direkt, sehr empathisch ist.

Wie arbeiten Sie sich nun in Ihren Aufgabenbereich ein?

Ich habe meine Einarbeitung in Phasen eingeteilt und diese Phasen habe ich mit Milestones und mit Inhalten belegt. Mein Ziel ist es, mich schnell und tief in die Organisation, aber auch in die Märkte einzuarbeiten, um Anforderungen, Bedürfnisse und Rahmenbedingungen wirklich umfassend zu verstehen. Dazu gehört, Kunden in allen Ländern kennenzulernen, die Marken und ihre Historie zu verstehen, intensive Gespräche zu führen sowohl mit Kolleginnen und Kollegen, Medien, Fachbereichen als auch mit den Mitarbeitenden in den Werken, Laboren und der Logistik. Und ich bin auch selbst vor Ort mit auf Schicht gegangen, um zu verstehen, wie das Geschäft läuft.

Wie gut kannten Sie denn Eckes-Granini?

Ich kannte Eckes-Granini in Deutschland gut, insbesondere die Marken und die Produkte. Hohes C, Eckes Traubensaft, Fruchttiger oder Granini kennt man ja seit der Kindheit. Es ist ein traditionsreiches Familienunternehmen. Ehrlich gesagt habe ich nicht gewusst, wie weit es europäisch aufgestellt ist und wie präsent und stark die Marken zum Beispiel in Dänemark oder Frankreich sind. Das hat mir dann gezeigt, welche Herausforderungen, aber auch welche Chancen es in der gesamten Gruppe gibt.

Zur Person

German Heil (53) ist seit 30. Juni dieses Jahres Vorstandsmitglied bei Eckes-Granini und zuständig für den Bereich Supply Chain sowie Research & Development und Qualität. Der Diplom-ingenieur und Betriebswirt kommt von der Gelita AG, einem Anbieter von Gelatine, wo er als Global Vice President Manufacturing tätig war. Zuvor hat German Heil bei Unilever und Corbion in Amsterdam.

Eine große Herausforderung ist sicherlich die digitale Transformation. Eckes-Granini nutzt die Plattform Cloud4Log und den digitalen Lieferschein. Welche Erfahrungen hat das Unternehmen damit gemacht?

Es gibt durchweg positive Erfahrungen. Durch den automatisierten Prozess ist die Abwicklung vor Ort deutlich vereinfacht worden, zum Beispiel ist die Sprachbarriere durch Nutzung der Plattform nicht mehr vorhanden und dadurch ist das Leben der Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer, aber auch unserer Mitarbeiter vor Ort, zum Beispiel im Wareneingang und Warenausgang, deutlich komfortabler geworden. Das läuft sehr gut.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse der Testphase hieß es, es sollen weitere Funktionen hinzukommen. Wie ist der aktuelle Stand?

Es gibt noch mehrere Details, an denen gearbeitet worden ist. Zum Beispiel wurde im aktuellen operativen Betrieb der Palettenprozess sowie die Dokumentation von möglichen Transportschäden integriert. Der digitale Lieferschein ist mittlerweile in mehr als zehn Sprachen verfügbar. Darüber hinaus ist ein Download des Ablieferbelegs möglich und es können auch Transporte nach Gefahrgutrecht vorgenommen werden. Als nächstes planen wir, den Lieferschein auf den Bereich Customer Relationship Management zu erweitern. Die Partnerunternehmen sind allesamt überzeugt, dass der digitale Lieferschein Mehrwert bietet.

Müssen Logistikdienstleister, die mit Eckes-Granini zusammenarbeiten, den digitalen Lieferschein nutzen?

Ja.

Darüber hinaus digitalisiert Eckes-Granini die Supply-Chain-Prozesse in drei Phasen. Wo steht das Unternehmen aktuell bei diesem Digitalisierungsprojekt?

Es ist unser größtes IT-Transforma-tionsprojekt und geht über drei Jahre. Es betrifft wirklich alle Elemente der Supply Chain und des Unternehmens. In der ersten Phase wurde der sogenannte „Valorized-Demand-Planning-Prozess“ gruppenweit in den Landesorganisationen eingeführt. Damit wollen wir mit einer Lösung Lieferketten, Finanzen, Vertrieb und Marketing verwalten. Die Erfahrungen bisher sind gut. Wir haben Demand Module etabliert und das hat uns gerade in Krisenzeiten geholfen, gut balancierte Entscheidungen zu treffen. Mit dieser Anwendung arbeiten wir in allen Ländern. Das hat den Vorteil, dass wir alles auf Gruppenebene konsolidieren können.

Wenn das so weit abgeschlossen ist, läuft derzeit also Phase 2.

Ja, zurzeit beschäftigen wir uns mit der zweiten Phase zur Szenario- und Supply-Planung. Den Szenario-Schritt haben wir noch nicht ganz hinter uns und hoffen, dass wir mit dem Supply-Schritt im Laufe 2024 live gehen werden. Bei der Szenario-Planung ist wirklich wichtig, weg von statischen hin zu dynamischen Systemen zu kommen. Dann sieht man anhand von Live-Daten, wie sich Dinge verändern und kann dann gute Entscheidungen treffen, zum Beispiel wenn es eine Rohstoffverknappung gibt. Die dritte und schwierigste Phase haben wir Ende 2024 vor uns. Da nehmen wir uns dann die Finanzplanung und die Einkaufsprozesse vor.

Werden die Phasen 2 und 3 in allen Ländern parallel eingeführt?

Nein, wir fangen immer mit den größten Ländern an, die wir bedienen. Das sind derzeit Deutschland und Frankreich, dann ziehen wir die anderen relativ schnell nach. Bei der Projekt-organisation sitzen Vertreter aller Länder am Tisch. Das bedeutet, selbst die Länder, in denen die Einführung später stattfindet, sind informiert und können dann von den Erfahrungen der Kollegen profitieren.

Produktion bei Eckes-Granini: Verfügbarkeit von Orangen ist für den Safthersteller essenziell. Der Obstmarkt kann starken Schwankungen unterliegen. Foto: Eckes-Granini-Group

Bei derartigen Digitalisierungsprojekten sind gut gepflegte Stammdaten die entscheidende Voraussetzung. War das bei Eckes-Granini der Fall?

Stammdatenmanagement ist die Mutter von allem. Ohne Stammdaten in hoher Qualität lässt sich kein valorisierter Bedarfsplanungsprozess realisieren. Deswegen haben wir im aktuellen Projekt viel Aufwand betrieben und werden auch in Zukunft noch viel reinstecken müssen. Das liegt daran, dass die Konzernausrichtung bei Eckes-Granini in den vergangenen zehn bis zwölf Jahren dezentral war. Das heißt, wir haben zwar gute Stammdaten in einem Land, aber wir haben verschiedene IT-Systeme. Wir harmonisieren nun die Stammdaten in der gesamten Gruppe, so dass jeder damit arbeiten kann. Aus einem dezentralen System ein zentrales zu machen, ist viel Arbeit.

Inwieweit wirkt sich das auf die Arbeitsprozesse der einzelnen Mitarbeiter aus und wie nehmen Sie diese in einem solchen Veränderungsprozess mit?

Bei allen großen digitalen Transformationsprojekten ist der Mensch im Prozess tatsächlich die größte Herausforderung. Wir haben eine Projektorganisation, die aus internen Mitarbeitern besteht und durch externe Berater ergänzt wird. Das ist ein feststehendes Team, das sich nicht verändert und das die Verantwortung trägt. Die Veränderungen sind erheblich, auch persönlich für die Mitarbeitenden in ihrer Arbeitsweise. Daher muss man die Mitarbeiter mitnehmen. Zudem gibt es einen Lenkungsausschuss, in dem auch der Vorstand vertreten ist, um dafür zu sorgen, dass dieses Projekt funktioniert und es in das Tagesgeschäft integriert wird. Das ist also kein Nebenprojekt auf der Seitenlinie, sondern die Art und Weise, wie wir künftig arbeiten wollen. Wir akzeptieren natürlich auch Fehler, aber wenn man nicht mal ins kalte Wasser springt, dann wird es nie was.

Worauf genau kommt es an, um den einzelnen Mitarbeiter mitzunehmen – muss man jeden Tag aufs Neue erklären, warum man etwas macht, oder gibt es besondere teambildende Maßnahmen?

Der Mitarbeiter muss wissen, warum wir das tun. Es muss immer einen Mehrwert geben für das Unternehmen und für die Mitarbeiter. Das muss klar sein, und dann ist wichtig, regelmäßig im Vorfeld darüber zu informieren, was als nächstes kommt, damit man Sicherheit in der Planung bekommt. Zudem sollte es eine Mängelliste geben und Mitarbeiter sollten ermutigt werden, Feedback zu geben zu allen denkbaren Punkten, seien es einzelne Prozessschritte oder Bugs in der Software, aber auch zu Hardware und Schnittstellen.

Rückmeldungen von Mitarbeitern können auch Innovationen im Unternehmen hervorbringen. Wie fördern Sie das?

Wir betrachten Innovation als zentrales strategisches Handlungsfeld, das der Hebel für das Wachstum des Unternehmens ist. Daher haben wir Ressourcen auf Gruppenebene, um gemeinsam mit den Ländern und mit den Fachabteilungen Forschung, Entwicklung, Marketing und Vertrieb aus Trends und Ideen Innovationsprojekte zu formen. Die Kunst dabei ist, die Komplexität zu managen, denn es gibt hunderte Ideen und kleinere Projekte, die in einer Cloud-Lösung gesammelt werden. Wir bewerten diese kontinuierlich in einem virtuellen Stage-Gate-Prozess, in den der Vorstand eingebunden ist, und stellen bei Bedarf Ressourcen zur Verfügung. Ausgewählte Initiativen werden dann an interdisziplinäre Teams übergeben, die dafür sorgen, dass daraus in den Landesorganisationen erfolgreiche Projekte werden.

Sie haben eingangs die Herausforderungen in den Lieferketten angesprochen, vor allem die notwendige Robustheit gegenüber Rohstoffschwankungen, zu der dieses großangelegte IT-Transformationsprojekt beitragen soll. Wie werden sich Ihrer Einschätzung nach vor diesem Hintergrund die Logistikkosten entwickeln?

Wir schauen trotz aller Optimierungen mit Sorge auf die Logistikosten, was ich an drei Beispielen verdeutlichen möchte. Zum einen die Maut: Die Regierung hat beschlossen, die Lkw-Maut zum 1. Dezember um circa 83 Prozent zu erhöhen. Dies bedeutet für Eckes-Granini Deutschland eine erhebliche Kostensteigerung. Aus unserer Sicht wird die Erhöhung auch dazu beitragen, dass immer mehr Spediteure, die diese Kosten nicht weiterbelasten können, vom Markt verschwinden. Zum anderen die Bahn: Die Mauterhöhung soll dazu beitragen, dass Güter vermehrt auf die Schiene verlagert werden. Eckes-Granini befindet sich gerade in Gesprächen mit Bahndienstleistern, und wir sind optimistisch, mit diesen Partnern ein Bahnprojekt zu realisieren. Schließlich der Fahrermangel: Aktuell fehlen in Deutschland bereits etwa 80.000 Lkw-Fahrer, dies merken wir deutlich. Sollten wir neue Fahrer suchen, gestaltet sich dies auch in einem Industrieunternehmen sehr schwierig. Im Bereich Transportkapazität unserer Speditionspartner erleben wir es häufig, dass Lkw aufgrund fehlender Fahrer stehenbleiben müssen. Dies alles zeigt examplarisch, welche Dynamik die Logistikkosten entfalten werden.

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