SAF: Es ist mehr als genug da
Bislang beträgt der Anteil von Sustainable Aviation Fuel in der Luftfahrt nur 0,1 Prozent, 2025 sollen es bereits 2 Prozent sein. Thorsten Lange, EVP Renewable Fuels von Neste, erklärt im Interview, wie genug nachhaltiger Kraftstoff produziert werden kann.
DVZ: Herr Lange, die Nachfrage nach Sustainable Aviation Fuel (SAF) steigt momentan sehr schnell. Wie viel SAF gibt es denn aktuell überhaupt?
Thorsten Lange: Wir reden bei SAF im Moment noch über den berühmten Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich den Verbrauch in der Luftfahrt anschaut. Wir kommen laut IATA etwa 2024 wieder auf das Level von 2019 zurück, also das Level vor Corona. 2019 wurden 330 Millionen Tonnen fossiler Treibstoff zum Fliegen genutzt. Im Vergleich dazu gab es im Jahr 2021 eine Menge von 200.000 bis 250.000 Tonnen SAF, die zur Verfügung gestellt wurde. Das ist im Moment noch erschreckend wenig. Die gute Nachricht ist aber: Es gibt viele Projekte, die laufen, und das Ganze hat an Geschwindigkeit gewonnen, erstaunlicherweise auch in der Pandemie.
Also beträgt der Anteil von SAF bislang nicht einmal 0,1 Prozent. Ab Januar 2025 soll es einen Mindestanteil von 2 Prozent SAF geben. 2025 ist nicht mehr weit weg. Ist das überhaupt realistisch?
Absolut. Das ist zu schaffen.
Wie kann das gelingen?
Da diese Ziele für Europa gelten, müssen wir auch die Zahlen auf Europa runterbrechen. Der europäische Verbrauch inklusive UK betrug im Jahr 2019 rund 60 Millionen Tonnen. 2 Prozent wären also etwa 1,2 Millionen Tonnen SAF, die in 2025 zur Verfügung gestellt werden müssten. Wir erweitern derzeit unsere Neste-Raffinerie in Singapur. Das steigert unsere Kapazität ab dem zweiten Quartal 2023 auf 1 Million Tonnen SAF pro Jahr. Ab Ende 2023 kommen weitere 500.000 Tonnen aus unserer Raffinerie in Rotterdam dazu. Mit 1,5 Millionen Tonnen Jahresproduktion könnte also Neste allein die 2-Prozent-Quote schon übererfüllen, noch bevor sie in Kraft tritt.
Bis 2030 sollen es 5 Prozent und im Jahr 2050 sogar 63 Prozent SAF sein. Ist auch das machbar?
Aktuell sind allein in Europa drei weitere Anlagen von Wettbewerbern geplant, die spätestens 2025 jeweils rund 400.000 Tonnen produzieren können. Ich bin daher zuversichtlich, dass die Produzenten schon 2025 nicht nur 2, sondern eher 3,5 Prozent abdecken können. Durch diese Dynamik werden auch mehr Investoren angelockt. Dadurch wiederum kommen wir Produzenten in die Lage, neue Technologien zu entwickeln und zu finanzieren. Somit werden wir zu einer Größenordnung kommen, die uns in die Lage versetzt, in 2030 sogar eher 10 Prozent zu erreichen.
Und 63 Prozent bis 2050 sind auch realistisch?
Die Frage ist ja: Warum sind wir in 2050 nicht schon bei 100 Prozent? Die Antwort darauf ist folgende: Dekarbonisierung erfolgt nicht nur über den Treibstoff, sondern auch über effizientere Motoren und Triebwerke. Es werden auch andere Antriebe kommen. Elektrisches Fliegen wird eine Rolle spielen, aber nur auf der Kurzstrecke. Und wir werden in Zukunft sehr sicher auch irgendwann mit Wasserstoff fliegen. Meine persönliche Prognose lautet dabei aber: jenseits des Jahres 2035 und auch dann nur limitiert. Der große Unterschied zwischen Wasserstoff und SAF ist, dass man bei Wasserstoff eine völlig andere Infrastruktur benötigt.
Neste gilt als SAF-Marktführer. Wo sind die großen Mineralölunternehmen? Wer sind Ihre Wettbewerber?
Die großen und bekannten Namen aus der Branche haben sich beim Thema SAF relativ viel Zeit gelassen, drängen aber jetzt in den Markt. Shell, BP oder Total planen eigene Anlagen oder haben sie bereits. Gemeinsam werden wir als Industrie die große Nachfrage, die kommen wird, bedienen können.
Werden die genannten Unternehmen mit den vermutlich auch finanziell größeren Möglichkeiten nicht zwangsläufig in wenigen Jahren an Neste vorbeigezogen sein, oder ist es sehr schwer, die entsprechenden Strukturen aufzubauen?
Ich habe keine Sorge vor dem Einholen. Unser Ziel ist es, SAF verfügbar zu machen. Wir werden nicht alles selbst verkaufen, sondern mit Partnern zusammenarbeiten. Und diese Partner sind logischerweise auch die großen Ölgesellschaften, die Zugang zu den Flughäfen haben. Genau wie auf der fossilen Seite müssen wir hier in Zukunft kooperieren, um das Beste für die Luftfahrtindustrie zu erreichen.
Gibt es denn genug Ausgangsmaterial, um die große Nachfragesteigerung zu bedienen? Einfach gesagt: Können wir so viele Pommes essen, wie Öl gebraucht wird?
Fritten sind ein gutes Stichwort, denn Frittenfett ist tatsächlich ein wesentlicher Rohstoff für SAF. Aktuell sehen wir bei den Rohstoffen aber noch zu große Einschränkungen auf der regulatorischen Seite. Die Möglichkeiten, bestimmte Reststoffe oder Produkte zu nutzen, die ohnehin da sind und die man auch in Zukunft nutzen sollte, sind oft begrenzt. Wir wollen voll in Einklang sein mit den Nachhaltigkeitskriterien, die weltweit angelegt werden. Aber die dürfen nicht so eng sein, dass wir etwa keine degradierten Felder nutzen können, um dort Ölpflanzen anzubauen und das Öl zu nutzen. Wenn eine solche Nutzung bisher ungenutzter Flächen nicht als nachhaltig angesehen wird, dann wird es schwieriger.
Kann die Nachfrage trotz dieser Einschränkungen bedient werden?
Ja, da bin ich sicher. Der Pool, den wir heute haben, ist zwischen 35 und 40 Millionen Tonnen groß. Der potenzielle Pool, wenn wir jetzt weitere Rohstoffe mit einbinden dürften, läge bei gut 200 Millionen Tonnen. Hinzu kommen auch die neuen Technologien, beispielsweise die Umwandlung von Hausmüll in Treibstoff oder die Umwandlung von Holzresten aus der Forstindustrie. Das ist ja alles Kohlenstoff. Das ist aber teuer und erfordert neue Produktionsanlagen.
Welche weiteren Technologien werden noch relevant?
Ein großes Thema ist Alcohol-to-Jet. Hier kann durch das Fermentieren von Landwirtschaftsabfällen auch Treibstoff hergestellt werden. Langfristig wird aber wohl Power-to-Liquid, also die Umwandlung von elektrischem Strom in Flüssigkraftstoff, die Schlüsseltechnologie sein. Das ergibt dann unter dem Strich einen Pool von 500 Millionen Tonnen. Damit wären wir in nicht allzu ferner Zukunft schon in der Lage, fossile Treibstoffe vollständig durch solche aus Rest- und Abfallstoffen und die genannten weiteren Technologien zu ersetzen.
Wann wird Power-to-Liquid (PtL) in einem industriellen Maßstab zur Verfügung stehen?
Viele Unternehmen, auch wir, arbeiten bereits daran. Wann es in großem Maßstab eine Rolle spielt, ist aber noch nicht absehbar. Diese Technologie benötigt sehr viel Energie, und sie benötigt sehr viel Elektrolysekapazität. Es braucht die entsprechenden Produktionsanlagen. Und die grüne Energie muss verfügbar sein. PtL wird eine Rolle spielen, aber es wird noch Zeit brauchen. Deswegen können wir uns nicht entspannt zurücklehnen und darauf warten. Wenn wir bis 2035 warten, haben wir den Punkt überschritten, an dem wir überhaupt noch einen maßgeblichen Einfluss auf den Klimawandel haben können.
Sind die 500 Millionen Tonnen alles, was man zur Verfügung hätte an biogenem Ausgangsmaterial? Oder gibt es eine konstante Menge von 500 Millionen Tonnen, die sich immer wieder auffüllen lässt?
Der Aspekt des „Erneuerbaren“ ist ja letztlich das, was den Mehrwert für das Klima bringt. Wir behalten den Kohlenstoff im Kreislauf und nutzen ihn immer wieder und wieder. Dabei ist durchaus denkbar, dass perspektivisch auch zusätzliche Rohstoffe genutzt werden können und der verfügbare Pool größer wird.
Wie viel SAF kann aus 1 Million Tonnen Ausgangsmaterial produziert werden?
Der Ertrag liegt momentan bei rund 80 Prozent.
Wie viel Prozent Emissionsreduktion ist durch SAF möglich?
Unser SAF kann die Emissionen um 80 Prozent senken. Wir reden hier über eine sogenannte Life-Cycle-Analyse, die den gesamten Lebenszyklus des Produktes betrachtet – vom Verarbeiten der Abfälle bis zur Produktion von SAF. Am Ende kommt aus den Triebwerken hinten wieder CO2 raus, das von den Pflanzen absorbiert wird, aus denen der Treibstoff hergestellt wird. In diesem Kreislauf schaffen wir es, die Emissionen um 80 Prozent zu senken. Je mehr wir unseren grünen Anteil in der Produktion erhöhen und je besser wir auch im Transport werden, was die Verwendung von alternativen Technologien und Treibstoffen angeht, umso höher diese Zahl. Ich hoffe, dass wir irgendwann Richtung 90 Prozent kommen.
Wie kommt man auf 100 Prozent?
Das ist möglich, wenn der gesamte Transportweg und die Produktion grün sind. Das heißt auch, dass der benötigte Wasserstoff in der SAF-Produktion komplett grün hergestellt wird, also aus 100 Prozent grüner Energie.
Aus der Branche hört man vermehrt, dass gerade die Luftfracht ein Treiber der Nachhaltigkeit in der Luftfahrtindustrie ist. Wie nehmen Sie den Unterschied zwischen Passage und Fracht wahr?
Man muss natürlich sehen, wer der Hauptnachfrager bei der Fracht ist. Das sind Unternehmen, die ihre Forwarder beauftragen, Güter zu transportieren, und die als Marke auch darauf aus sind, Nachhaltigkeit dokumentieren zu können.
Wie viel teurer wird ein Flug durch SAF momentan?
SAF ist vier- bis fünfmal so teuer wie fossiles Kerosin. Wenn wir aber das reale Mischungsverhältnis betrachten, dann ist der Anteil doch eher klein. Es ist letztlich jeder Airline und jedem Unternehmen selbst überlassen, wie das Thema vermarktet wird. Vermarkte ich einen ganzen Flug als 100 Prozent nachhaltig und berechne ich den auch so, oder teile ich das auf und gebe die Kosten entsprechend an die Kunden weiter? Wir sehen hier eine hohe Akzeptanz bei vielen Unternehmen, die Produkte nicht nur nachhaltig produzieren, sondern auch nachhaltig transportieren wollen.
Darf die Frachtindustrie ein bisschen stolz darauf sein, in diesem Bereich im Gegensatz zur Passage ein Treiber zu sein?
Die einzelnen Akteure dürfen alle stolz sein auf das, was sie machen. Denn das ist wegweisend. Die Passage will auch dahin, aber sie muss ihren Endverbraucher mitnehmen. Das ist die große Herausforderung. Und da ist die Luftfahrtindustrie auch durch die niedrigen Preise, die in den letzten 20 Jahren entstanden sind, in der Zwickmühle. Das Problem ist bei der Passage noch größer als bei der Fracht.
Die Margen in der Luftfracht, die ohnehin nicht sehr groß sind, werden nun durch nachhaltigen Transport noch kleiner.
Das ist natürlich eine Herausforderung, gerade für Carrier auf der Langstrecke, bei denen das Thema Treibstoff überproportional zuschlägt im Vergleich zu denen, die nur kurze Strecken fliegen. Auf der Kurzstrecke beträgt der Anteil des Treibstoffs an den operativen Kosten rund 10 Prozent. Auf der Langstrecke sprechen wir eher von über 30 Prozent.
Was lässt Sie glauben, dass die von Corona hart getroffene Airline-Industrie überhaupt die finanziellen Mittel für die notwendigen großen Schritte hat? Ist das Timing nicht schlecht?
Für die Airlines wird es immer schwierig bleiben. Ich habe 2001 bei der Lufthansa angefangen, eine Woche vor dem 11. September. Von da an gab es eigentlich nur Krisenjahre. Zwischendurch gab es ein paar Hochs, aber da ist auch nichts passiert. Und jetzt haben wir kaum noch Zeit. Wir müssen die Kosten für unser Handeln übernehmen, denn wir haben auch eine Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Also ist das Timing schlecht? Ja. Haben wir eine andere Wahl? Nein.
Mitarbeit Oliver Link