Verantwortung ist nicht verhandelbar

Wenn es um menschenwürdige Arbeitsbedingungungen geht, ist nicht nur im globalen Süden viel zu tun. Dass Lkw-Fahrer nicht im Fahrzeug wohnen müssen und Zugang zu sauberen Toiletten bekommen, gehört mit auf die soziale Agenda, meint DVZ-Redakteur Tobias Loew.

Viele Fahrer sind wochenlang in ganz Europa unterwegs und leben dabei im Lkw. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz soll ­solche Zustände künftig verhindern – bei höheren Preisen.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) macht die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen zum deutschen Gesetz – und das ist gut so. Sie schützen vor allem Menschen aus dem globalen Süden, die in einer globalisierten Welt nicht viel gewinnen. Manche von ihnen werden für Wohlstand im globalen Norden zur Arbeit gezwungen, sie müssen noch zu oft in früher Kindheit arbeiten, gefährden für Konsumprodukte ihre Gesundheit – und verdienen dabei nur wenige Cent am Tag.

Diese Menschen meint das Gesetz, wenn es von einer existenzsichernden Entlohnung spricht. Teepflücker an der Elfenbeinküste müssen mit einem Euro am Tag überleben. Sie erhalten für einen halben Monat Arbeit so viel, wie der gesetzliche Mindestlohn für deutsche Lkw-Fahrer pro Stunde vorsieht. Bei einem Tageseinkommen von 2,25 Euro könnten sie ihre Kinder zur Schule schicken, hat die Initiative Fairtrade ausgerechnet. Die Weltmarktpreise für Tee, Kaffee und Kakao geben das nicht her.

Das LkSG macht Arbeitsbedingungen zum Thema - Speditionen müssen bei ihren Frachtführern genauer hinsehen. 

Deshalb ist es richtig, dass mit dem LkSG Wegsehen verboten wird. Wer weltweit Geschäfte macht, muss ab sofort wissen, unter welchen Umständen seine Lieferanten arbeiten. Für ehrbare Kaufleute war das schon immer selbstverständlich, manch andere zünden jetzt im dunklen Keller zum ersten Mal seit Jahren eine Kerze an. Den blinden Fleck zu erleuchten, ist nur der erste Schritt zum Aufräumen. Er bietet die Chance, überall eine neue Ordnung zu schaffen. Auch in Europa: Gesetzlich verordnet hinzusehen, ob Lkw-Fahrer wochenlang in ihrem Fahrzeug schlafen und nie bei ihrer Familie sind. Dabei zu erkennen, dass sie sich an vielen Autobahnparkplätzen weder duschen noch eine saubere Toilette benutzen können. Von Sport treiben und gesunder Ernährung ganz zu schweigen.

Hinter vorgehaltener Hand sagt nahezu jeder in der Logistik, dass er davon weiß. In Angebotszahlen und Rechnungsbüchern verschwimmen solche Zustände aber hinter dem attraktiven Preis. Faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer wollen sich viele nicht leisten. Nicht umsonst erhält am Spotmarkt der Niedrigstbietende den Zuschlag. Das LkSG macht jetzt die Arbeitsbedingungen zum Thema – und Speditionen müssen bei ihren Frachtführern genauer hinsehen.

Welche Bürokraft würde an einem Ort ohne Toilette arbeiten? Unvorstellbar – schließlich reist das Campingklo mit ins australische Outback. Grundbedürfnisse für den letzten Cent immer wieder zu ignorieren, ist wenig nachhaltig. So lange daran festzuhalten, bis niemand mehr den günstigen Konsum ermöglicht, kann Wertschöpfungsketten unwiederbringlich zerstören.

Das Durchschnittsalter der Kaffeebauern in Afrika beträgt 60 Jahre. Den Beruf der Eltern wollen ihre Kinder nicht ergreifen. Wenn sich nichts Gravierendes ändert, wird im Jahr 2030 nur noch halb so viel Kaffee wie heute beim Discounter angeboten. Falls ihn dort überhaupt jemand hinfährt.

Die Bauern im globalen Süden halten nicht viel von Bürokratie. Diese sollen ihre Auftraggeber bezahlen, zusammen mit „living wage“, dem Lohn, der ihr Überleben sichert. Auch Logistik muss teurer werden, wenn am Spotmarkt nur noch Frachtführer mit glücklichen Fahrern antreten sollen.

Ab jetzt ist Hinschauen Pflicht, der kategorische Imperativ zum Gesetz geworden. Mit welchen Lieferanten ein Unternehmen Geld verdient, steht in den Büchern. Die Sorgfaltspflicht erfüllt, wer beim Gedanken an sie kein schlechtes Gewissen bekommt. Genauso leicht lässt sich der Erfolg des LkSG erkennen, meint Fairtrade-Gründer Dieter Overath: „Ausbeutung darf kein Wettbewerbsvorteil mehr sein.“

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