Nachhaltigkeit: Was sich jetzt in der Logistik ändern muss

Logistik heißt Daseinsvorsorge, sagt Dr. Jörn Schönberger von der TU Dresden. Welche Schritte jetzt für eine nachhaltige Entwicklung der Branche nötig sind.

Ein Satellitenbild zeigt die „Ever Given“, die im vergangenen Jahr im Suezkanal auf Grund gelaufen war. (Foto: Picture Alliance/dpa/european sp)

Unterbrochene Lieferketten in Zeiten der Pandemie, fehlende ukrainische Lkw-Fahrer wegen des Kriegs in Europa oder ein gestrandetes Containerschiff, das den Suezkanal blockiert: In den zurückliegenden Monaten ist immer wieder deutlich geworden, wie wichtig eine funktionierende Logistik für die Welt ist. Gleichzeitig verspürt die Branche einen hohen Druck von außen, in Zukunft wirtschaftlich, sozial und auch mit Blick auf Umweltaspekte nachhaltiger zu agieren. Doch wie stehen die Chancen, dass das in den nächsten Jahren gelingen kann?

Jörn Schönberger ist Inhaber der Professur für Verkehrsbetriebslehre und Logistik an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ der Technischen Universität Dresden. Er beschäftigt sich in seiner Arbeit intensiv mit den Möglichkeiten und Problemen beim Transport von Waren und Personen. Wenn Nachhaltigkeit das Ziel ist, müsste sich in der Logistik einiges grundlegend ändern, sagt er. Hier erklärt er die fünf wichtigsten Punkte, die es jetzt zu verändern gilt.

Punkt 1: Wir müssen endlich den Wert von Logistik begreifen.

„Historisch gesehen ist die Logistik eine gewachsene Hilfsdisziplin“, schätzt Schönberger ein. Die Wertschöpfung finde in den Köpfen fälschlicherweise nur dort statt, wo produziert, wo etwas zusammengebaut und mit den Händen geschaffen wird. „Wir blenden den Transport von Dingen vollkommen aus, dabei ist es eine Daseinsvorsorge. Unser Wohlstand fußt darauf, dass wir Waren und Personen von A nach B bringen können.“ Ein ehrlicher Blick auf das, was das wert ist und was es damit auch kosten darf und muss, wäre dringend notwendig. Ganz automatisch würden sich Lieferketten dann verändern. Wenn das Produzieren im entfernten Ausland durch kostenintensive Logistik nicht mehr rentabel ist, würde zwangsläufig regionaler produziert werden. „Ich denke nicht, dass wir in Zukunft weniger transportieren, aber die Wege fallen wieder kürzer aus“, prophezeit der Wissenschaftler.

Punkt 2: Wir brauchen ein neues Preissystem für den Warentransport.

Vom Schiff auf den Zug, vom Zug auf den Lkw, vom Lkw zum Kunden. Schon lange wird darüber nachgedacht, Verkehrsträger besser miteinander zu vernetzen. Der Dresdner Professor sieht darin jedoch kein Modell für die Zukunft. „Auch wenn das technisch sicherlich machbar ist und gleichzeitig Ressourcen schonen würde, ist es praktisch kaum möglich.“ Das alles bedeute großen Abstimmungsbedarf. „Und wer entscheidet am Ende, ob der Zug mit Lkw schon losrollt, wenn sich der letzte Laster vielleicht verspätet.“ Doch wie können Transporträume trotzdem effektiv genutzt werden? Der Forscher sieht ein neues Preissystem als mögliche Lösung. „Die Höhe des Preises müsste sich danach richten, wie groß der Wunsch des Kunden ist, dass seine Waren sofort transportiert werden müssen.“ Geringere Preise böten Anreize, Kapazitäten besser zu nutzen. Emissionen ließen sich so besser einpreisen. „Aktuell müssen sich Spediteure danach richten, was der Kunde bereit ist zu zahlen.“ Das sei schwierig.

Punkt 3: Wir müssen langfristig in Infrastruktur und Technologie investieren.

Transport ist eine Netzwerkleistung. Gerade in Deutschland hat dieses Netzwerk aber große Defizite. „Es ist gefährlich, Straßen und Brücken über Jahrzehnte vergammeln zu lassen“, kritisiert der Verkehrsexperte. Schon heute wären einige Straßen in Deutschland extrem überlastet. Es brauche aber nicht nur neue Straßen, sondern auch neue Technologien. Ein Vorschlag, der bereits diskutiert wird, ist der Bau von Oberleitungen an wichtigen Autobahnstrecken in Deutschland für Lkw mit Stromabnehmern. Aktuellen Schätzungen zufolge wären das knapp 4.000 Kilometer. „Das klingt vielleicht erst einmal verrückt, aber am Ende wird es ein Mix aus neuen Antrieben wie zum Beispiel auch Batterien oder Wasserstoff sein, der die Branche umweltfreundlicher macht“, sagt Schönberger. Es brauche zudem Förderprogramme, die zeitnahe Alternativen zum Verbrennen von Schweröl möglich machen, auch im Schiffsverkehr. Mit Blick auf diesen fordert der Wissenschaftler ein europäisches Vorgehen. „Die Häfen für dreckige Schiffe zu sperren, funktioniert nur, wenn auch alle Häfen mitmachen.“

Punkt 4: Wir sollten die Logistik für Arbeitnehmer attraktiv machen.

Die Logistikbranche wächst – aber ihr fehlt der Nachwuchs. „Wir sehen im Transportbereich momentan große soziale Probleme.“ Viel zu wenig sei in den vergangenen Jahren darauf geachtet worden, für den Nachwuchs attraktiv zu sein. Grund dafür ist die hohe Arbeitsbelastung, die zum einen körperlich anstrengend ist und zum anderen auch lange Arbeitszeiten umfasst. Was dafür laut Schönberger jedoch kein Heilmittel ist: die viel beschworene Automatisierung. „Ich glaube, viele Speditionen wollen das gar nicht, sie wollen nicht auf Fahrer verzichten.“ Diese seien immerhin wichtige Ansprechpartner bei den Transporten. Gute Arbeitsbedingungen sind etwas, das Unternehmen zum großen Teil selbst beeinflussen könnten. „Wir müssen den Fahrern aber auch Sicherheit während ihrer Touren bieten.“ Parkplätze müssten in ausreichendem Maße vorhanden sein. „Sie müssen überwacht werden, damit sie sicher sind.“

Punkt 5: Wir können anderen Ländern in Logistikfragen helfen.

Weltweit werden Logistikleistungen in den kommenden Jahren immer stärker anwachsen, vor allem in Europa, Asien und Nordamerika. Doch auch andere Regionen rücken immer mehr in den Fokus, beispielsweise Afrika. Gerade die Entwicklung in Ländern, in denen der Warentransport aktuell stark zunimmt, sollte Beachtung finden, mahnt der Forscher. „Letztlich geht es darum, dass sie nicht die gleichen Fehler wie wir machen.“ Dass sie Transport nur auf der Straße denken, dass sie auf fossile Brennstoffe setzen. Schönberger plädiert deshalb für Entwicklungshilfe in der Logistik. „Ich denke, im Hinblick auf nachhaltige Strukturen in der Logistik ist das ein Feld, auf dem wir viel bewirken können.“ (fw)

Jana Mundus ist freie Journalistin mit dem Schwerpunkt Wirtschaft.

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