„Wir sind immer die Nerds im Projekt“

Bei Digitaler Transformation und Dekarbonisierung ist „das hub“ der Hochschule Hannover in Niedersachsen immer vorne dabei. Mit Simulation und Machine Learning hilft das Team Logistik, Produktion und Mobilität zu optimieren.

DVZ-Redakteur Frederic Witt (links) mit Christoph von Viebahn sowie Inga Töller und Beres Seelbach von Onomotion beim Deutschen Logistik-Kongress 2023. (Foto: Johannes Staritz/Hochschule Hannover)

DVZ: Herr von Viebahn, Sie sind Mitgründer des Data Analytics and Simulation Hubs, kurz „das hub“, an der Hochschule Hannover. Welchen Zweck hat diese Institution?

von Viebahn: Wir setzen dort schon seit acht Jahren ganz unterschiedliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Logistik, Produktion und Mobilität um.

Sie haben in Niedersachsen den Wissenschaftspreis erstmals in die Logistik holen können. Mit welchen Themen konnten Sie bei der Jury punkten?

Christoph von Viebahn: Unser Team hat in einem ersten großen Projekt neue Konzepte in der Urbanen Logistik virtuell gerechnet. Hier konnten wir erstmals quantifizieren, wie die Belieferung mit Lebensmitteln Verkehr einsparen und Emissionen reduzieren kann. Mit den Arbeiten in Hannover dazu haben wir 2015 begonnen und wurden als Projekt „USEfUL“ von 2017 bis 2023 vom BMBF gefördert. Als zentrale Methode arbeiten wir hier mit der dynamischen Computersimulation, teils kombiniert mit Machine Learning aus der KI.

Was heißt das konkret?

von Viebahn: Wir haben über 10.000 Haushalte in Hannover virtuell abgebildet; mit den Soziodemographischen Daten, dem PKW-Besatz und vielen weiteren Attributen. Nun lassen wir die Haushalte sowohl selbst einkaufen, als auch vom Händler beliefern. Von 0 % E-Grocery bis 100 % E-Grocery können wir zu allen Stadien der Marktdurchdringung die Auswirkungen auf den Verkehr und die Luft quantifizieren. Und für den Händler können wir KPIs für die Flotte ausweisen.

Die Logistik ist nicht immer das Problem in der Stadt, sondern trägt auch zur Lösung bei?

von Viebahn: Auf jeden Fall. Mindestens bei dem Wochenendeinkauf nimmt der Kunde seinen PKW und hier ist ein leichtes Nutzfahrzeug mit 15 bis 20 Einkäufen auf der Ladefläche schlicht besser. Das bedeutet bei einer guten Marktdurchdringung im Extremfall fast eine Halbierung der Kilometer und eine deutliche Reduzierung der Emissionen.

Maylin Wartenberg ist seit 2018 Professorin für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Data Science an der Hochschule Hannover. Sie hat langjährige Berufserfahrung in der Finanz- und Automobilbranche. Zu ihren Forschungsgebieten gehören angewandte Themen der Data Science, Business Intelligence und Künstlichen Intelligenz.

Welche weiteren Konzepte haben Sie im Rahmen des Projektes getestet?

von Viebahn: Wir haben auch Konzepte im KEP-Segment wie Micro-Hubs und White-Label-Ansätze für Hannover gerechnet. Ebenso haben wir die Auswirkungen von Hautürbelieferung und Shop-Abholung quantifiziert.

Konnten Sie alle Projektziele von „USEfUL“ erreichen?

von Viebahn: Wir haben die Projektziele, die wir den Fördermittelgebern zugesichert haben, erreicht. Aus unserer Sicht wurden die Ziele sogar übererfüllt, denn aus dem Projekt wurden einige weitere Projektskizzen wie beispielsweise „Kombinom“ weiterentwickelt. Außerdem sind mehrere Promotionen und Publikationen dazu entstanden.

Worum geht es denn bei „Kombinom“?

Johannes Staritz: Wir untersuchen hier die Kombination von Logistik und Mobilität mit autonomen Shuttles ab 2025. Das Ziel des Projektes ist, eine Simulation als Entscheidungsunterstützungssystem zur Nutzung autonomer Kleinbusse im ländlichen Raum zum kombinierten Transport von Personen und Gütern zu nutzen. Dabei sollen Fahrten und somit CO2-Emissionen reduziert werden.

Maylin Wartenberg: Wir schauen aber auch auf weichere Faktoren. Welchen Einfluss hat es auf das Leben der Menschen, die auf dem Land aktuell noch sehr abhängig vom PKW sind? Dazu berechnen wir in verschiedenen Szenarien mögliche Business Cases für eine Flotte solcher Shuttles.

Angesichts der Größe Niedersachsens ist das Potenzial eines solchen Projekts sicher groß. Ist eher die Technologie noch der limitierende Faktor oder die Menschen?

von Viebahn: Ganz generell muss man festhalten, dass die Verkehrswende im ländlichen Raum entschieden wird. In Großstädten wie Berlin oder Hamburg haben die Menschen durch den ÖPNV ganz andere Möglichkeiten als auf dem Land, wo die Anwohner teilweise zwei Stunden auf den Bus warten müssen. Für 2025 haben diverse Hersteller Serienreife für Fahrzeuge angekündigt, die für On-Demand-Verkehr eingesetzt werden können. Das startet dann aber auch erst in den Städten. Bis 2030 hoffe ich aber auch auf viel Dynamik im ländlichen Raum.

Warum sollte ein Fahrzeug Personen und Güter gleichzeitig befördern?

Wartenberg: Die Bevölkerungsdichte ist im ländlichen Bereich geringer, deshalb stellt die DHL dort heute Briefe und Pakete kombiniert auf einem Fahrzeug zu. Wir übertragen diese Idee auf autonome Fahrzeuge und rechnen diese kombinierte Flotte aus Logistik und Mobilität ab 2025 schon heute.

Christoph von Viebahn ist seit 2012 Professor für Wirtschaftsinformatik und Supply Chain-Management an der Hochschule Hannover. Als „das hub“ an der Hochschule Hannover setzen er und Team unterschiedliche Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Logistik, Produktion und Mobilität um. 2022 wurde er für sein Forschungsportfolio mit dem Niedersächsischen Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Wie würde so ein Konzept dann konkret aussehen?

Wartenberg: Vereinfacht gesagt wäre es MOIA aus dem RidePooling und REWE digital aus dem E-Grocery zusammen als ein autonomes Shuttle. Das Fahrzeug bringt die Einkäufe in das Dorf und nimmt den Fahrgast mit zu seinem nächsten Termin. Durch den kombinierten Verkehr erhoffen wir eine effiziente Nutzung der Fahrzeuge trotz der langen Wege.

Gerade in Niedersachsen als Flächenland müsste so ein Konzept ja viele Befürworter haben. Wie ist die Resonanz aus Politik und Wirtschaft?

von Viebahn: Obwohl wir bisher nur virtuell die Konzepte rechnen, haben wir immer wieder Gemeinderäte, die bei uns anfragen. Sie möchten ihr neues Baugebiet durch uns mit einem Shuttle angebunden haben. Der Bedarf ist also auf jeden Fall da, es fehlen derzeit die Fahrzeuge.

Was sind dann die nächsten Schritte für die Umsetzung?

Wartenberg: Während die OEMs ihre Fahrzeuge in Sachen Sensorik und Software serienreif entwickeln, rechnen wir bereits unterschiedliche Konzepte für Routing, Ladestrategien und Priorisierungsregeln für unterschiedliche Aufträge. Damit können wir für eine zukünftige Flotte Aussagen zu Service Level, benötigter Flottengröße und Auslastung treffen.

Bei Ihren Projekten werden viele Szenarien simuliert. Gibt es denn auch Themen, die es aus dem Computer auf die Straße geschafft haben?

von Viebahn: Im Rahmen der Projektinitiative Urbane Logistik Hannover wurde die KEP-Belieferung im Stadtteil Linden-Nord bereits 2019 komplett auf eine lokal emissionsfreie Belieferung umgestellt. Auch diesen Piloten haben wir wissenschaftlich begleitet. Hier hat jeder Stakeholder etwas zu beigetragen: Die KEP-Unternehmen die Fahrzeuge, die Bürger verzichten auf einige Parkplätze als Logistikflächen und die Stadt hat mit dem Verkehrsamt und dem Ordnungsamt unterstützt.

„das hub“ arbeitet immer virtuell in den Projekten, also mit Code und Konzept?

Wartenberg: Genau, wir sind immer die Nerds im Projekt und rechnen, ab wann sich welches Szenario lohnt. Egal, ob auf der Straße oder auf dem Shopfloor, wir liefern die Zahlen, die der Controller und das Management für einen Invest benötigen. Und wir liefern meist auch Daten im Sinne der Nachhaltigkeit, also wie der CO2-Footprint verbessert werden kann.

Die „Nerds“ kommen dann alle aus der Informatik?

von Viebahn: Nein, wir sind ein interdisziplinäres Team. Prof. Dr. Maylin Wartenberg kommt aus der Mathematik, Prof. Dr. Volker Ahlers aus der Physik, Dr. Marvin Auf der Landwehr aus der Betriebswirtschaftslehre und ich aus der Geo-Informatik. Unsere Mitarbeitenden kommen aus der Betriebswirtschaftslehre, der Wirtschaftsinformatik, der Angewandten Mathematik, der Angewandten Informatik und dem Wirtschaftsingenieurwesen. Damit können wir viele Fragestellungen solide bearbeiten.

Diese Fragestellungen sind in der Regel sehr praxisnah.

von Viebahn: Ja, wir bearbeiten eigentlich kein Projekt ohne Industriepartner. Wir arbeiten immer entlang der Supply Chain und gehen auf dem Shopfloor mit in Fragen der Produktion hinein und bei der Distribution mit in die Aspekte der Mobilität. Nur dann können wir die Fragstellungen umfänglich beantworten.

Sind Ihre Industriepartner mehr die Konzerne oder auch der Mittelstand?

von Viebahn: Bisher arbeiten wir vor allem mit den großen Playern in der Region zusammen, sei es mit Continental bei der Simulation des European Distribution Center, mit Volkswagen in Sachen Design Thinking oder mit Komatsu in Projekten mit Studierenden. Ich würde aber auch sehr gerne mehr Projekte mit dem Mittelstand auf den Weg bringen. Der OEM simuliert die ganze Halle, der Zulieferer ab und an in Kooperation und der Mittelständler sieht Excel als Mittel der Digitalisierung. Da stecken für beide Seiten noch große Potentiale. Also gerne auch mehr Kooperation mit dem Mittelstand.

Was sind derzeit die großen Themen bei Ihnen im Team?

Wartenberg: Wir haben im aktuellen Jahr wieder sehr stark publiziert, da sind wir mittlerweile mit vergleichbaren Uni-Instituten auf Augenhöhe. Momentan schreiben wir viele Projektanträge, um die Finanzierung des Teams für die kommenden Jahre abzusichern. Da sind wir für Ideen und Anfragen aus der Praxis oder anderen Instituten immer dankbar. Außerdem wollen wir KI bzw. Machine Learning noch mehr in die Projekte integrieren. Da sehen wir große Potenziale und verfügen als Teil des neu gegründeten Instituts Data|H der Hochschule bereits einige Referenzen.

Johannes Staritz ist seit 2021 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Promovend im Bereich Wirtschaftsinformatik der Hochschule Hannover. In seiner Projektarbeit und im Rahmen seiner Dissertation beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem kombinierten Transport von Personen und Gütern.

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